Der Journalist Frank Schirrmacher starb am 12.6.2014.

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Berlin/Wien – Es gibt auch vier Jahre nach seinem Tod noch viel zu und gegen Frank Schirrmacher zu sagen, aber gesagt haben will es dann keiner. Penibel notiert Michael Angele in seinem Schirrmacher-Buch, das er zu Recht nicht Biografie, sondern Porträt nennt, die genauen Daten seiner vielen Mailwechsel und Gespräche.

In aller Regel aber fehlt der Name der Quelle. Das kann nur heißen: Frank Schirrmacher, der zu Lebzeiten Angst und Schrecken zu verbreiten verstand, hat auch postum ziemlich viel Macht. Wer etwas Schlechtes oder auch nur Ambivalentes über ihn sagt, hält sich (Ausnahmen gibt es) auch heute noch lieber geduckt.

Gemeinsamer Hass

In der FAZ, in den Achtzigerjahren noch eine kaum angefochtene Kerninstitution bundesdeutscher Bürgerlichkeit, hat Schirrmacher mit Anfang zwanzig auf sich aufmerksam gemacht, indem er vor Herausgeber Joachim Fest fleißig Thomas-Mann-Passagen und vor allem aus Fests Hitler-Biografie zitierte. Es handelte sich offenbar um ein Umfeld, in dem man höchst empfänglich auf Signale von Bildung reagierte, aber keinen intellektuellen Widerspruch suchte. Es war, so Angele, eher zuerst als zuletzt der gemeinsame Hass auf die antiautoritären Achtundsechziger, der die konservativen Gemüter zur Boygroup verleimte, die Autoritäten suchte.

Schon zuvor hatte sich Schirrmacher in die verschwiemelten Zirkel der unter dem Titel "Castrum Peregrini" firmierenden Stefan-George-Verehrung hineinfasziniert, die der Imitatio Stefan Georges und also der mit Poesie gepimptem Pädophilie frönte. So recht akzeptiert wurde Schirrmacher hier aber nicht: Bei der FAZ war das Felix-Krull-Hafte dann offenbar gar kein Problem.

Sturm im Wasserglas

Dennoch war er für die Konservativen als Meister der ständigen medialen Wirbelstürme im Wasserglas ein dauernder Schock. Skandale, Debatten, Kampagnen, eine rasch vollzogene Wendung nach der anderen -Angeles oft arg kleinteiliges Porträt zeichnet das nach; Walser-Affäre, Genom-Abdruck, Methusalem-Komplex, die gemeinsam mit der Bild-Zeitung geschlagene Kampagne, die den Bundespräsidenten Christian Wulff um sein Amt gebracht hat: Der Quartalshysteriker Schirrmacher hatte verstanden, dass Feuilleton auch als forcierte Boulevard-Veranstaltung noch vom Bildungsprestige profitiert und dadurch beträchtliche Außenwirkung erzielt. Darum vertrug er sich mit dem damaligen Bild-Chef Kai Diekmann bestens.

Erstaunlich ist eher: Obwohl ihnen das im Kern Unseriöse an den Schirrmacher-Plots nicht entging, wurden die Leute von der FAZ den Eindruck, der Mann gehöre zu ihnen, nicht völlig los. Wenngleich Herausgeber Joachim Fest bald Zweifel kamen. Er hatte Schirrmacher erst zum Nachfolger Marcel Reich-Ranickis als Literaturchef gemacht, konnte den 34-Jährigen als Nachfolger seiner selbst dann nicht mehr verhindern, auch weil Helmut Kohl intervenierte. "Integrierter Außenseiter" ist die treffende Formel, die Angele für Schirrmachers Position findet.

Eng geschlossener Kreis

Das Integrierte liegt am Homosozialen. "Jungs unter sich" wäre ein passender Untertitel des Buchs. Im eng geschlossenen Kreis der mächtigen Medienmänner funktionierte offenkundig auch das vielfach dokumentierte Kindische am Charakter Schirrmachers gut: Scherze mit Dackel sind überliefert und mit Jürgen Habermas auch.

Die Kehrseite ahnt, wer bei Angele liest, dass einer von Schirrmachers Spitznamen "Caligula" lautete, nach dem römischen Kaiser, der sein Pferd zum Senator gemacht hat und so verrückt wie im Zweifel mörderisch war. Im Verleihen wie im Entzug der Gunst war Schirrmacher direkt und brutal. Von vielen bezeugt sind allerdings auch gewinnende Seiten. Manche der besonders finsteren Anekdoten, die kursieren, sind womöglich nur gut erfunden – doch genügend Beispiele von Rachsucht und Lust an der Demütigung erzählt auch Angele in seinem ambivalenten, von Bewunderung nicht freien Porträt.

Männer mit Macht

"Wir sprechen über die Freundschaft der beiden Männer", schreibt Angele über ein Hintergrundgespräch mit Kai Diekmann. All diese Männer mit Macht, Schirrmacher, Diekmann, Fest, der damalige Spiegel-Chef Stefan Aust, Zeit-Chef Giovanni di Lorenzo und so weiter, waren bzw. sind – auch da trifft Angele einen wichtigen Punkt – nicht Freunde, aber eben Buddys, die einander im Zweifel schon den Rücken freihalten.

Verblüffenderweise hat Angele damit kein Problem. "Man müsste eine Verteidigung des Buddytums schreiben." Das nennt man dann wohl Stockholm-Syndrom. (Ekkehard Knörer, 12.6.2018)