Berîvan Aslan zeigt Angehörigen Screenshots von Belästigern – "das wirkt".

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Mit einer Anzeige hängt viel Arbeit zusammen, Schöndorfer behilft sich daher damit, sexistische Belästigung nicht immer allzu ernst zu nehmen.

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Corinna Milborn reagiert manchmal persönlich auf verbale Gewalt im Netz– und bekommt sogar manchmal Entschuldigungen.

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Ingrid Brodnig ("Hass im Netz: Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können" Brandstätter Verlag) rät durchaus auch zum Veröffentlichen von sexistischen Nachrichten – allerdings anonymisiert.

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Berîvan Aslan, ehemalige Frauensprecherin und Nationalratsabgeordnete der Grünen:

"Mein 'exotischer' Background war natürlich nicht immer vorteilhaft. Seit meiner ersten Kandidatur als Nationalratsabgeordnete bekomme ich mindestens einmal pro Woche Beschimpfungen, Drohungen oder sexistische Nachrichten. Es ist für mich traurig zu sehen, dass ich mich an diese Art der psychischen Gewalt gewöhnt habe.

Lange konnte ich zwar frei über Drohungen sprechen, aber nicht über Sexismus. Ich habe es jahrelang vermieden, über Sexismus offen zu reden oder zu schreiben, weil ich sonst junge Frauen entmutigt hätte, als Politikerin oder öffentliche Person 'Karriere' zu machen. Sexismus wird leider in meinem oder ähnlichen Kulturkreisen noch von vielen traditionellen Familien als 'Ehrverletzung' wahrgenommen – und sie raten dann Frauen oft ab, einen Beruf in der Öffentlichkeit zu wählen.

Mein Umgang damit ist unterschiedlich: Manchmal ignorierte und blockierte ich diese Personen, vor allem wenn es gesteuerte Shitstorms sind. Auch mache ich hin und wieder Screenshots, die ich an Verwandte des Beleidigers schicke – soweit auf Facebook-Seiten dieser Person Verwandte ersichtlich sind. Ich will ihnen so zeigen, wie sich ihr Angehöriger gegenüber Frauen benimmt – das wirkt.

Ich habe mich auch schon öfters mit jungen Frauen mit Migrationshintergrund getroffen, um mit ihnen offen über Sexismus und Hass im Netz zu reden. Das stärkt das Solidaritätsgefühl – und mich selbst."

Nicole Schöndorfer, Journalistin:

"Obwohl es sich vom Inhalt her sicher schon ausgegangen wäre, habe ich noch nie etwas angezeigt. Außerdem sind die Accounts auf Twitter auch oft anonym – das würde es schwierig machen. Und angesichts der Menge an sexistisch übergriffigen Nachrichten und Reaktionen wäre es auch extrem viel Arbeit zu überlegen: Kann man das überhaupt anzeigen? Ist es mir Wert, wenn wahrscheinlich nichts dabei rauskommt? Für mich ist da der leichtere Weg, es selber etwa auf Twitter anzuprangern, als juristisch dagegen vorzugehen.

Während des Vergewaltigungsprozesses in Deutschland, den der Reality-TV-Star Gina-Lisa Lohfink gegen zwei Männer vor zwei Jahren geführt hatte, bekam ich unter Kommentaren von mir dazu richtig üble Vergewaltigungsandrohungen. Ich war drei Tage völlig fertig – daraufhin stellte ich auf diese Einstellung um. Ich will nicht noch von Twitter fröhlich darauf hingewiesen werden, dass mich da vielleicht gerade jemand beleidigt hat.

Im Grunde sind es meist immer dieselben Beleidigungen, es gibt ein Muster und wenn man das kennt, fällt es auch leichter, es nicht ernst zu nehmen. "Dich will eh keiner", "Du bist eine Schlampe", "Schiarch" oder "Vom Papa offenbar nicht geliebt" – so etwas kommt immer wieder. Trotzdem ist die Unterstützung von anderen extrem wichtig. Mit anderen Frauen darüber reden oder sich darüber lustig machen – das hilft sehr."

Corinna Milborn, Infochefin bei ProSiebenSat1Puls4, Moderatorin, Journalistin und Autorin:

"Man sollte anzeigen – in der Praxis ist es allerdings extrem mühsam. Oft werden die Anzeigen erst gar nicht aufgenommen, weil die 'konkrete Drohung' fehlt. Dann marschiert man nach einem halben Tag deprimiert aus einer Polizeistation raus, ohne etwas erreicht zu haben.

Für nicht prominente Frauen ist es oft noch schlimmer, für sie kann so ein Angriff sehr hart sein. Ich bin nur punktuell von Hasspostings betroffen, meistens kommen sie von Rechtsextremen, die sich ein paar Tage lang organisieren und posten – aber dann war es das auch schon.

Wenn es echte Personen sind, schreibe ich manchmal zurück. Einmal habe ich jemanden besucht, der mir eine üble Vergewaltigungsdrohung geschickt hat. Er warf uns vor, eine Nachricht unserem Publikum bewusst vorzuenthalten, und das brachte ihn dazu, mir eine Vergewaltigungsandrohung zu schicken, die ihm – persönlich darauf angesprochen – dann extrem peinlich war. Auf die Frage, was sie sich eigentlich dabei denken, so etwas zu schreiben, kommt oft: 'Ich hätte nicht gedacht, dass das überhaupt jemand liest.' Leute in der Öffentlichkeit scheinen weit entfernte Projektionsflächen zu sein, wenn aber eine echte Person zurückschreibt, entschuldigen sich viele auch.

Eines der Hauptprobleme, warum das alles so extrem zugenommen hat, ist die Verbreitung über Facebook und Youtube. Facebook reiht Hass höher, weil es viel mehr Aufmerksamkeit lukriert, und damit ist man in einer Massenmediendynamik – gleichzeitig muss sich Facebook aber nicht an das Medienrecht halten. Diese Dynamik bringt Leute oft dazu, Hassnachrichten zu schreiben, weil sie schlicht mehr Feedback darauf bekommen."

Ingrid Brodnig, Expertin für Hass im Netz und Autorin rät:

  • Einen Screenshot machen. Vor allem, wenn man nicht gewohnt ist, solche extremen Nachrichten zu erhalten. Es passiert immer wieder, dass Frauen – aus Schock – den PC runterfahren oder sogar die Nachricht löschen oder dass der Versender die Nachricht löscht, wenn man nicht rechtzeitig einen Screenshot gemacht hat. Also: Beweise sichern, auch wenn es nicht danach aussieht, dass es klagbar ist. Denn es kann klagbar werden, etwa wenn ein User über mehrere Wochen oder Monate solche Nachrichten schickt – dann würde der Cypermobbing-Paragraf greifen.
  • Nicht allein bleiben: Menschen, denen man vertraut, zeigen, was man erlebt. Sie können dann beratend und unterstützend zur Seite stehen. In einer solchen Situation ist man total aufgewühlt, und daher ist es besser, zuerst das Gespräch mit Freunden und Familie zu suchen, bevor man reagiert.
  • Wenn die Nachricht drastisch genug ist, diese anzeigen. Das Strafrecht hat auch einen abschreckenden Charakter, es kann also auch ein Lerneffekt bei den Übeltätern eintreten.
  • Anonymisiert veröffentlichen. Das Aufzeigen von Sexismus kann auch eine Methode der Selbstverteidigung sein. Bei nichtöffentlichen Meldungen wie privaten Nachrichten oder E-Mails kann man sich durchaus überlegen, es öffentlich zu machen – allerdings so, dass unkenntlich bleibt, von wem die Nachricht kam. Damit kann man zwar nicht zeigen, wer einem diese furchtbare Meldung sendete, aber man kann zeigen, was man gerade erlebt, und dadurch auch viel Solidarität ernten. (Protokolle: Beate Hausbichler, 12.6.2018)