"God of War" hat ein Problem, das viele andere Spiele auch schon hatten: Ein grottiges Verwaltungsmenü. Wir fordern deshalb: Schluss mit dem Menüdschungel!

Foto: "God of War"

Eigentlich ist der Kriegsgott Kratos ein unkomplizierter Typ. Mit Verwaltung oder Bürokratie hält sich der rabiate Glatzkopf für gewöhnlich kaum auf; wenn’s wo etwas zu Verprügeln gibt, wird draufgehauen, bis wieder Ruhe ist. Im vor kurzem erschienenen "God of War" geht die Kamera eng heran an den brachialen Helden, und gemeinsam mit einer ungewöhnlich intimen Vater-Sohn-Geschichte kommt uns der plötzlich menschlicher gewordene Kriegsgott ganz nah.

"God of War" bemüht sich sehr um Immersion – das Gefühl, tatsächlich in die Welt des Spiels einzutauchen und zu vergessen, dass man eigentlich mit einem Stück Plastik in den Fingern auf ein anderes, leuchtendes Stück Plastik starrt. Umso verblüffender, dass sich ein wesentlicher Teil der Spielerfahrung absolut nichts um diese Immersion schert – und seine Spielerinnen und Spieler in eine schwer durchschaubare Flut von Verwaltungsmenüs zwingt, die uns wieder und wieder aus diesem Flow herausreißen.

Ein Tastendruck und die eben noch faszinierend hautnahe mythische Sagenwelt verschwindet. Stattdessen: Inventory-Screen, Landkarten-Screen, Quest-Screen, Skill-Screen, Upgrade-Screen, Ausrüstungs-Screen. Hier ein paar Punkte zum Aufleveln verteilen, dort eine Item-Beschreibung nachlesen. Verteile ich meine Erfahrungspunkte auf diese Fähigkeit oder auf jene? Wie viele Secrets habe ich schon gefunden? Muss ich zum Grinden doch noch zu diesem Gebiet zurückteleportieren? Mist, falsche Taste gedrückt! Und was war nochmal meine Mission?

Wir spielen "God of War".
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Alles ist ein RPG

Ja, eh klar: Moderne Spiele – auch ehemals simple Actionspiele wie jene der "God of War"-Serie – sind heutzutage komplizierte Gebilde. Kaum ein Titel traut sich noch ohne irgendeine Form von RPG-Anteil zu seinem Publikum, denn die ständige Suche nach XP, Gold, Upgrades und Unlocks sorgt für eine Art von Langzeitmotivation und Wiederspielwert, die man ohne nicht mehr hinzukriegen glaubt. Es ist eine schleichende "Rollenspielifizierung" im Gange, ausgelöst durch den Welterfolg von MMOs und ihre spielmechanischen Strategien zur Spielerbindung.

Wo früher einmal zumindest bei Actionspielen die Feinheiten der Spielmechanik unterhalb der Oberfläche bleiben durften – etwa wie viel Trefferpunkte eine bestimmte Angriffsart verursacht -, wird seit einiger Zeit alles gut sichtbar und mit dem Enthusiasmus eines hyperaktiven Buchhalters aufgelistet: Item XY hat einen Stärkewert von 28, einen Verteidigungsbonus von 42 und erhöht die Vitalität um sieben Punkte, ein gesockelter Edelstein fügt einen Cooldown-Bonus von zwölf dazu und mit nur 52.000 SIlber lässt sich der Angriffswert um sexy drei Prozent erhöhen!

Ach, Kratos, du hitzköpfiger Gott des Zorns und der Aggression – warum muss ich diese Tabellenkalkulation anstarren, wenn ich eigentlich nur riesige Monster zu Klump schlagen will? Und: Ist es für diese Saga um göttliche Rache nicht irgendwie wurscht, ob ich 265 Damage pro Sekunde mache – oder doch nur 261?

Wir spielen "Far Cry 5".
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Tausend Systeme und Systemchen

Ein Nebeneffekt dieser ausufernden Pseudokomplexität ist eben ein ständig wachsender Dschungel an komplex ineinander verschachtelten Verwaltungsscreens, die den Überblick über all die ach so unbedingt nötigen neuen Systeme und Systemchen erlauben. Dumm nur, dass diese oft auf eine Art und Weise gestaltet sind, dass man zum Erlernen von deren Navigation länger braucht als zum Erlernen des eigentlichen Spiels. Muss das sein?

Dass der Irrtum vorherrscht, ein Mehr an Verwaltungsoptionen sei gleichbedeutend mit einem Mehr an Spielermöglichkeiten, zeigt sich aktuell auch am Action-Rollenspiel "Vampyr". Gut, als Rollenspiel mag die Notwendigkeit zur Verwaltung der typischen Komplexität unterhalb der Oberfläche noch irgendwie nachvollziehbarer sein als bei künstlich mit aufgepfropften RPG-Systemen verkomplizierten Actionspielen wie "God of War". Aber man kann es auch übertreiben: Gezählte 22 einzelne Menübildschirme (!) sind hinter den Kulissen für die Verwaltung unseres Blutsaugers anscheinend unbedingt notwendig. Gut, dass die Spielzeit stoppt, wenn man sich in dieses Labyrinth begibt – die Morgensonne hätte sonst verlässlich jeden Untoten zu Asche verbraten, bevor die allnächtliche Navigation durch diesen virtuellen Papierkram erledigt ist.

Beispiele gibt es viele. Besonders Open-World-Spiele wie "Shadow of War", die "Far Cry"-Serie oder "Dying Light" sind vom oft überbordend komplizierten Menü-Gestrüpp belastet, aber auch Multiplayer-/Sportspiele wie "PES", "For Honor" oder "Need for Speed" quälen ihr Publikum auf diese Weise. Und, und, und – es regiert der Irrtum, dass ein Mehr an Entscheidungsmöglichkeiten immer positiv sei.

Wir spielen "Shadow of War".
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Gutes Menü-Design ist schwer

Was für ein Jammer: Da gestalten hochbegabte Grafiker und Designer Spielwelten und -systeme, die in Sachen Immersion, Fotorealismus oder fantastischer Atmosphäre alle anderen visuellen Medien in den Schatten stellen – und dann werden Spielerinnen und Spieler regelmäßig dazu gezwungen, diese Welten in einen Pausemodus zu schicken, um durch Menüs zu waten, deren Bedienbarkeit knapp unterhalb jener von Shareware-Steuererklärungsprogrammen aus den 90ern liegen.

Natürlich sind die Input-Beschränkungen von Konsolen-Controllern auch ein Grund, warum die Navigation durch diese Screens auch mit Maus und Tastatur nicht so bequem und organisch von der Hand geht, wie sie sein könnte; doch diese Ausrede mutet angesichts des nun schon fast jahrzehntelangen Stagnierens der Bedienbarkeit schal an.

Fakt ist: Es ist ziemlich schwer, gut benutzbare grafische User-Interfaces zu designen; nicht umsonst legte Apple jahrelang größten Wert auf genau diese Benutzbarkeit und investierte beträchtliche Summen in die Arbeit der Superstars des Usability-Designs. Das lässt sich bei Betriebssystemen oder anderen "ernsthaften" Apps aber wohl leichter als Asset verkaufen und argumentieren als bei Spielen – da zählt die grafische Gestaltung des Gameplays auch dann ums Hundertfache mehr, wenn man letztlich gar nicht so wenig Zeit abseits davon in umständlichen Menüs verbringt.

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Weniger ist mehr

Dass das Menü-Design kaum jemals so viel Aufmerksamkeit bekommt wie andere Aspekte des Spiels, ist so gesehen nachvollziehbar. Wenn wir dank ausufernder "Rollenspielifizierung" aber dann trotzdem dazu gezwungen werden, effektiv Stunden in diesen Menüdschungeln zu verbringen, regt sich zumindest bei mir Groll. Ist es wirklich nötig, die oft vorbildliche Immersion durch diese Usability-Katastrophen mutwillig zu sabotieren? Wäre es wirklich zu viel verlangt, von all den zehntausenden Arbeitsstunden, die in die grafische Gestaltung großer Spiele fließen, ein paar mehr in die Optimierung der Bedienbarkeit der Menüs zu stecken?

Und ja: Wenn es die große Komplexität eines Spiels unbedingt verlangt, darf sich diese Komplexität natürlich auch in der Zahl und Komplexität seiner Bedienung niederschlagen. Es wäre aber nett, wenn uns diese Verwaltungsaufgabe nicht jedes Mal mit der Brutalität von Steuererklärungsformularen aus unseren Abenteuern als Kriegsgötter, Vampire, Krieger oder Fußballstars reißen könnten.

Drum, liebe Entwickler: Entweder ihr spart euch (und uns) diese Pseudokomplexität – oder ihr gestaltet sie so, dass sie zum Rest eurer tollen Spiele passen. Manchmal hat man eben das Bedürfnis, als Kriegsgott einfach draufzuhauen, bis wieder Ruhe ist. Dafür sollte man eigentlich kaum Verwaltung benötigen. (Rainer Sigl, 21.06.2018)