Die mit Abstand erfolgreichste Single des Jahres 1968, Heintje mit "Mama".

Foto: Wien, Sammlung Viktor Kabelka

Wien – Schon während der gesamten vorangegangenen 1960er-Jahre wurde mittels Pop- und Rockmusik und zentralen britischen Bands wie den Beatles und den Rolling Stones oder US-Songwriter-Gottheit Bob Dylan der Boden für die große Revolution der Gegenkultur bereitet, mit der das Schicksalsjahr 1968 gern in Verbindung gebracht wird. Doch im Jahr 1968 selbst beziehen angesichts der Ermordung Dr. Martin Luther Kings, dem Fall Saigons, den Pariser Studentenunruhen, dem Attentat auf den deutschen Studentenführer Rudi Dutschke, dem Brandanschlag von Andreas Baader und Gudrun Ensslin auf ein Kaufhaus in Frankfurt und so weiter und so fort nur wenige Künstler direkt Stellung gegenüber den großen politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen, die da noch kommen sollen.

Heimatfilme

Speziell im deutschsprachigen Raum werden die Hitparaden von ganz anderen musikalischen Kalibern bestimmt. Zwar finden sich unter den Nummer-eins-Hits des Jahres mit Hey Jude von den Beatles, Jumpin' Jack Flash von den Rolling Stones oder, mit einjähriger Verspätung, auch San Francisco von Scott McKenzie ("There's a whole new generation / With a new explanation") durchaus zeitgenössisch-relevante Störgeräusche in den Charts. Neben Peter Alexander oder Udo Jürgens gehört das Jahr 1968 aber einem 13-jährigen Niederländer. Heintje feiert nicht nur mit Du sollst nicht weinen und Heidschi Bumbeidschi sagenhafte Erfolge. Das Jahr gehört vor allem seinem Überhit Mama, der mit großem Abstand erfolgreichsten Single des Jahres: "Mama, du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen ..."

Musik von der dunklen Seite

1968 ist musikalisch natürlich ein Jahr des großen Umbruchs. Der politisch dann doch etwas milde, beziehungsweise spekulativ ausfallende Kommentar der Rolling Stones in Gestalt des Songs Street Fighting Man wird auf dem Album Beggar's Banquet allerdings erst ganz am Ende des Jahres erscheinen. Revolution von den Beatles und das "weiße Album" kommen auch erst im November 1968. Bob Dylan bricht nach seinem schweren Motorradunfall 1966 mit dem Album John Wesley Harding zwar sein langes Schweigen. Er gibt sich allerdings streng unpolitisch. Das Musical Hair feiert zwar in New York schon im April Premiere. Es ist aber noch weit davon entfernt, ein Welterfolg zu sein.

Steve Kozak

In der Rockmusik fernab der Hitparaden und teilweise unter Ausschluss einer größeren Öffentlichkeit allerdings erscheinen damals zukünftige Klassiker. Neben dem besagten "weißen", schlicht The Beatles betitelten Album und Beggar's Banquet, das auch Sympathy for the Devil enthält, wären da speziell Jimi Hendrix' Opus magnum Electric Ladyland oder das immer wieder als bestes Album aller Zeiten gewählte Astral Weeks von Van Morrison zu erwähnen. Simon & Garfunkels Bookends mit Mrs. Robinson erscheint, der Soundtrack für den gesellschaftlich nicht unwesentlichen, schon 1967 veröffentlichten Film Die Reifeprüfung (The Graduate) mit Dustin Hoffmann.

Mit White Light / White Heat führen Lou Reed und The Velvet Underground den Rock 'n' Roll einmal mehr auf die dunkle Seite. The Doors gelangen mit Waiting For The Sun und Hello, I Love You an ihren kommerziellen Karrierehöhepunkt. Johnny Cash bemüht den Outlaw-Mythos auf dem Livealbum At Folsom Prison und Frank Zappa oder The Grateful Dead setzen das Konzept des Freak-out auf We're Only In It for The Money oder Anthem Of The Sun zumindest musikalisch in die Tat um.

JohnnyCash1Fan1

Eine der im Nachhinein wichtigsten Bands des Jahres, MC5 aus Detroit, nimmt im Herbst 1968 ihr im darauffolgenden Jahr erscheinendes Debüt auf: "Kick out the jams, motherfuckers!" Wer es damals gern jenseits von Schlager etwas deftiger, aber nicht zu modern tönend hat: Tom Jones und sein Brunftgesang Delilah sind heute ebenso unvergessen wie Massachusetts von The Bee Gees. (Christian Schachinger, 27.5.2018)