"Es ist bedauerlich, dass der Vizekanzler jedes Mal zündelt, wenn er zum Thema Europäische Union das Wort ergreift", sagte der Delegationsleiter der ÖVP-Abgeordneten, Othmar Karas.

Der EU-Abgeordnete Othmar Karas hat am Mittwoch Aussagen von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) kritisiert, wonach man die Personenfreizügigkeit für Arbeitnehmer überdenken beziehungsweise einschränken sollte: "Es ist bedauerlich, dass der Vizekanzler jedes Mal zündelt, wenn er zum Thema Europäische Union das Wort ergreift", sagte der Delegationsleiter der ÖVP-Abgeordneten am Mittwoch am Rande der Plenarsitzung in Straßburg ihm Gespräch mit dem STANDARD.

Mit seiner "permanenten Zündelei trägt er zu einem hohen Maß an Irritation bei, im Inland und im Ausland", befindet Karas. Wenn der FPÖ-Chef die Personenfreizügigkeit infrage stelle, "da rüttelt er an einer der vier Grundfreiheiten der Union und damit am Europäischen Binnenmarkt".

Das Grundrecht jedes EU-Bürgers, sich in jedem Mitgliedsland eine Arbeit zu suchen und – Inländern gleichgestellt – zu leben, gehört neben der Freiheit von Dienstleistungen, Kapital und Waren zu den tragenden Säulen der Gemeinschaftsverträge.

250.000 Österreicher im EU-Ausland tätig

Karas zeigt sich verwundert, dass die Häufigkeit negativer Äußerungen aus der FPÖ zur EU zunehme, obwohl es "gerade neue Regelungen gibt, die bei der Personenfreizügigkeit Grenzen setzen. Das EU-Parlament hat diese Woche eine neue Entsenderichtlinie beschlossen, die die Arbeitnehmer besser schützt", argumentiert der EU-Abgeordnete. Man könne aber nicht ständig Grundprinzipien der Union infrage stellen.

In der Union sei "vieles zu verbessern, die EU muss demokratischer und effizienter gemacht werden", räumt der ÖVP-Politiker ein, "es sind die Lehren aus der Globalisierung und den Krisen zu ziehen". Aber wenn Strache die Personenfreizügigkeit anzweifle, müsse er auch dazusagen, "dass 250.000 Österreicher im EU-Ausland arbeiten, dass 60 Prozent unseres Wohlstands außerhalb Österreichs erwirtschaftet werden". Dazu komme, dass das Gesundheits- und Sozialsystem, die Pflege alter Menschen ohne die mobilen Pfleger aus den Nachbarländern Slowakei und Ungarn, die Strache anspreche, nicht aufrechtzuerhalten seien.

"Nicht mit dem Problem politisch herumspielen"

Es wäre durchaus sinnvoll, Probleme beim Namen zu nennen, wenn sie bestehen, daher versuche er sich auch differenziert zu Strache zu äußern, betont Karas, aber: "Es reicht nicht, Probleme nur anzusprechen, man muss auch Lösungen vorschlagen. Wir müssen alles tun, damit die vier Grundfreiheiten in allen EU-Staaten gelebt werden können." Gerade deshalb sei es wichtig, dass man im neuen EU-Budgetrahmen von 2020 bis 2027 bei den Kohäsionsfonds nicht nur für Kürzungen eintrete, die ja dazu dienten, unterentwickelte Regionen zu fördern, damit dort keine Abwanderung entstehe. "Man muss soziale Ungleichheiten ausgleichen, aber nicht mit dem Problem politisch herumspielen", kritisiert er.

Karas hat die Sorge, dass die Verunsicherung an der Regierungsspitze in Sachen EU "zuerst bei Schengen, dann beim EU-Budget und jetzt bei der Personenfreizügigkeit nur eine Zündelei ist, aber nicht wirklich eine Problemlösung". Heikle Fragen seien in Europa nur lösbar auf Basis der Grundrechte und des Wertekanons, die Wirtschaftsunion solle zur Sozialunion ausgebaut werden, schlägt der EU-Abgeordnete vor. "Nicht lösbar" seien die Probleme mit "dem Ansatz des Bildes von Herrn Strache, der auf Nationalisierung setzt. Er hat auch noch gesagt, dass er für die Beibehaltung des Prinzips der Einstimmigkeit im EU-Ministerrat ist. Genau das, das nationale Veto, führt zum Mangel an Handlungsfähigkeit und Tempo bei der Problemlösung in der Union", sagt Karas, "und zwar genau beim sonst geforderten EU-Außengrenzschutz".

"Auf eine zündelnde Art und Weise wird mit Ängsten und Sorgen der Menschen gespielt, ohne das Gesamtprojekt EU zu stärken", kritisiert der Abgeordnete die Vorgehensweise Straches. Mit Nationalismus löse man Probleme nicht. (Thomas Mayer aus Straßburg, 30.5.2018)