Wien – Den biologischen Mechanismen, die dafür sorgen, dass im Rahmen der Embryonalentwicklung allmählich ein immer komplexerer Organismus entsteht, ist ein Forschungsteam um Ulrich Technau von der Uni Wien auf der Spur. Anhand urtümlicher Seeanemonen zeigten sie nun im Fachmagazin "PNAS", wie auch mechanischer Druck zu dieser erstaunlichen Organisation beiträgt.

Vielschichtige genetische Programme sorgen quasi als "Platzanweiser" dafür, dass Körperzellen unterschiedlichster Art ihren richtigen Platz im Gefüge des Gesamtorganismus finden. In einigen Studien aus der näheren Vergangenheit fanden Wissenschafter allerdings Hinweise auf eine Beteiligung mechanischer Reize in diesem Prozess. Bisher beschränkten sich diese Erkenntnisse aber auf Studien an Zellkulturen.

Seeanemonen als Modellorganismen

Technau und sein Team vom Department für Molekulare Evolution und Entwicklung konzentrierten sich auf Seeanemonen (Nematostella vectensis), weil sich diese bereits vor rund 600 Millionen Jahren von fast allen anderen Lebewesen auf der Erde abgespalten haben. Was man also bei ihnen und beim Menschen findet, muss auch beim letzten gemeinsamen Vorfahren so gewesen sein.

Die Entwicklungsbiologen um Erstautorin Ekaterina Pukhlyakova unterdrückten während der Bildung der inneren und äußeren Zellschichten – der Gastrulation – die Aktivität des Muskelproteins Myosin. Dadurch kam der gesamte Vorgang zum Erliegen. Auch das wichtige Entwicklungsgen Brachyury wurde zur Überraschung der Wissenschafter dadurch ausgeschaltet. "Wenn wir aber diese Myosin-blockierten Embryonen mechanischem Stress in Form eines Gewichts aussetzten, schaltete sich das inaktive Gen Brachyury wieder an – trotz des Myosininhibitors", so Technau.

Auch in normalen Embryonen fanden die Forscher steifere Zellen just an jenen Stellen, die unter Druck standen. Auf der Suche nach dem "Übersetzer" des mechanischen Signals in ein biologisches wurde man in dem Protein Beta-Catenin fündig. "Wir vermuten, dass es zwischen der genetischen und mechanischen Genregulation eine Feedback-Schleife gibt", so Pukhlyakova. Da Beta-Catenin diese Funktion auch bei Fliegen und Fischen ausübe, glauben die Wissenschafter, dass es sich um einen Mechanismus handelt, der bereits vor 600 Millionen Jahren entstand. (APA, red, 22. 5. 2018)