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A. Wess Mitchell, im US-Außenministerium zuständig für europäische und eurasische Angelegenheiten.

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Trump im August 2017 beim Natogipfel in Brüssel.

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Sein oberster Boss twittert. Er dagegen muss versuchen, die oft disparaten, mitunter sogar widersprüchlichen Politikansätze der gegenwärtigen US-Regierung konzeptionell einzufangen. A. Wess Mitchell ist seit knapp einem Jahr Assistant Secretary of State im US-Außenministerium und zuständig für europäische und eurasische Angelegenheiten. In der konservativen Heritage Foundation in Washington, D.C. gab er dieser Tage vor ausgewähltem Publikum Einblick in die Europastrategie der Regierung unter Präsident Donald Trump.

Freier Westen

Den freien Westen, sagt Mitchell, könne es ohne Europa nicht geben: "Die USA und Europa sind der freie Westen. Ein starkes und freies Europa ist im vitalen Interesse für die USA." Nach 1989 sei Europa zu einem "postgeopolitischen" und "posthistorischen" Kontinent geworden. Demokratie und freie Marktwirtschaft schienen überall verwirklicht, die USA hätten ihren Fokus auf den Nahen Osten und den Pazifik verlegt. Heute dagegen sei Europa wieder ein ernsthafter Schauplatz "geopolitischen Wettbewerbs". Und die Gegner, die die Amerikaner in dieser Auseinandersetzung ausgemacht haben, sind Russland und China.

Gegner China und Russland

"Beide bedrohen die Basis unseres Modells", erklärt Mitchell. Die Russen, indem sie es zerschlagen wollten. Die Chinesen, indem sie es durch ihr Gesellschaftsmodell zu ersetzen versuchten. Der freie Westen müsse dagegenhalten, vor allem ideologisch und nicht nur institutionell. "Wir müssen die Lücken schließen, die sowohl die Russen wie die Chinesen ungeniert ausnutzen." Das soll durch drei Maßnahmen geschehen: durch eine tiefere Verankerung der Allianz zwischen Europa und den USA, die Sicherung der östlichen Grenze und die Stärkung der Südflanke Europas.

Nato und Iran-Geschäfte

Die Nato (Donald Trump hat den Nordatlantikpakt mehrfach als "obsolet" bezeichnet) muss Mitchell zufolge ihre Fähigkeiten ausbauen. Die USA würden ihren Beitrag dazu leisten, aber auch die Europäer müssten mehr tun. Höhere Verteidigungsausgaben seien 2017 in fast allen Nato-Staaten erreicht worden. Jetzt müssten die Europäer noch mehr im Irak und in Afghanistan tun. Und sie müssten "Verantwortung für globale Probleme" wie den Iran aufbringen: "Geschäfte mit dem Iran zu machen ist keine Option", sagt Mitchell im Hinblick auf die Kündigung des Iran-Abkommens durch die USA.

Spielplatz Balkan

Der Balkan, so Mitchell, dürfe kein "Spielplatz für Russen und Chinesen" werden. Man werde sich in "schwachen Staaten" im Osten engagieren und nicht zulassen, dass diese durch "russischen Druck" oder "chinesisches Geld" (Mitchell erwähnt explizit die 16+1-Gespräche, die Peking mit zentral- und osteuropäischen Staaten forciert) unterminiert würden. Für die Ukraine werde es Waffenlieferungen geben. Gegen die Nordstream-2-Pipeline – Österreich ist mit der OMV bei deren Bau engagiert – träten die USA vehement auf: "Das erhöht die Abhängigkeit Europas und schadet der Sicherheit der gesamten Region."

Migrationsdruck

Im Mittelmeer wollen die USA laut dem Assistant Secretary ein Katalysator für den Migrationsdruck sein. Es werde an strategischen Partnerschaften mit Italien und Griechenland gearbeitet. Auch die Türkei müsse wieder näher an die Nato herangezogen werden.

Strafzölle

Und die Strafzölle, die die Amerikaner unter Berufung auf ihre nationale Sicherheit gegen die europäischen Verbündeten auf Stahl und Aluminium erlassen haben? Mitchell: "Wir müssen nicht überall einer Meinung sein. Wie in einer Familie muss man Dinge ausstreiten, dann wird man stärker. Beim Stahl gibt es Überkapazitäten in China, das ist das Problem. Dagegen vorzugehen ist in unserem gemeinsamen Interesse."

Extreme Fortführung Obamas

Ein paar Blocks weiter nordwestlich der holzgetäfelten Heritage Foundation sitzt Erik Brattberg in seinem schlichten Büro. Er ist Europadirektor einer renommierten Denkfabrik, des unabhängigen Carnegie Endowment. Für ihn ist klar: "Trump bedeutet das Ende der Illusionen für die Europäer." Schon unter George W. Bush, aber auch unter Barack Obama habe das transatlantische Verhältnis auseinanderzudriften begonnen. Trump sei gewissermaßen eine "extreme Fortführung" Obamas. Er sei der Ansicht, die USA würden von allen übervorteilt – auch von seit Jahrzehnten mit Washington verbündeten Staaten.

Nullsummen-Ansatz

Der Präsident habe, analysiert Brattberg, einen "Nullsummenansatz" in seiner Politik – es könne nur Sieger geben und Verlierer und nichts dazwischen. Damit könnten die Europäer nur schwer umgehen. Auch deswegen, weil Trump gemeinsame Interessen etwa China betreffend ohne Rücksicht auf Verluste unterminiere. Für diese US-Regierung spiele überdies die EU kaum eine Rolle. Washington verhandelt lieber mit den europäischen Hauptstädten als mit Brüssel – eine Strategie übrigens, die auch in Peking gefahren wird.

Keine Rolle für die EU

Dennoch, das transatlantische Verhältnis sei ein dicht gewobenes Netz aus gemeinsamen Interessen und gemeinsamer Identität, aus wirtschaftlicher Interdependenz und verbindenden Institutionen. So etwas zerreiße nicht über Nacht, meint Brattberg. Aber: "Die Europäer sollten davon abgehen zu glauben, sie könnten Trumps Weltsicht ändern." Das sei zuletzt dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und auch der deutschen Kanzlerin Angela Merkel bei deren Besuchen in D.C. vor der Strafzollentscheidung nicht gelungen. Stattdessen müsse Europa bis auf weiteres pragmatisch mit den Amerikanern zusammenarbeiten. Und wenn Trump wiedergewählt werden würde? Brattberg: "Das würde signalisieren: Das war kein Versehen. Amerika ist Trump." (Christoph Prantner aus Washington, 8.6.2018)