Günter Bresnik: "Es geht mir um Leistung."

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Die Formkurve zeigt vor den French Open nach oben: Dominic Thiem.

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STANDARD: Ist Dominic Thiem der einzige Spieler, der Rafael Nadal in Paris auf dem Weg zum elften Titel stoppen kann?

Bresnik: Nein, es gibt eine Vielzahl an Spielern, die gefährlich sein können. Novak Djokovic könnte ihn schlagen. Auch Marin Cilic oder Grigor Dimitrow. Alexander Zverev ist sowieso ein Kandidat. Wir haben in Rom gesehen, dass auch ein Fabio Fognini einem Nadal unangenehm werden kann.

STANDARD: Fakt ist aber, Thiem ist der einzige Spieler, der Nadal in den vergangenen zwei Saisonen auf Sand besiegen konnt. Und das gleich zweimal.

Bresnik: In Paris geht es aber auf drei gewonnene Sätze. Und dann wird es umso schwerer. Das Faszinierende an Nadal ist ja nicht nur, auf welch hohem Niveau er spielen kann, sondern vor allem, wie lange er das ohne gröbere Einbrüche durchhält. Dominic ist dazu nicht immer imstande. Wenn es ihm allerdings aufgeht, ist Nadal selbst auf Sand in Schwierigkeiten.

STANDARD: Welche Schlussfolgerung kann man aus dem Triumph in Lyon ziehen?

Bresnik: Er hat mit Feuer gespielt. Ein Turniersieg ist immer gut für das Selbstvertrauen. Gegen einen Nadal oder Zverev würden die gezeigten Leistungen aber nicht reichen. Da muss man realistisch bleiben.

STANDARD: Thiem hat bei den French Open zuletzt zweimal in Folge das Halbfinale erreicht. Gebietet es der sportliche Ehrgeiz, diesmal das Endspiel anzustreben?

Bresnik: Ich definiere die Ziele nie über das Erreichen einer bestimmten Runde. Dominic soll seine Stärken pflegen und seine Schwächen ausmerzen. Das gelingt ihm in dieser Saison, er spielt heuer besser Tennis als im vergangenen Jahr. Auch wenn sich die Leistungssteigerung in den Ergebnissen nicht so drastisch niederschlägt.

STANDARD: Kann ein Spieler tatsächlich den Druck der zu verteidigenden Punkte ausblenden?

Bresnik: Die Journalisten sprechen gern darüber, und Dominic steigt darauf ein. Ich mag diese Vorstellung des Verteidigens nicht. Wenn ich im Vorjahr einen kapitalen Hirsch geschossen habe, hängt irgendwo ein Geweih an der Wand. Aber die Jagd fängt heuer wieder bei Null an. Was gestern war, ist für einen Sportler bedeutungslos.

STANDARD: Sie haben die Verbesserungen in Thiems Spiel angesprochen. In welchen Bereichen haben die stattgefunden?

Bresnik: Er ist körperlich besser in Form, er ist richtig fit. In puncto Ausdauer dürfte er auch bei einem Grand-Slam-Turnier keine Probleme bekommen. Service, Return und Rückhand sind stärker geworden. Die Gefährlichkeit bei der Vorhand hat er beibehalten.

STANDARD: Warum lässt sich die Steigerung nicht an der Weltrangliste ablesen?

Bresnik: Dominic war in dieser Saison krank und verletzt. Und dies jeweils zu einem Zeitpunkt, als sein Spiel zu laufen begann. Nach Doha war er rund zehn Tage außer Gefecht. Nach Indian Wells fiel er nochmal fünf Wochen aus. Anschließend braucht es eben Zeit, um wieder zur Topform zu finden.

STANDARD: Diese Form schien er beim Sieg gegen Nadal in Madrid gefunden zu haben. Es folgten die Finalniederlage gegen Zverev und die Auftaktniederlage gegen Fognini in Rom. War das, wohlgemerkt auf hohem Niveau, enttäuschend?

Bresnik: Die Niederlage gegen Fognini hat mich nicht schockiert. Das ist ein starker Gegner, und Dominic hat nicht sein bestes Tennis gezeigt. Wenn er seine Bestform abrufen kann, verliert er gegen keine Handvoll Leute mehr. Und auch die müssen dann ihr Bestes zeigen. Im Endspiel gegen Zverev in Madrid war er weit unter seinen Möglichkeiten.

STANDARD: In der Weltrangliste steht Zverev als Dritter deutlich vor Thiem auf Rang acht. Was macht der Deutsche besser?

Bresnik: Er serviert besser. Das Paket aus Aufschlag und Return ist bei Zverev etwas stärker, weil konstanter. Dominic hat beim ersten Aufschlag eine Quote von 50 bis 55 Prozent, Zverev steht zwischen 65 und 70 Prozent. Dadurch ist er bei den eigenen Aufschlagspielen kaum anzugreifen, schenkt kaum ein Game her. An der Grundlinie schätze ich Dominic stärker ein.

STANDARD: Aber auch dort zeigt Thiem immer wieder Formschwankungen. Warum kann er sein maximales Potenzial nicht häufiger abrufen?

Bresnik: Es ist ihm dieses Jahr tatsächlich selten gelungen. Gegen Nadal in Madrid hat er es geschafft. Das war schon beeindruckend, er hat zwei Wochen zuvor 0:6, 2:6 verloren. Dass er aus dieser Situation heraus so gutes Tennis spielen kann, ist erstaunlich. Man sieht also, er kann es. Allerdings kann er es nicht dauerhaft, nicht tagein, tagaus.

STANDARD: Welche Erklärung haben Sie dafür?

Bresnik: Ich habe keine. Wenn ich eine hätte, könnten wir reagieren, irgendwo ansetzen. Er trainiert sehr konzentriert, er ernährt sich ordentlich, er lebt das asketische Leben eines Vollprofis. Die Schwankungen sind auch im Training zu beobachten, sind also keine Folge einer gesteigerten Nervosität in den Matches.

STANDARD: Hat man da als Trainer das Gefühl anzustehen?

Bresnik: Wenn Sie wollen, kann man es anstehen nennen. Solange ich keine Lösung gefunden habe, stehe ich an. Wenn man einen Spieler so lange kennt, der Zugang so gut ist, besteht aber immer noch die Möglichkeit, Dinge zu ändern. Wir müssen uns am Krawattl nehmen. Alle Betreuer müssen gemeinsam mit Dominic klären, was da los ist.

STANDARD: Die Erwartungshaltung der österreichischen Tennisfans ist hoch. Wenn Thiem wie bei den Australian Open oder in Barcelona gegen einen Außenseiter verliert, gibt es auch ungehaltene Kritik. Fehlt der Öffentlichkeit der Realismus?

Bresnik: Die Enttäuschung ist nachvollziehbar. Auch ich bin enttäuscht, wenn er in Barcelona gegen Stefanos Tsitsipas verliert, Dominic ebenso. Aber ich bin nicht viel weniger enttäuscht, wenn er gegen Nadal, Djokovic oder Federer verliert. Es geht mir um Leistung, und gegen Tsitsipas war die Leistung definitiv schwach.

STANDARD: Ist Enttäuschung auch eine Form der Anerkennung?

Bresnik: Wenn Marcel Hirscher die ersten fünf Saisonrennen nicht klar, also mit zwei Sekunden Vorsprung, gewinnt, sind die Leute auch enttäuscht. Das größte Kompliment, das man einem Sportler machen kann. (Philip Bauer, 26.5.2018)