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Wenn Italien in seinen Schulden ertrinkt, geht es auch mit der EZB den Main hinunter.

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In der Eurozone – aber auch außerhalb – wurden in den letzten Tagen schlimmer Erinnerungen wach. Die Regierungsbildung in Italien hat Ängste geschürt, die eigentlich seit sechs Jahren der Vergangenheit angehörten. Damals sorgte die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrem Programm zum Kauf von Staatsanleihen für Entspannung der sich seit 2010 immer weiter zuspitzenden Eurokrise. Nach Griechenland mussten damals Irland und Portugal unter den Rettungsschirm der Währungsunion, Spanien benötigte Hilfen für die angeschlagenen Banken.

Dass das Vertrauen in die Eurozone trotz einer Rettungsaktion nach der anderen nicht zurückkam, lag vor allem an Italien. Jeder Teilnehmer an den Finanzmärkten wusste, dass das 2,3-Billionen-Schulden-Problem Roms zu groß für die Schutzmechanismen der Eurozone sein wird. Daher wurden italienische Staatsanleihen kritisch beäugt – zu groß war das Risiko für Investoren, das geborgte Geld nicht mehr zurückzuerhalten.

Problem eins: Risiko für Eurozone ist gestiegen

Bis eben 2012 ein gewisser Mario Draghi die Situation entschärfte. Der Chef der Europäischen Zentralbank sicherte zu, Anlegern ihre Papiere abzukaufen. Das Risiko wurden sie damit faktisch los. Doch viele Ökonomen meinen, dass dadurch nur Kosmetik betrieben worden sei, ohne dass substanzielle Änderungen erfolgt wären. Erschwerend kommt hinzu, dass das Eurosystem indirekt eine Haftung für Italien eingegangen ist, die nun schwer wiegt.

Die Währungsunion ist im Zuge des Ankaufsprogramms zum größten Gläubiger Roms geworden. 340 Milliarden Euro schuldet Italien den Partner-Notenbanken. Hier kommen die Pläne der neuen Regierung ins Spiel. Mit Ankündigungen, ein Grundeinkommen einzuführen, Steuern zu senken oder Pensionsreformen zurückzunehmen, dürfte der Haushalt massiv belastet werden. Sollte das Land auch nur einen Teil der Kredite im Eurosystem nicht zurückführen können oder wollen, würde das die Zentralbanken ordentlich ins Wanken bringen.

Di Maio (links) und Salvini haben die Märkte schon in den Koalitionsverhandlungen verschreckt.
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Das Problem beschränkt sich aber nicht nur auf die direkten Ankäufe von Staatsanleihen. Im Eurosystem werden Transaktionen nicht zentral über die EZB, sondern dezentral über die nationalen Notenbanken abgewickelt. Fließt Geld aus Italien ab, steigen die Forderungen der anderen Notenbanken gegenüber der italienischen. Abgerechnet werden die verschiedenen Geldflüsse über das sogenannte Target2-System. Die Salden sprechen Bände: Seit 2011 haben sich die Verbindlichkeiten Italiens gegenüber den anderen Notenbanken auf 442 Milliarden Euro mehr als verdoppelt.

Spiegelgleich verlief die Entwicklung in Deutschland: Die Forderungen in Target2 haben sich in dem Zeitraum ebenfalls verdoppelt, und zwar auf 923 Milliarden Euro. Nun streiten Ökonomen zwar leidenschaftlich über die Relevanz dieser Daten, doch eines ist ziemlich unbestritten: Sollte ein Land – in dem Fall Italien – aus der Eurozone austreten, wären die Forderungen perdu.

"Die Verluste, die daraus potenziell entstünden, dass ein Land seine Verbindlichkeiten gegenüber der EZB nicht vollständig erfüllt, würden nach den Kapitalanteilen auf die verbleibenden nationalen Zentralbanken des Eurosystems aufgeteilt", heißt es etwas technisch in einem Bericht der Deutschen Bundesbank zu Target2. Auf die Oesterreichische Nationalbank allein entfielen somit rein rechnerisch rund neun Milliarden Euro, sollte Italien die Währungsunion verlassen.

Problem zwei: Regierung beflügelt Spekulationen

Das klingt alles höchst unrealistisch, doch die neue Regierung hat einiges unternommen, um Spekulationen anzuheizen. In einer ersten Fassung des Koalitionsvertrags war von einem Schuldenschnitt in Höhe von 250 Milliarden Euro die Rede, den die EZB stemmen soll. Auch die Vorbereitung eines Referendums betreffend den Euro-Austritt Italiens wurde thematisiert. Auch wenn beide Punkte mittlerweile nicht mehr Teil des Programms sind, bleibt die Skepsis.

Dass unter einer Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega Nord ein Schuldenschnitt kein Tabu sein könnte, hat auch unter Volkswirten die Runde gemacht. Die sehen das zum Teil gar nicht so negativ. Daniel Stelter etwa meint zum Schuldenschnitt: "Diese Idee ist gar nicht so verrückt, wie sie klingt." Der Deutsche hält die Verschuldung schon seit Jahren für nicht tragfähig. Auch der frühere britische Finanzaufsichtschef Adair Turner hat sich dafür ausgesprochen, dass Zentralbanken Schulden aufkaufen und streichen.

An den Finanzmärkten gab es ob dieser Debatten nach längerer Pause wieder einmal Aufregung, wenngleich keine Panik ausbrach. Doch die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen ließen die Renditen immerhin auf ein 14-Monats-Hoch von 2,4 Prozent klettern. Das verteuert die Bedienung der Staatsschulden, die mit 131,8 Prozent der Wirtschaftsleistung auch relativ betrachtet äußerst hoch sind. Dass Risiko wieder eine Kategorie an den Finanzmärkten ist, lässt sich auch an der Zinsdifferenz zu Deutschland ablesen: Der sogenannte Spread stieg auf 1,9 Prozentpunkte. Erst am Dienstag kam es zu einer leichten Entspannung, nachdem italienische Papiere sechs Tage lang in Folge auf den Markt geschmissen worden waren.

Problem drei: Italien ist nicht wettbewerbsfähig

Wie immer das Match um die Schulden ausgeht: In der derzeitigen Verfassung hat das Land einen schweren Stand. Der umstrittene Ökonom Hans-Werner Sinn meinte in einem neuen Papier, das vorab in der FAZ publiziert wurde, Rettungspakete, Niedrigzinsen und EZB-Stützungsmaßnahmen hätten nur ein Strohfeuer entfacht. Gleichzeitig sei dadurch verhindert worden, dass die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Italiens durch sinkende Löhne angepasst wird. Das leitet Sinn u. a. aus der Produktion von Industrie und Gewerbe ab: Während die deutsche Herstellung seit der Eurokrise um neun Prozent stieg, sank jene Italiens um 17 Prozent. (Andreas Schnauder, 23.5.2018)