Wien – Martina Krainz, Vorsitzende des Schöffengerichts im Prozess gegen Samir H., hat es nicht leicht. Denn Farsi scheint eine recht blumige Sprache zu sein. Sowohl bei dem 39-jährigen Angeklagten als auch bei seinen drei Freunden beendet die Vorsitzende ihre Fragen mit der Bitte, mit Ja oder Nein zu antworten – und erhält dann ungefähr 30 Sekunden lange Antworten, die, wie sich nach der Übersetzung herausstellt, wenig mit der Frage zu tun haben.

Der unbescholtene H. soll am späten Abend des 10. Oktobers versucht haben, in seiner Pizzeria in Wien-Ottakring eine Bekannte zu vergewaltigen. Laut Staatsanwältin Martina Semper soll der Gastronom nach einer privaten Feier Frau T. zunächst gegen die Wand gedrückt, unter ihrer Kleidung betastet und zum Geschlechtsverkehr aufgefordert haben.

Mit Glasscherbe bedroht

"Die Frau hat sich dann bewusstlos gestellt, was aber nichts nutzte: Der Angeklagte hat eine Wodkaflasche auf den Boden geschmissen und sie mit einer Glasscherbe bedroht", sagt die Anklägerin. Danach soll H. kurz von der Frau abgelassen haben, vor dem Lokal packte er sie aber wieder und schlug sie ins Gesicht, ehe aufmerksame Passanten der jungen Frau zu Hilfe kamen.

H. bestreitet die Vorwürfe vehement: "Ich kenne die Frau seit zweieinhalb Jahren, sie war Gast in meiner Pizzeria." Am Tag der Tat habe ihn ein Freund angerufen, da die Frau nach ihm gefragt habe. Er kam in sein wegen Bauarbeiten geschlossenes Restaurant, die Frau, drei Freunde und er hätten gemeinsam zwei Flaschen Wodka getrunken.

"Sie war sehr betrunken, ihr war schlecht, ich habe sie dann vor das Lokal gebracht. Dort hat sie gesagt, ich soll mit ihr entweder noch woanders hingehen oder ihr 100 Euro geben, sonst fängt sie zu schreien an." Er habe ihr den Mund zugehalten, um die Nachbarn nicht zu stören, schließlich sei er aber weggegangen, beteuert der 39-Jährige. "Und können Sie sich erklären, warum die Frau Sie beschuldigen sollte?", fragt Krainz. "Sie hat von Anfang an gesagt, es geht ihr nicht gut, da sie einen negativen Asylbescheid bekommen hat", hört sie als etwas kryptische Antwort.

Ehepaar mit Zivilcourage

H.s Pech: Es gibt unbeteiligte und durchaus glaubwürdige Zeugen. Ein junges Ehepaar hörte auf der anderen Straßenseite eine lautstarke Auseinandersetzung, an deren Ende das Opfer "Hilfe, er will mich ficken!" schrie. Die Passanten kamen zu Hilfe und verständigten die Polizei. Beide sind sich als Zeugen sicher, dass die Frau eine blutende Wunde an der Oberlippe hatte und definitiv nicht stark betrunken war.

"Sie war wahnsinnig aufgelöst", schildert Zeuge G. den Zustand der Frau. "Die Polizei scheint dann auch die Rettung verständigt zu haben." T. wurde zwei Tage stationär im AKH behandelt, weder die einschreitenden Polizisten noch die Ärzte nahmen eine Alkoholisierung wahr.

Die Frau wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit und in Abwesenheit des Angeklagten befragt, H. muss auf die Aussagen seiner Freunde hoffen. Die Hoffnung wird allerdings eher enttäuscht. Der Erste sagt, er habe eigentlich gar nichts mitbekommen, die anderen beiden verwickeln sich derart in Widersprüche, dass die Staatsanwältin eine Protokollabschrift beantragt, um gegen das Duo ein Verfahren wegen falscher Zeugenaussage und Begünstigung einzuleiten.

Zeuge schickte Opfer SMS

Die Männer behaupten unter anderem auch, dass Frau T. schwer betrunken gewesen sei – weil sie tanzte und lustig war. Mahdi N. berichtet beispielsweise auch, dass H. nach dem Vorfall über nichts Ungewöhnliches berichtet habe. N. hat allerdings auch ein Problem: Die Polizei fotografierte SMS, die er Frau T. am nächsten Tag geschickt hat.

"Sie hat mir ihre Nummer gegeben, weil sie sich treffen wollte. Am nächsten Tag hat sie mich angerufen und gesagt, sie ist im Spital." Krainz kann kontern: "Die Polizei hat die SMS-Konversation fotografiert. Und Ihre erste Frage an Frau T. ist: 'Was hast Du der Polizei gesagt, wieso machst Du sowas?' Wie kommen Sie darauf? Angeblich ist ja gar nichts passiert?". Der Zeuge kann darauf nicht viel antworten.

Am Ende kommt es zu einer ungewöhnlichen Situation. Privatbeteiligtenvertreterin Sonja Scheed fordert für ihre Mandantin den Zuspruch von 660 Euro Schmerzensgeld. H. scheint das Konzept des Schmerzensgeld nicht ganz zu verstehen: "Ich wäre prinzipiell bereit. Wenn das die Strafe ist, dann zahle ich das." Seine Verteidigerin Silvia Vinkovits versucht ihm klar zu machen, dass ein seltsamer Eindruck entsteht, wenn er die Tat leugnet, aber eine Entschädigung zahlt. Den Angeklagten ficht das nicht an: "Ich bezahl das, kein Problem", gibt er zu Protokoll.

Erledigt ist die Sache damit für ihn nicht: Der Senat verurteilt ihn wegen versuchter Vergewaltigung und Nötigung nicht rechtskräftig zu zwei Jahren Haft, acht Monate davon sind unbedingt. (Michael Möseneder, 26.5.2018)