Es besteht die Gefahr, dass sich durch den Selbsttest Menschen in falscher Sicherheit wiegen.

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Die Idee mit dem HIV-Test würde ja eigentlich Sinn machen: Man lernt jemanden kennen, will Sex mit ihm und macht davor schnell noch einen Test, um sicherzugehen, dass das Love-Interest nicht HIV-infiziert ist. Oder umgekehrt: Man weiß zwar, dass Sex ohne Präservative eigentlich ein No-Go ist, es ist aber trotzdem passiert, und jetzt will man schnell und unkompliziert zu Hause herausfinden, ob man sich bei dieser saublöden Aktion das Immunschwächevirus HIV eingefangen hat. Man holt sich einen "Autotest VIH" eines französischen Herstellers und findet seinen Infektionsstatus selbst im Badezimmer heraus. Ein Stich in den Finger reicht.

"Das Problem an Selbsttests ist, dass sie nur Antikörper, nicht aber das p24-Antigen nachweisen", sagt Gerold Felician Lang, HIV-Experte an der Med-Uni Wien und auf der HIV-Ambulanz im AKH tätig. Nur den Antikörper abzufragen sei für sexuell aktive Menschen, die unter Umständen mehrere Sexualkontakte pro Woche haben, keine verlässliche Option.

Falsche Sicherheit

Prinzipiell sei zwar jeder zusätzlich durchgeführte HIV-Test, den sexuell aktive Menschen besonders auch aus Risikogruppen durchführen, sinnvoll, betont Lang, die Gefahr jedoch sei, dass sich durch diesen Selbsttest Menschen in falscher Sicherheit wiegen könnten.

Denn: Das HI-Virus ist trickreich, und es braucht Zeit, bis der Körper Abwehrversuche unternimmt. Bei einem Test geht es maßgeblich also darum, wie viel Zeit zwischen Sex und einem HIV-Test vergangenen sind. Das funktioniert ungefähr so: Beim Sexualkontakt wird das Virus von einem Menschen auf den anderen übertragen und vermehrt sich dann rapide, eine messbare Reaktion des Körpers hierauf entsteht aber erst im Laufe der nächsten Tage und Wochen. "Wie lange dieser Prozess dauert, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich", sagt Lang. Der neue Selbsttest würde allerdings nur genau diese verzögert produzierten Antikörper im Blut detektieren, also jene Moleküle, die sich als Folge einer Infektion erst in den Wochen danach bilden. Mitunter können bis zu drei Monate vergehen, bis das der Fall ist. "Für sexuell aktive Menschen eine zu lange Wartezeit", schätzt Lang, denn in der Zeit zwischen Test und Ergebnis sollte keinesfalls Geschlechtsverkehr stattfinden.

Zu lange Zeitspanne

Der an Kliniken und professionellen medizinischen Einrichtungen verwendete 4.-Generations-ELISA-Schnelltest (Enzyme-linked Immunosorbent Assay) ist wesentlich genauer, weil er in den 15 Minuten Wartezeit, die notwendig sind, nicht nur die Antikörper, sondern auch das p24-Antigen detektiert. "Dieses wird direkt vom Virus gebildet, das verkürzt die diagnostische Lücke zwischen Infektion und Nachweisbarkeit auf maximal vier Wochen", erklärt Lang. Nach dieser Zeit könne mit den in medizinischen Laboren stattfindenden Antigen-Antikörper-Tests eine Infektion zu 99,9 Prozent ausgeschlossen werden. Auch das sei für Leute mit umfassenden Risikokontakten eine lange Zeit, aber immerhin kürzer als die zwölf Wochen beim Selbsttest.

Die schnellste Variante, eine HIV-Infektion herauszufinden, sei derzeit eine HIV-RNA-PCR-Messung, die nur in medizinischen High-End-Laboren durchgeführt werden kann. PCR steht für Polymerase-Kettenreaktion, eine Methode, mit der genetisches Material des Virus detektiert wird, die optimalerweise also schon nach vier bis sieben Tagen ein Ergebnis bringen kann. Solche Test sind allerdings teuer und keinesfalls in der diagnostischen Routine nach Risikokontakt. Wer also ab Juni selbst testen will, sollte sich folgende Fragen stellen: Wie lange liegt der Hochrisikosex zurück? Besteht tatsächlich hundertprozentige Sicherheit, dass man nicht infiziert und damit Überträger des Virus ist?

Aidshilfe als Ansprechpartner

In Österreich gibt es 400 bis 500 Neuinfektionen im Jahr. Bei der Aidshilfe Wien verweist man auf die Hotline, die Benutzer des Selbsttests bei Fragen anrufen können. "Mit dem Ministerium ist vereinbart, dass wir als Ansprechpartner im Beipacktext genannt werden", sagt Wolfgang Wilhelm von der Aidshilfe Wien.

Klar ist auch, dass sich die Apotheken erst auf den neuen Selbsttest einstellen müssen. "Wir werden die Kunden über das diagnostische Fenster und die richtige Anwendung aufklären", heißt es aus der Apothekerkammer, man sei froh, dass der Test nicht in Drogeriemärkten vertrieben wird. Details und Preis für den Selbsttest werden jedoch erst in den nächsten Wochen ausgehandelt.

Die Idee "Schnell selbst testen und ungeschützten Geschlechtsverkehr haben" sollten sexuell Aktive aber gar nicht erst denken. "Mit dem Selbsttest ist erst nach zwölf Wochen ein negatives Ergebnis und damit eine HIV-Infektion auszuschließen", so Lang. (Karin Pollack, Bernadette Redl, 19.5.2018)