"Bei ORF 1 drängt die Zeit": ORF-1-Senderchefin Lisa Totzauer, hier bei der Präsentation von "Nationalraten" sagte das schon vor vielen Monaten. Erst am Freitag bestellte ORF-General Wrabetz die lange schon als fix gehandelte Kandidatin.

Foto: ORF/Thomas Ramstorfer

"Wenn ich mir die Quoten von ORF 1 ansehe, dann zählt jeder Tag. Bei ORF 1 drängt die Zeit." 267 dieser entscheidenden Tage von ORF 1 sind vergangen, seit Lisa Totzauer im Branchenmagazin Journalist zu Taten drängte. Es brauchte dieses Dreivierteljahr, bis ORF-Chef Alexander Wrabetz einen Senderchef für ORF 1 bestellt, der allein den einen Kanal im Blick hat und neu aufstellt: Lisa Totzauer.

Schon im Spätsommer 2017, als das forsche Interview mit der hemdsärmeligen ORF-1-Infochefin erschien, war das Problem des ersten ORF-Programms Jahrzehnte bekannt: Mit US-Serien und Hollywoodblockbustern, Fußball, Skifahren und Formel 1 lässt sich in Zeiten von Netflix, Amazon Prime sowie zahllosen Privatsendern wenig gewinnen. Und Premiumsportrechte meist nur noch verlieren, in Zeiten ebenso finanzstarker internationaler Pay-Plattformen wie Sky, Discovery und Dazn.

Der junge ORF-Kanal braucht mehr eigenes, österreichisches Programm – Wissensformate, Quiz und Infotainment etwa im Vorabend. Und mehr Information – ein tägliches "Nachrichtenmagazin" bereitet sie vor.

Schädliche Erwartungen

Die 47-jährige Journalistin prägt ORF 1 seit 2013 mit Entwicklungen wie Wahlfahrt, Dokeins-Dokus, Nationalraten und dem Onlineportal Meins. Bis 2012 war sie Sendungschefin der Zeit im Bild und wäre beinahe TV-Magazinchefin geworden – hätte sich der damalige Infodirektor Elmar Oberhauser nicht gegen sie als "ÖVP-Wunsch" quergelegt.

"Politische Zuordnungen sind für den ORF schädlich, für die Politik, für den Journalismus", erklärte Totzauer dem Journalist 2017: "Schädlich ist auch, wenn die Politik von jemandem, den sie zu etwas gemacht hat, dann etwas erwartet." Totzauer wird, nach einem Jahrzehnt Debatte über Channel-Manager, Senderchefin und vielleicht mehr im ORF – jedenfalls auch, weil die ÖVP etwas erwartet.

Freundin Mikl-Leitner

Mit Johanna Mikl-Leitner, heute Landeshauptfrau und ÖVP-Chefin in Niederösterreich, ist sie seit Ende der 1990er Jahre befreundet. Die Wienerin arbeitet damals gerade noch beim ORF-Niederösterreich, bevor sie zur ZiB 2 wechselt. Mikl-Leitner ist seit 1998 Geschäftsführerin der Landes-ÖVP.

Über Sebastian Kurz hat sie zu Geilomobil-Zeiten in der jungen ÖVP erstmals berichtet. Sie ist mit ihm per du. Seit Kurz ÖVP-Chef und Bundeskanzler ist, habe sie mit ihm wenige Sätze gewechselt, sagt sie.

Die Fama, sie wäre mit Kurz’ Vater sehr vertraut, stammt laut Totzauer von einem der "Punsch und Maroni"-Events des Außenminsters Kurz: Da habe ihr ein Kabinettsmitarbeiter erzählt, dass Papa Kurz da drüben ganz allein stehe. Totzauer, direkt wie gewohnt, geht zu dem älteren Herrn, plaudert und kennt nun ein paar schöne väterliche Erinnerungen an den jungen Sebastian.

Fechtkunst mit Degen

Zu ihrer journalistischen Arbeit haben auch anderen Lagern "zugeordnete" Kollegen bisher kaum Zweifel, aber viel Respekt geäußert. Mit Werner Mück, bürgerlicher Autokrat der ORF-Information unter ÖVP und FPÖ ab 2000, krachte sie als ZiB 2-Redakteurin zusammen, etwa als sie den damaligen Kanzler Wolfgang Schüssel an ganz andere Aussagen zu Pensionsreformen erinnerte.

Konfrontation sieht sie schon länger sportlich: Totzauer focht im Nationalteam. Mit dem Degen, einem eher männlich konnotierten Sportgerät. Auf einem Fechtlager lernte sie Ende der 1980er ihren heutigen Mann kennen, ein Unternehmensberater, sie haben einen Sohn und eine Tochter.

Hosenrolle

Maßgebliche bürgerliche ORF-Stiftungsräte finden Totzauer etwas zu "autonom". Oder lassen mit Einwänden über ihr Auftreten und Äußeres – meist Hosen, Jeans, Shirt, Sakko – aufhorchen, wenn das Thema auf Karriereaussichten Totzauers kommen. Totzauer wurde aber auch in Fraktionssitzungen der bürgerlichen ORF-Räte gesichtet. Kurz' Umfeld soll ihre direkte Art auf dem großen politischen Taktikexerzierplatz ORF positiv auffallen.

Im Herbst sind neun Dokeins-Termine für Österreichs Bundesländer reserviert, Totzauer verspricht "humorvolle, weltoffene, intelligente" Zugänge zur Regionalität. Auch zu Europa entwickelt sie etwas noch ungenannt "Neues" im Jahr von Österreichs EU-Präsidentschaft.

Mehr als Bundesliga-Highlights

Die einstündige Infoshow dürfte sich bis Herbst nicht ausgehen, jedenfalls nicht täglich. Schon ein eigenes Studio braucht – bei aller Baustellenerfahrung auf dem Küniglberg – eine Weile. Auch wenn jeder Tag zählt für ORF 1.

Aber spätestens zum Start der Fernsehsaison 2018/19 wird von einer neuen Channel-Managerin programmliche Bewegung im Sender erwartet – über die neue Bundesliga-Highlightshow am Samstag und Sonntag um 19.30 Uhr hinaus, und auch deren gestalterisches Gelingen ist eine Herausforderung.

Ebenso erwartet wird Bewegung in den Marktanteilen – ORF 1 trug mit neun Prozent im Gesamtpublikum und knapp 13 bei den Zuschauern bis 49 zum schlechtesten ORF-Quotenmonat der Geschichte bei, der Mai lief bisher kaum besser. Der Einser lag mit Stand Freitag bei neun Prozent im Gesamtpublikum.

"Einvernehmen" mit Wrabetz und Zechner

Doch für einen – womöglich notwendiger – fundamentalen Umbau des Programmschemas ist die Ausgangslage alles andere als ideal: ORF 1 kann Totzauer auch als Senderchefin mit eigenem nicht autonom führen. Sie braucht laut Organisationsanweisung in vielen Punkten das Einvernehmen mit ORF-Chef Alexander Wrabetz, mit Programmdirektorin Kathrin Zechner oder gleich mit beiden – die beileibe nicht immer einer Meinung sind.

Führungskräfte-Programm

Ein radikalerer Umbau – selbst ein punktgenauer – kann zudem zunächst Marktanteile kosten. 2019 dürfte die Regierung mit einem neuen ORF-Gesetz statt des Alleingeschäftsführers im öffentlich-rechtlichen einen Vorstand mit mehreren Mitgliedern einrichten und besetzen. Eine frische Delle in den Marktanteilen des Channels könnte da eher stören.

Totzauer fliegt nun erst einmal nach Barcelona zum Executive Program der europäischen Rundfunkunion EBU für Führungskräfte von Medienhäusern, die dort lernen sollen, "erfolgreiche Strategien zu entwickeln, die ihr Unternehmen zukunftssicher machen und ihre Mitarbeiter zu Höchstleistungen motivieren". Könnte man noch brauchen, auch im ORF. (Harald Fidler, 26.5.2018)