Bad Ischl bietet ein Postkartenidyll von der Idee der kaiserlichen Sommerfrische.

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Bald nachdem Kaiser Franz Joseph die Kriegserklärung an Serbien unterzeichnet hatte, kamen wieder Sommerfrischler.

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Das Kaiserin-Elisabeth-Krankenhaus.

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Die Esplanade und das Café Walter.

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Das Kurhaus in Bad Ischl.

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Hoisenradalm.

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Die Kaiservilla: Alles so, als hätte sie Franz Joseph gerade erst verlassen.

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Eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1911.

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Das Kurhaus anno 1908.

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Die Rettenbach-Wildnis auf einer Ansichtskarte aus dem Jahr 1922.

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Die Salzburger-Straße und das Hotel Bauer. Der Kaiser und alles, was dazugehört, wird als zentraler Faktor für den Tourismus hochgehalten.

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Der Kreuzstein in Bad Ischl.

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Die Kaiserhymne erkenne er nur daran, dass sich die Leute von ihren Sitzen erheben. Das soll der völlig unmusikalische Kaiser Franz Joseph über sich selbst gesagt haben. Und vielleicht sollte man das auch jenen verraten, die jährlich am 18. August zum Kaisergeburtstag nach Bad Ischl kommen und in Andacht allen vier Strophen von Joseph Haydn lauschen.

Dieses Grüppchen aus wenigen Monarchisten und wesentlich mehr Hardcore-Nostalgikern reiste auch im August 2014 ins Salzkammergut. Nicht ganz einen Monat nach dem Tag, an dem die Kaiserstadt zumindest bemüht schien, ihn zu einem Gedenktag zu machen: 100 Jahre davor, am 28. Juli 1914, hatte Franz Joseph in seiner Sommerfrische in der Ischler Kaiservilla die Kriegserklärung an Serbien unterzeichnet und damit dem Ersten Weltkrieg den Weg geebnet. Danach reiste er ab und kam nie mehr nach Ischl zurück.

Aus einer Fehleinschätzung heraus

Nur drei Jahre später, mitten in der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, waren die Sommerfrischler zurück. Nicht unbedingt zur Freude der Ischler. Im Juli 1917 kam es zu massiven Protesten, weil manche Einwohner die Touristen für teure Lebensmittel verantwortlich machten. Dabei wurden auch einige Kurgäste attackiert. Wie das sein konnte: Kuren im Salzkammergut, während in Russland gerade die Kerenski-Offensive gegen die Mittelmächte begann? Es gab wieder Angebote dafür. Vorerst noch nicht in großem Stil, da das Oesterreichische Verkehrsbureau erst im Dezember 1917 aus der Fehleinschätzung heraus gegründet wurde, dass der Krieg bald vorbei sei.

Die Bahnhöfe waren überfüllt von Kriegsversehrten, die Bahnverbindungen gestört, als das Verkehrsbureau mit dem Ziel entstand, Zugfahrkarten zu verkaufen. Diese waren so gefragt, dass die limitierten Zutrittskarten für die Bahnhöfe auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurden. Ab 1922 war der k. u. k. Staatsbahnhof in Bad Ischl schon wieder Ziel für viele, die Autobusse der Postverwaltung brachten Sommerfrischler um 2,60 Schilling gleich weiter nach Sankt Wolfgang. Heute verzeichnet die Kurstadt knapp 400.000 Nächtigungen pro Jahr.

Alles wieder Salzkammergut

Lässt sich diese ungebrochene Euphorie, den Kaiser ausgerechnet dort zu besuchen, wo eine Sommerfrische in den Krieg mündete, gut 100 Jahre später noch nachvollziehen? Na klar, man muss dafür nur den Intercity 528 mit dem Namen "Salzkammergut" am Wiener Hauptbahnhof besteigen. Einmal in der Woche, am Samstag um 10.15 Uhr, bricht die Garnitur in Richtung Bad Ischl auf und ist dabei auf eine unfreiwillige Art nostalgisch. Immer zu wenige, meist schon ältere Waggons werden dafür zusammengespannt, und wer keinen Sitzplatz reserviert hat, muss stehen wie beim Abspielen der Kaiserhymne.

Die Studenten, die damit am Wochenende von Wien nach Hause fahren, nennen ihn liebevoll den "Asia-Express". Als einzige Verbindung ohne Umsteigen nutzen ihn vor allem Touristen aus China, Japan und Südkorea, um Selfies mit Sommerfrische zu schießen. Unter den Studenten läuft ein Ratespiel: Wer nicht unterscheiden kann, ob die Touristen aus China oder Japan kommen, achtet darauf, wo sie aussteigen. Die "Kaisertreuen", die den Zug in Ischl verlassen, müssen wohl Japaner sein. Die Chinesen fahren in aller Regel noch ein Stück weiter bis nach Hallstatt, um Nachschau zu halten, wie gut die Kopie der Stadt in der Provinz Guangdong gelungen ist.

Moderner Teleworker

In der Bad Ischler Kaiservilla ist alles so, als hätte sie Franz Joseph gerade erst verlassen. Auf seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer steht noch immer der elektrische Zigarrenanzünder, den er vom russischen Zaren geschenkt bekam. Der australische Historiker Christopher Clark hat ihn in seinem Werk Die Schlafwandler beschrieben. Er vertritt die These, dass ein einzelner Sommerfrischler keinen Krieg auslösen kann, alle Akteure trugen ihren Teil dazu bei, da sie die Bedeutung der Krise nicht richtig einschätzten.

Das hört man gern in Ischl, wo der Kaiser ja wie ein moderner Teleworker auch so fleißig war, dass der rot bezogene Sessel hinter dem Schreibtisch bis heute völlig abgewetzt dasteht. Zwei Wiener Jugendliche quält derweil eine andere historische Frage: "Muss urmühsam für den Kaiser gewesen sein, mit der Kutsche nach Neuseeland zu fahren", sagt einer von ihnen, als er das Gemälde des Franz-Josef-Gletschers an der Wand entdeckt. Franz Joseph war natürlich nie dort, ja, er hätte eigentlich nicht einmal Namenspatron sein sollen. Der britische Entdecker, der die Eismassen nach dem englischen Königspaar Victoria und Albert hätte benennen wollen, vergaß nur darauf, den Namen offiziell zu melden. Also kam irgendwann ein Deutscher nach und taufte sie auf den österreichischen Monarchen.

Anfällig für Anekdoten

Drüben im imperialen Esszimmer kann man sich noch einen anderen Schmarren anhören. Eine deutsche Touristin versucht auf dem Fußboden Hinweise zu erkennen, wo ein Diener Franz Josephs gestolpert sein muss, wodurch eine berühmte österreichische Süßspeise mit Zwetschkenröster geboren ward. Diese Geschichte für die Genese des Kaiserschmarrens (Koch kocht Palatschinke, Diener fällt und zerteilt sie auf diese Weise in mundgerechte Happen) hört man in der Kaiservilla oft. Allerdings hat die Ursachenforschung in der Leibgerichtsentstehung ein generelles Problem: Sie ist anfällig für Anekdoten.

Ein gutes Dutzend davon gibt es alleine für den Kaiserschmarren. Eine der plausibleren beruht auf einem Missverständnis oder, besser gesagt, auf Schwerhörigkeit. Ein Almwirt, auch Kaser genannt, hat dem Kaiser mit vermindertem Hörvermögen ganz einfach seinen Kaserschmarren vorgesetzt. Als Franz Joseph glaubte, man habe soeben den Kaiserschmarren für ihn erfunden, traute sich der Senner natürlich nicht zu widersprechen. Auch die schlechten Zähne von Sisi sprechen eher dafür, eine Palatschinke zu zerkleinern, als dass diese durch einen Sturz "zerbricht". Aber das kann man ja in aller Ruhe bei einem passablen Kaiserschmarren im Café Sissy unten an der Traun besprechen. Die Frage ist nur, mit wem?

Selfie mit Zaunerstollen

Die an diesem Tag vorwiegend japanischen Kaffeehausbesucher, die sich in den letzten verbliebenen Originalräumen des ehemaligen Hotels Tallachini aufhalten, leiden unter dem sogenannten Sisi-Syndrom. Sie zeigen also Symptome einer Depression, obwohl sie nach außen hin wie äußerst aktive Personen wirken. Sie kamen in dieses Café, weil sie so passionierte Raucher sind wie die Österreicher und dieser Leidenschaft hier noch nachgehen können. Deprimiert wirken sie aus einem anderen Grund: weil sie wissen, dass die Zeit in der fremden Kaiserstadt eng wird, bevor sie weiterdüsen müssen zum Weißen Rössl am Wolfgangsee.

Ein Selfie mit Zaunerstollen beim berühmten k. u. k. Hofzuckerbäcker sollte sich vorher aber noch ausgehen. Da die Forschungsfrage an diesem Tag nicht lautet, warum die Japaner hier sind, sondern österreichische Touristen dem Kaiser in Ischl bis heute die Treue schwören, hilft nur eins: einen anderen Hort für typisch österreichische Spezialitäten aufzusuchen.

Echte Republikaner

Das kulinarische und Konversationsangebot der Imbissbude Börni Börgers am Schröpferplatz ist durch und durch republikanisch geprägt. Außer einem "Habsbörger" auf der Karte leistet man sich dort keinerlei aristokratische Ausrutscher, nicht einmal die Gespräche der Einheimischen sind nobel. "Hast den depperten Touristen mit seinen Kaiser-Koteletten gesehen?", fragt einer der Gäste und beißt in seinen "Goldbörger". "Koteletts sind was zum Essen, aber der Börni hat keine", antwortet der andere. Also blödelt man halt auch ein wenig mit und fragt nach, ob hunderttausende Touristen von Kaisers Gnaden nicht doch Grund zur Freude böten.

Immerhin würden die "Kaiserscheißer", wie die Ischler in der Region gerne genannt werden, doch allesamt davon profitieren. "Ich bin Spengler", sagt der mit dem "Goldbörger" in der Hand, "und von den Sisi-Schauern braucht keiner eine Dachrinne von mir." Würde er wissen wollen, wie Absolutismus ausschaue, ginge er einmal im Jahr zum Zauner: "Die machen Preise, als wären sie Alleinherrscher in Ischl."

Entspanntes Verhältnis

Oliver Rathkolb, Professor für Zeitgeschichte an der Uni Wien, hat zum Thema Monarchie einmal eine ebenso vernünftige Einschätzung gegeben: Die Österreicher hätten mittlerweile ein sehr entspanntes Verhältnis zu ihr gefunden. Das merke man daran, dass nicht einmal in Ansätzen eine erfolgreiche monarchistische Partei existiere, der Kaiser und alles, was dazugehört, als zentraler Faktor für den Tourismus aber hochgehalten werde.

Auch die Ischler Kaiserwoche im August wird dazu wieder ausreichend Möglichkeiten bieten. Dann fährt anstelle des Intercitys "Salzkammergut" der historische Kaiserzug in den k. u. k. Bahnhof ein, damit die Untertanen rechtzeitig beim Kaiser-Franz-Joseph-Gedächtnistrabrennen oder -Golfturnier erscheinen. The Schmarren must go on! (Sascha Aumüller, RONDO, 24.5.2018)