John Prines neues Album The Tree of Forgiveness zeigt den Songwriter in bestechender Form.

Oh Boy Rec.

Ihn Country zu nennen ist natürlich nicht falsch, aber er ist viel mehr: einer der besten Songwriter da draußen. Das neue Album von Willie Nelson heißt Last Man Standing. Willie in Ehren, aber John Prine ist ebenfalls noch da, und er ist ein Gigant.

Nach über einem Jahrzehnt hat er jetzt ein Album mit neuem Material veröffentlicht: The Tree of Forgiveness. Ich wollte jetzt nicht 20 Jahre warten, um es als "Unknown Pleasure" verkaufen zu können, vielen ist Prine ohnehin nicht geläufig, dabei ist er ein großer Name, wurde und wird verehrt von Johnny Cash oder Bob Dylan – um im Obergeschoß anzufangen.

Entdeckt von Kris Kristofferson

Ich weiß selbst nicht mehr genau, wie ich über ihn gestolpert bin. Der Name tauchte immer wieder auf und geisterte durch diverse Geschichten. Lange wusste ich bloß, dass ihn der Kristofferson entdeckt haben soll.

In einer Ramschkiste in den USA hab ich mir dann einmal zwei Alben von ihm gekrallt, um kein Geld. Das eine war leider in fast unhörbarem Zustand, Sweet Revenge, das andere ist super.

Der Titelsong seines Albums Sweet Revenge.
yukonnoka

Am Cover knotzt Prine in seinem Auto, die Beine quer über beide Vordersitze gestreckt, Boots unten dran, Tschick in der Papp'n, rustikaler Bart rundherum. Outlaw-Gestus – und ein Album mit Soul-Breitseite, ein Volltreffer mit Reggie Young an der Gitarre, David Briggs an den Tasten und Prines Auf-den-Punkt-Songs.

Geistesverwandte wie Oldham und Callahan

John Prine ist ein eloquenter Minimalist. Seine Songs sind großes Storytelling, eine Poesie ohne Geschwätz oder Gelaber. Das hat ihm mehrere Generationen von Fans eingetragen, darunter Geistesverwandte wie Will Oldham oder Bill Callahan.

Oft gespielt oder oft an ihn gedacht habe ich in den letzten Jahren nicht, dann hab ich auf einer US-Site von einem neuen Album gelesen. Ah, der lebt noch. Noch sollte sich als zutreffend erweisen.

Der Opener seines neues Albums: Knockin' on Your Screen Door.
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In dem Text stand, dass er gerade den zweiten Krebs überstanden hatte und wieder auf Tour sei. In den 1990ern hatte er im Zuge einer ersten Krebsoperation sogar die Stimme verloren, damals wurde er am Hals operiert, zuletzt hat er ein Stück Lunge gelassen.

Treppe rauf und singen

Zur Reha soll er von seinem Arzt dazu verdonnert worden sein, täglich mehrmals ein paar Stockwerke rauf und runter zu laufen und dann einen Song zu singen. John Prine ist jetzt 71. Das nenn' ich Hardcore. Mit einem neuen Album hat es deshalb gedauert, aber es war die Wartezeit wert.

Witz und Existenzialismus

Das Cover zeigt ihn als das alte Männchen, das er ist. Ein bisschen mitgenommen, aber witzig. Das war er immer: ein Mann mit Witz und Schmäh. Das paart er mit Songs von existenzieller Schwere, und diese Mischung macht einen Gutteil seiner Kunst aus.

Milde gestimmt

The Tree of Forgiveness zeigt uns nichtsdestotrotz einen alten Mann. Seine Stimme ist etwas brüchig, was dem Witz eine gewisse Milde verleiht, wo er früher ironisch bis zynisch war. Heute lässt er in einem Song wie Egg & Daughter Nite, Lincoln Nebraska, 1967 (Crazy Bone) ein paar Haberer in die Hände paschen, und es klingt, als wären es Mitpatienten aus der Reha. Das Piano klimpert dazu einen Juke-Joint-Boogie, der Bass hüpft, und Prine erzählt vom Leben.

Ein klässiger Schleicher um den Stall: Egg & Daughter Nite, Lincoln Nebraska, 1967 (Crazy Bone). Die Reha-Haberer Klatschen ein bisserl mit.
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Das besitzt die Autorität des Alters, wobei man ihn sich vorstellen kann, dass er bis heute über seine eigenen Schmähs kichert, wenn er einen Song fertig hat. Summers End wischt solche Bilder dann weg. Das klingt nach dem Herbst – dem Herbst des Lebens, der hat Prine ja schon ein paar Mal geprüft, da kennt er sich aus, der geht rein, der Song. "Come on home" singt er, "you don't have to be alone." Das vielleicht schönste Lied des Albums.

Summer's End – John Prine, anrührend.
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Der Tonfall lässt an einen Vater denken, der den Blick in die Weite streifen lässt, der auf den verlorenen Sohn wartet. Seine Sterblichkeit lässt sich an Titeln wie God Only Knows oder When I Get to Heaven ablesen.

God Only Knows – den Song hat er in den späten 1970ern mit Phil Spector geschrieben.
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Das erste hat er mit Phil Spector geschrieben, als der gerade Leonard Cohen Death of a Ladies’ Man produziert hatte. Ein anderes von den beiden war wahrscheinlich das erste Lied, das ich von ihm gehört: If You Don't Want My Love haben die Country-Zerdehner von Souled America auf ihrem Meisterwerk Sonny Anfang der 1990er gesungen – auch so ein Album für diese Rubrik.

Mit Phil Spector aufs Taxi warten

God Only Knows entstand, während Prine auf ein Taxi wartete. Er war bei Spector auf Besuch und wollte nach Hause. In der Wartezeit setzte sich Spector ans Klavier und reichte Prine eine Gitarre. In 30 Minuten hatten sie das Lied fertig.

Die Zeit, in der Spector am Klavier saß, sagte Prine später, war die einzige, während der Spector sich nicht komplett bescheuert aufführte, nicht herumballerte, nicht die Musik auf hundert hochgedreht hatte.

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Selbst wenn God Only Knows oder When I Get to Heaven thematisch in Richtung Spätwinter reichen, Prines Humor ist ungebrochen. Die Songs auf The Tree of Forgiveness rundet Prine zum Ende des Albums hin wundervoll ab. So sehr, dass man sich wünscht, dass ihm noch viele Jahre bleiben mögen, um uns noch viele Alben zu bescheren. (Karl Fluch, 19.6.2018)