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Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel zu Besuch bei Chinas Premier Li Keqiang.

Foto: Wu Hong/Pool Photo via AP

Wenn Chinas Führer ausländische Staatsgäste treffen, dürfen Journalisten nur wenige Minuten deren Eingangsstatements lauschen, bevor sie den Saal verlassen müssen. Meist bekommen sie nur freundliche, belanglose Floskeln zu hören. So war es auch am Donnerstag, als Premier Li Keqiang die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in der Großen Halle des Volkes willkommen hieß. Er lobte ihren elften Besuch in China. Merkel dagegen nutzte die Zeit, in der die Journalisten noch zuhören durften, um gleich zur Sache zu kommen. Beide Seiten seien in ihren Beziehungen so eng, dass sie nicht nur offen miteinander redeten, sondern auch gemeinsam nach Lösungswegen suchten. Merkel sprach auch Menschenrechte an. Sie erlaubte sich, ohne den Gastgeber zu verprellen, die Mahnung: "Wir müssen aufpassen, auch alles ausfüllen zu können, was wir vereinbaren."

Auf ihren Peking-Reisen hat die Kanzlerin gelernt, dicke Bretter in China zu bohren. Doch schon bei der Pressekonferenz der beiden Regierungschefs zeigte sich, dass einige Unterschiede unüberbrückbar sind. Als ein Journalist Chinas Premier nach dem Schicksal der seit acht Jahren unter Hausarrest stehenden Liu Xia fragte, der Witwe des verstorbenen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, antwortet Li ausweichend: Humanität sei für China ein "großes Anliegen". Beide Seiten würden auch über Einzelfälle sprechen. Den Namen Liu Xia aber nahm er nicht in den Mund. Als später das chinesische Phönix-Nachrichten-TV eine Aufzeichnung der Pressekonferenz sendete, wurde die Frage einfach rausgeschnitten.

Einigkeit bei Nordkorea und Iran

Einig waren sich Li und Merkel, als es um Nordkorea ging. Sie appellierten gemeinsam an Washington und Pjöngjang, das Treffen am 12. Juni in Singapur durchzuführen – vonseiten der USA wurde dieses aber mittlerweile abgesagt. Auch in der Frage des Iran-Paktes, den Deutschland und China einst mitverhandelten und unterzeichneten, ziehen Berlin und Peking an einem Strang, um ihn trotz der Aufkündigung durch die USA zu verteidigen. Merkel nannte allerdings die Realitäten. Europas Unternehmen würden aus dem Iran abziehen, wenn Washington seine Sanktionen umsetzt. "Andere Staaten würden in den Iran gehen." Gemeint sind chinesische Firmen, die, wie Premier Li sagte, sich nur an Sanktionsbeschlüsse der Vereinten Nationen halten.

Mit am Tisch – wenn auch namentlich nicht genannt – saß US-Präsident Donald Trump immer dann, wenn sich Peking und Berlin gegen Protektionismus aussprachen. Auch Präsident Xi Jinping sagt zu Merkel, ohne den Namen Trump zu nennen: "Wir möchten mit der deutschen Seite in einem multilateralen Rahmen eine globale Ordnung und den Multilateralismus voranbringen."

Trotz solcher wuchtigen Worte hat der China-Besuch Merkels vor allem wirtschaftliche Schwerpunkte. Er soll eine gemeinsame Kabinettssitzung beider Regierungen am 9. Juli in Berlin vorbereiten, auf der Wirtschaftsverträge und die Zusammenarbeit bei neuen digitalen Projekten wie dem autonomen Fahren vereinbart werden sollen.

Klartext mehrerer Teilnehmer

Die deutsch-chinesischen Differenzen kamen auf dem mit Unternehmern beider Länder besetzten beratenden Wirtschaftsausschuss zu Wort, der unter Leitung der Regierungschefs stattfand. Merkel lobte am Ende die offenherzige Aussprache als "emanzipiert und selbstbewusst." Ein Teilnehmer sagte, dass nicht nur die Sprecher der Verbände, sondern auch die sich sonst zurückhaltenden Firmenchefs "diesmal Klartext sprachen". Das galt auch für die Kanzlerin. Deutsche Unternehmer sollten in China gleichberechtigten Zutritt zum Markt haben, so "wie wir ihn zu Hause auch geben, denn ansonsten wird es dazu führen, dass wir China gegenüber auch Einschränkungen und vielleicht zu viele Einschränkungen machen, und das wäre nicht gut".

Merkel kritisierte zugleich die "zu vielen vagen Formulierungen" im umstrittenen Cybersecurity-Gesetz, die Missbrauch ermöglichten. Darunter fallen etwa der Zwang zur lokalen Datenspeicherung oder zur Offenlegung von Sicherheitsstandards. "Daten sind der Rohstoff der Zukunft." Sie müssten sicher sein. "Wir haben nie verlangt, Quellcodes gegenüber Dritten offenzulegen", sagte darauf Premier Li. "Das ist ein totales Missverständnis." Es war das erste öffentliche Versprechen, dass Peking nicht versucht, mithilfe des neuen Gesetz an die Verschlüsselungstechnologien und die Software ausländischer Firmen zu kommen.

Benachteiligung beklagt

Bei der Sitzung "kam alles auf den Tisch", sagten Beteiligte. Deutsche Investoren kritisierten etwa auch KP-Parteizellen, die Peking in den Firmen auf Führungsebene ansiedeln will. Chinesische Unternehmen beschwerten sich auch. Banken In Deutschland etwa fühlten sich gegenüber anderen Geldhäusern benachteiligt und im Markt überreguliert.

Premier Li gestand ein, dass bei Chinas Reformen im Dienstleistungssektor und bei den Finanzen "noch ein Stück Arbeit zu bewältigen ist". Seine Bereitschaft dazu und Pekings neue Flexibilität, sich auf die Debatte über seinen Reformbedarf einzulassen, so sagte ein Teilnehmer, sei auch eine Reaktion auf Trumps "America First"-Politik. (Johnny Erling aus Peking, 24.5.2018)