Wien – Die Zahl der Terrorismusverfahren ist massiv gestiegen, sie hat sich von 68 im Jahr 2013 versechsfacht auf 423 im Vorjahr. Bisher gab es dafür keinen einzigen Richter oder Staatsanwalt mehr. Die Umsetzung der EU-Richtlinie Terrorismus wird den Gerichten noch mehr Arbeit bescheren, betont die Justizgewerkschaft in der Begutachtung und fordert zusätzliche Richter und Staatsanwälte.

Das von Justizminister Josef Moser (ÖVP) vorgelegte Strafrechtsänderungsgesetz 2018 erweitert sowohl die Zuständigkeit inländischer Gerichte als auch den Katalog der terroristischen Straftaten. So wird z.B. "Reisen für terroristische Zwecke" strafbar – und allein dazu werden laut dem Entwurf 50 Verfahren jährlich erwartet, im sonstigen Terrorismus-Bereich eine Zunahme um 20 Prozent.

"Wirkungsorientierte Folgenabschätzung"

Das Justizministerium sieht dennoch nur eine geringe personelle Belastung: 0,04 Vollzeitkapazitäten (VZK) werden für die Staatsanwaltschaften (inklusive Kanzleimitarbeiter), 0,03 VZK für die Gerichte als Mehraufwand aufgewiesen – und für die Ahndung des "Reisens für terroristische Zwecke" 0,08 VZK für die Staatsanwaltschaften (inklusive Kanzleimitarbeiter) und 0,06 VZK für die Gerichte.

Die GÖD-Bundessektion Richter und Staatsanwälte empört diese "Wirkungsorientierte Folgenabschätzung": "Diese Zahlen kann man nicht ernst nehmen, das ist ärgerlich und unseriös", sagte deren Vorsitzender Christian Haider zur APA. "Zusammengefasst soll ein Vierhundertstel Staatsanwalt bzw. Kanzleimitarbeiter eine seit 2013 erfolgte Zunahme an Terrorismusverfahren von beinahe plus 500 Prozent abdecken."

Mehr Arbeit durch neuen Strafbestand

Nur acht Prozent eines voll ausgelasteten Staatsanwalts bzw. sechs Prozent eines voll ausgelasteten Richters für 50 zusätzliche Verfahren (zum "Reisen") vorzusehen, sei viel zu wenig. Das zeige auch die Abschätzung zum ebenfalls in der Novelle enthaltene neuen Straftatbestand der Behinderung von Hilfeleistungen: Dazu werden jährlich 200 Verfahren erwartet und dafür 0,11 Richter-Vollzeitkapazitäten veranschlagt. Ein Strafrichter erledige aber pro Jahr rund 400 Verfahren – man müsste also 0,5 Vollzeitkapazitäten ansetzen, rechnete Haider vor.

Und Terrorismus-Verfahren seien wesentlich aufwändiger – mit viel zusätzlicher Arbeit durch Recherchen im Ausland, nötige Dolmetscher und Übersetzungen oder die ordnungsgemäße Abwicklung von Grundrechtseingriffen. Großverfahren wie die Dschihadisten-Prozesse binden eine ganze Abteilung monatelang. "Das alles wurde schon in den letzten Jahren nicht berücksichtigt", beklagt Haider, im Kanzleibereich sei sogar einiges an Personal abgebaut worden. Die Justiz-Gewerkschaft fordert jetzt mit Nachdruck zusätzliche Richter, Staatsanwälte und Mitarbeiter im Kanzleibereich.

Der Anfall an Terrorismusfällen wird in einer Statistik des Justizministeriums für 2017 mit 423 angegeben. 68 mal wurde Anklage erhoben wegen Terroristischer Vereinigung, Straftaten, deren Finanzierung, Ausbildung oder Aufforderung dazu, 39 Personen wurden verurteilt. 2013 gab es nur 68 Ermittlungsverfahren, sechs Anklagen und zwei Verurteilungen. Im Jahr darauf verdoppelten sich der Anfall und Anklagen, 2015 hatte die Staatsanwaltschaft schon 328 Terrorismus-Causen abzuarbeiten, sie erhob 56 mal Anklage und die Gerichte sprachen 32 Verurteilungen aus.

Ministerium: Personalstand abhängig von Gesamtsituation

Das Justizministerium weist die Kritik daran zurück, dass es trotz massivem Anstieg der Terrorismus-Verfahren kein zusätzliches Personal gibt. Man müsse die Gesamtsituation betrachten – und da "kann sein, dass einem Anstieg in einem Bereich ein Rückgang in einem anderen Bereich gegenübersteht", sagte Ministeriums-Sprecherin Britta Tichy-Martin am Mittwoch zur APA.

Es gebe zwar auf Extremismus-Taten spezialisierte Richter und Staatsanwälte in einzelnen Gerichten. Sollte es Engpässe geben, wäre es Aufgabe der betreffenden Gerichte, von anderen Bereichen mit weniger Anfall umzuschichten. Das Personalcontrolling habe jedenfalls immer die Gesamtsituation zu beurteilen. Und insgesamt seien die Anfallszahlen im Strafrechtsbereich nicht so stark angestiegen, dass mehr Personal nötig wäre, merkte Tichy-Martin an.

Sie trat auch der Kritik von Justiz-Gewerkschaftschef Christian Haider an der Wirkungsfolgenabschätzung entgegen. Dieser liege die im Jahr 2009 nach eingehenden Verhandlungen mit den Standesvertretern festgelegte Auslastungsberechnung zugrunde, die aktuell gerade gemeinsam evaluiert werde. Berechnet werde in der Folgenabschätzung nur der zu erwartende Mehraufwand durch die Gesetzesänderung. Das Ministerium sei von zehn Verfahren mehr pro Jahr nach Paragraf 278d Strafgesetzbuch (Terrorismusfinanzierung) und von 50 zusätzlichen Verfahren nach Par. 278g (Reisen für terroristische Zwecke) ausgegangen. (APA, 30.5.2018)