Aktivisten demonstrieren für die Freilassung Inhaftierter in der Türkei. Österreichs Sozialdemokraten warnen: Die von der Regierung geplante Strafrechtsänderung sei "im Interesse des Erdoğan-Regimes".

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Ab wann ist jemand eigentlich ein Terrorist – und dementsprechend als solcher zu bestrafen? In Österreich gibt es zur Klärung dieser Fragen den Paragrafen 278c im Strafgesetzbuch. Vereinfacht gesagt steht dort: Eine terroristische Straftat ist beispielsweise Mord, Körperverletzung oder schwere Sachbeschädigung, wenn dadurch das öffentliche Leben anhaltend gestört oder die Wirtschaft eines Landes schwer geschädigt werden sollte. Außerdem muss ein Vorsatz vorliegen – etwa dass jemand durch eine Tat öffentliche Stellen zu einer Handlung nötigen oder die Grundstrukturen eines Staates erschüttern bis zerstören will.

Terror-Ausnahmebestimmung

Es gibt aber auch eine Ausnahme: Wer eine Tat verübt, um "demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse" herzustellen oder wiederherzustellen oder mit der Tat auf die "Wahrung von Menschenrechten" abzielt, der kann dafür zwar bestraft werden, Terrorist ist er aber keiner. Das will die Regierung ändern.

Die Terrorismus-Ausnahmebestimmung zielt insbesondere auf Taten ab, die in "nicht demokratischen Gesellschaften außerhalb der Europäischen Union begangen werden", das ist den Erläuterungen zum Gesetz auf der Parlamentswebsite zu entnehmen. Es wird dort auch die Erklärung des Europäischen Rates zitiert, der auf den Zweiten Weltkrieg verweist, um darzulegen, dass Handlungen zur Wiederherstellung demokratischer Werte eben nicht als "terroristische" Handlungen betrachtet werden dürfen.

Regierung beruft sich auf EU

Die Regierung will den Absatz drei des Paragrafen 278c – also die Ausnahmeregelung – im Rahmen des Strafrechtsänderungsgesetzes 2018 nun dennoch streichen. Auf Anfrage im Justizministerium wird auf eine Terrorismus-Richtlinie der Europäischen Union verwiesen, die vorsehe, dass "Freiheitskämpfer" nicht mehr anders behandelt werden sollen.

Katharina Beclin, Strafrechtlerin an der Universität Wien, hat die aktuellen Gesetzestexte, die EU-Richtlinie und die entsprechende Stelle im geplanten Strafrechtsänderungsgesetz der türkis-blauen Regierung für den STANDARD analysiert. Sie kommt zu dem Schluss: "Ich erkenne keine Grundlage in der EU-Richtlinie, die eine Streichung des Paragrafen 278c Absatz drei rechtfertigt." Die Juristin verweist außerdem auf Erläuterungen zur Richtlinie, in denen gleich zu Beginn auf die Bedeutung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verwiesen wird.

SPÖ: Im Interesse des Erdoğan-Regimes

Auch die Sozialdemokraten schlagen Alarm. "Die Ausnahmeregelung ist absolut sinnvoll und aus demokratischer Sicht unverzichtbar", sagt der rote Justizsprecher Johannes Jarolim im Gespräch mit dem STANDARD. "Die Vorgangsweise der Bundesregierung ist überhaupt nicht nachvollziehbar."

Doch was würde es konkret bedeuten, wenn der Absatz 3 des Gesetzes für Terrorstraftaten gestrichen wird? Jarolim fürchtet, dass Auslieferungsbegehren undemokratischer Staaten künftig wenig entgegengesetzt werden könne: "Durch das Streichen dieser Bestimmung muss Österreich dann auch Personen ausliefern, die gegen autoritäre Unrechtsregime kämpfen und von diesen als Terroristen verfolgt werden. Diese Strafrechtsänderung wäre wohl sehr im Interesse des Erdoğan-Regimes in der Türkei."

Möglichkeit, Asyl abzulehnen

Die Strafrechtlerin Beclin erläutert, dass es ohnehin bereits eine Terrorliste der EU gebe – wer dort draufsteht, gilt als Terrorist, wer nicht, als Freiheitskämpfer. Sie skizziert, dass es nach einer Streichung der Ausnahmebestimmung etwa möglich wäre, Menschen, die aus einem Land geflohen sind, weil sie politischen Widerstand geleistet haben und deshalb verfolgt wurden, als Terroristen strafrechtlich zu verfolgen – und möglicherweise ihren Asylantrag abzulehnen. "Dadurch würden vielleicht auch einige aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen davor zurückschrecken, nach Österreich zu kommen", sagt Beclin.

Darüber hinaus könnten aber auch freiheitskämpferische Gruppen, die nach der Reform als terroristisch eingestuft werden, Probleme bekommen – etwa beim Spendensammeln: "Das wäre dementsprechend als Terrorismusfinanzierung strafbar", erklärt die Expertin. Der zweite Teil der Bestimmung, der auf die Wahrung von Menschenrechten abzielt, schütze derzeit aber auch heimische Nichtregierungsorganisationen. "Es besteht die Gefahr, dass eine NGO bald als terroristisch gilt, wenn ein Mitglied beispielsweise bei einer Demonstration einen Beamten verletzt." (Katharina Mittelstaedt, 23.5.2018)