Muhamed Beganovic: "aus jedem Ramadan als besserer Mensch hervorgehen."

Foto: Regine Hendrich

Ich fühle mich anders im Monat Ramadan. Damit meine ich nicht, dass ich hungrig und müde bin. Im Ramadan bemühe ich mich, viel bewusster zu sein. Ich faste schon seit 15 Jahren, also seit meiner Pubertät. Damals, im Jahr 2004, bin ich mit meinen Eltern nach Österreich gekommen. Geboren bin ich in Mazedonien. Meine Eltern waren nicht streng, aber ich hatte immer das Bedürfnis, beim Fasten mitzumachen. In meiner Wiener Klasse waren wir drei Schüler, die gefastet haben. Und natürlich wurden mir die Wurstsemmeln in der Schule unter die Nase gehalten, aber das war Spaß und hat mich nicht gestört. Ich wurde deswegen nie diskriminiert.

Meine Frau fastet auch. Durch den Ramadan ändert sich unser Tagesablauf kaum. In der Früh können wir eine halbe Stunde länger schlafen, weil das Frühstück ausfällt. Wir gehen arbeiten, treffen Freunde, gehen einkaufen. Wer es schafft, geht weiter ins Fitnessstudio. Schwangere Frauen, stillende Mütter, Senioren, Kranke und menstruierende Frauen sind vom Fasten befreit. Alles anderen dürfen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nicht essen, trinken, rauchen, Kaugummi kauen oder Sex haben.

Reinigung von Sünden

In diesem einen Monat reinigt man sich von Sünden, indem man gute Taten verrichtet. Schlechte Taten, die man jetzt begeht, wiegen schwerer. Daher sollte man im Ramadan auch nicht fluchen, lästern, lügen, beleidigen oder streiten. Das ist die wahre Herausforderung.

Social Media und Handy-Apps helfen auch beim Ramadan. Es ist erstaunlich, wie sehr sich dieses weltliche Gerät in der islamischen Welt verbreitet hat. Viele Muslime werden per App an die Gebete erinnert. Aber das tägliche Gebet und Ramadan müssen nicht unbedingt miteinander zu tun haben. Es gibt Muslime, die fasten und nicht beten, und umgekehrt auch. Im Moment stellen wir uns den Wecker auf ungefähr drei Uhr früh. Meine Frau isst und trinkt Kaffee, ich trinke meist nur Wasser, esse ein bisschen Joghurt oder Obst. Dann schlafen wir weiter und stehen um halb acht wieder auf und gehen zur Arbeit.

Manchmal bin ich so in meine tägliche Arbeitsroutine vertieft, dass ich vergesse, dass Ramadan ist. Wenn es bei uns nach frischem Kaffee riecht, hole ich mir manchmal eine Tasse, bis ich draufkomme: Das geht ja nicht. Wenn jemand fragt, warum ich nicht esse, antworte ich schon: Es ist Ramadan. Aber ich gehe nicht damit hausieren. Es gibt viele Menschen, die gar nicht wissen, dass sie Rassisten sind. Manchmal gerate ich unter Rechtfertigungsdruck, aber ich bin ja kein Religionsgelehrter, der das alles erklären kann.

Einiges weiß ich aber: Der Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Mondkalenders. In ihm wurde der Koran dem Propheten Muhammad offenbart. Das Fasten in diesem Monat wurde in der zweiten Sure zur Pflicht erklärt und stellt eine der fünf Säulen im Islam dar. Jeder gesunde Muslim muss ab der Pubertät fasten. Ich habe viele Freunde aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen, auch christliche und jüdische Menschen. Es gibt auch Muslime, die nicht fasten. Ich persönlich mache das, weil ich es will.

Eine größere innere Ruhe

Seit Mittwoch faste ich. Wenn der Ramadan beginnt, merke ich immer, wie sehr ich mich in die Wiener Gesellschaft integriert habe. Wenn Menschen in der U-Bahn drängeln, regt mich das auf. Wenn sich die Warteschlange im Supermarkt zu langsam bewegt, beginne ich zu schimpfen. Wenn die Politiker Mist bauen, beschwere ich mich. Sich in solchen Momenten zu beherrschen bedarf Disziplin. Fasten bedeutet mentales Training, das Disziplin, Geduld und Zurückhaltung lehrt.

Das Fasten soll auch an die erinnern, die unfreiwillig fasten, sprich hungern, und Empathie fördern. Auch meine Arbeit, ich bin Chef vom Dienst für ein Magazin, bedeutet Stress. Im Ramadan kann ich damit gut umgehen. Er bringt mir eine größere innere Ruhe. Man verwendet seine Energie nicht auf unnütze Dinge, sondern auf Problemlösungen.

Abends kochen meine Frau und ich zu Hause. Es gibt ja das Klischee der klassischen Fressorgien nach Sonnenuntergang. Ich war auch schon bei solchen Ramadanbuffets. Das ist aber nicht unbedingt der Sinn der Sache. Gestern gab es bei uns Hühnchen mit Bulgur und Salat. Ich will mich in diesem Monat nicht mit zu viel Essen belasten. Während des Ramadan kann man nach dem Abendgebet um circa 22 Uhr noch ein Zusatzgebet absolvieren, bevor man schlafen geht und eben um drei Uhr wieder aufsteht, um etwas zu essen.

Heute bin ich 29, für mich ist mit dem Ramadan eine positive Aufregung verbunden, denn das Fasten ist trotz allem eine Herausforderung. Mein Ziel ist es, und das klingt jetzt fast esoterisch, aus jedem Ramadan als ein bisschen besserer Mensch hervorzugehen. Viele nutzen diese Zeit, um sich schlechte Angewohnheiten wieder abzugewöhnen. Ich persönlich rauche nicht und trinke keinen Alkohol. Das alles nicht zu tun, daran bin ich gewöhnt. Manche versuchen in diesem Monat, ihre Facebook-Sucht wieder in den Griff zu bekommen. Mein Schwachpunkt sind Energydrinks, besonders wenn zu Mittag der Zuckerspiegel fällt, von denen auch meine Frau sagt, wie ungesund sie sind.

Gemeinsames Frühstück

Wenn am 14. Juni dieses Jahr der Ramadan wieder vorbei ist, machen viele Gläubige ein Abschlussgebet in der Moschee. Wenn man zu schwach ist, verschläft man das gerne. Im Anschluss feiert man drei Tage lang Eid, das Zuckerfest. Bei uns in der Familie gibt es die Tradition eines gemeinsamen Frühstücks. Da holen wir dann Brötchen von der Bäckerei Josef. Wenn Eid unter der Woche ist, gehen wir nachher einfach arbeiten. (Muhamed Beganovic, 20.5.2018)