Kurz nach unseren ersten Blogbeitrag, erschien am 9. April im STANDARD eine Nachricht, die vielleicht von vielen unbemerkt blieb. Darin wurde über den Tod des deutschen Physikers Peter Grünberg berichtet, der Mann, der neben dem französischen Physiker Albert Fert für die Entdeckung des Riesenmagnetowiderstands 2007 mit dem Nobelpreis für Physik geehrt wurde. Eine Entdeckung, die die Geburtsstunde der Spintronik markierte.

Grünberg und Fert legten den Grundstein für das wissenschaftlich faszinierende und technologisch bedeutsame Feld der Magnetoelektronik oder Spintronik. Die Entdeckung des Riesenmagnetowiderstandes (giant magnetoresistance oder GMR) ebnete den Weg für das rasante Wachstum der Kapazität von Festplatten. Unterstützt von den Fortschritten in der Nanotechnologie, skalierten die Speicherkapazitäten in unseren Computern von ein paar hundert Megabytes in den 90ern zu Terabytes in der heutigen Zeit. Aber was genau ist der GMR und Spintronik?

Kurzeinleitung in Magnetismus

Wie so oft in der Physik, ist auch Magnetismus ein ziemlich komplexes Thema, das durch Quantenmechanik erklärt wird. Wir verwenden trotzdem klassische und einfache Bilder, um grundlegende Zusammenhänge zu erklären. Die theoretischen Physiker unter den Lesern mögen es uns verzeihen. Ein Atom, in einfacher Art und Weise, besteht aus einem positiv geladenen Kern, dem Nukleus, der von negativ geladenen Elektronen in bestimmten Bahnen umkreist wird. Die Elektronen drehen sich aber nicht nur um den Nukleus, sondern auch um sich selbst. Diese wichtige Eigenschaft wird Spin genannt. Der Spin eines Elektrons beschreibt also eine Drehbewegung des Elektrons um sich selbst, und da man sich in zwei Richtungen drehen kann, weisen sie zwei Richtungen auf: nach oben (spin-up) entspricht einer Drehung im Uhrzeigersinn, oder nach unten (spin-down), gegen den Uhrzeigersinn. Dieser Spin ist auch ein magnetischer Dipol, also ein kleiner Magnet mit Nord- und Südpol. Jetzt wird es aber noch einmal komplizierter, denn die Plätze für Elektronen pro Atombahn sind begrenzt. Das bedeutet, dass auf jeden Platz sich nur zwei Elektronen – ein Elektronenpaar – setzen können, wenn ihr Spin in die entgegengesetzte Richtung zeigt. Das bedeutet aber, dass sich in solchen Elektronenpaaren die magnetischen Dipole der zwei Teilchen gegenseitig aufheben. In Atomen, die eine ungerade Elektronenzahl besitzen, gibt es aber immer ein ungepaartes Elektron, dem ein Partner abgeht. Und genau die Anordnung der Spins dieser ungepaarten Elektronen bestimmen nun die magnetischen Eigenschaften von Materialien.

Ein Material, in dem die Spins der ungepaarten Elektronen in Unordnung sind und in alle möglichen Richtungen zeigen, wird als Paramagnet bezeichnet. Wenn alle Spins eines Materials in dieselbe Richtung zeigen, dann haben wir einen Ferromagnet. Das sind die Materialien, die häufig als Magnete bezeichnet werden und an unseren Kühlschränken hängen. Nun, wenn in einem Material die Spins abwechselnd und geordnet nach oben und unten zeigen, haben wir einen Antiferromagneten. Das ist hier dargestellt:

Schematische Darstellung verschiedener magnetische Materialklassen mit Beispielmaterialien.
Bild: A. Navarro-Quezada

Wie oben erwähnt sind Spins kleine Magnete und richten sich in einem genügend starken Magnetfeld wie eine Kompassnadel im Erdmagnetfeld aus. In einem solchen Magnetfeld werden sich die Spins des Paramagnets und des Ferromagnets entlang des externen Feldes ausrichten. Wenn wir das Magnetfeld wegnehmen, verlieren die Spins im Paramagnet ihre Ordnung wieder und gehen zurück in ihren natürlichen ungeordneten Zustand. Die Spins des Ferromagnets hingegen halten die Ordnung, weil das der natürliche Zustand – physikalisch erklärt: der Zustand mit der geringsten Energie, da die Natur wenn möglich unnötigen Energieaufwand vermeidet – eines Ferromagneten ist. Antiferromagnete anderseits bleiben in einem Magnetfeld unverändert, außer das Feld ist extrem hoch, da ja die ungepaarten Elektronen doch noch Partner gefunden haben – auch wenn das das Nachbaratom ist. Das bedeutet, dass Antiferromagnete nicht einfach mit einem Magnetfeld manipuliert werden können. Das ist ein Vorteil im Vergleich zu Ferromagneten, der dazu verwendet wird, die Spins in dem Ferromagneten zu fixieren (der wissenschaftliche Begriff ist "pin"), wenn der Kontakt mit einem Antiferromagneten hergestellt wird.

Entdeckung des Riesenmagnetowiderstands: Geburt der Spintronik

Magnetoelektronik oder Spintronik ist die Zusammensetzung zwei Felder: Magnetismus und Elektronik. Die Elektronik basiert auf Elektronenbewegung in leitenden Materialen in komplexen Schaltungen mit Kupferleitungen, Schwingkreisen und Schaltern. Die Elektronen werden aber nur durch ihre Ladung beeinflusst, das heißt sie werden durch elektrische Spannungsunterschiede von A nach B bewegt. Nun gibt es Materialen, in denen der elektrische Widerstand – der Widerstand des Materiales gegen die Bewegung der Elektronen – abhängig von der Ausrichtung des Spins der bewegten Elektronen zu denen im Material ist. Also kann ich den elektrischen Widerstand durch ein Magnetfeld ändern. Und genau das ist der GMR. Damit kann ich nicht nur die elektrische Ladung der Elektronen, sondern auch ihren Spin verwenden, um Elektronen in einem Material zu bewegen. Ein Beispiel sind Bauelemente für hocheffiziente Speicher. Genau deswegen war die Entdeckung von Grünberg und Fert einen Nobelpreis wert.

Betrachten wir genauer, was sie gemacht haben: Sie bauten eine Struktur mit zwei Ferromagneten, die durch eine leitende, nicht-magnetische Schicht getrennt sind und bewegten nun die Elektronen von einer Seite zur anderen. Stellen wir uns das folgendermaßen vor: wir haben zwei Tanzflächen, die von einem Flur getrennt sind, wo die Elektronen sich frei bewegen können. In beiden Tanzflächen tanzen ungepaarte Elektronen mit ausgerichteten Spins (also Ferromagnete). Wenn die Musik in beiden Tanzflächen dieselbe ist, so dass sich alle Elektronen in die selbe Richtung drehen, können sich Elektronen problemlos von der einen Tanzfläche zur Anderen bewegen. Das ergibt einen niedrigen elektrischen Widerstand. Wenn jedoch bei der zweiten Tanzfläche eine andere Musik gespielt wird, so dass sich die Elektronen in die Gegenrichtung drehen, dann können die Elektronen von der ersten Tanzfläche sich nicht ungehindert auf die zweite Tanzfläche bewegen. Das ergibt einen höheren Widerstand durch den riesigen magnetischen Widerstand, eben den GMR-Effekt. Durch die Änderung der Musik auf der zweiten Tanzfläche (das heißt durch ein Magnetfeld) können wir die Ausrichtung der Spins beeinflussen und somit den elektrischen Widerstand bestimmen: entweder hoch (1) oder niedrig (0). Und genau das braucht man um binär Daten zu speichern, was in GMR-basierten Festplatten ausgenutzt wird. Da einmal ausgerichtete Bereiche in einem Ferromagneten sehr stabil sind, konnten die Fortschritte der Nanotechnologie ausgenutzt werden, was in den letzten Jahrzehnten zu einer Vergrößerung von Zwei-Gigabyte- zu Zwei-Terabyte-Festplatten führte.

Schematische Darstellung des GMR: zwei Tanzflächen mit Elektronen und Ihre Spins.
Bild:A.Navarro-Quezada

Die Spintronik und ihre Perspektiven

Der GMR-Effekt hatte nicht nur Einfluss auf die Computertechnologie, bald kamen auch GMR-basierte Sensoren aus den Laboren auf den Markt. GMR-Sensoren werden heutzutage erfolgreich in verschiedenen Feldern angewendet: von Autoparksystemen bis zur Erkennung von biologischen Materialen. Und genau das ist die Spintronik: ein Forschungsfeld, dass sich mit der Weiterentwicklung von solchen Systemen, wo nicht nur die Ladung sondern auch der Spin eines Elektrons verwendet werden kann, um effizientere und schnellere Bauelemente zu entwickeln. Kurz nach der Entdeckung des GMR wurde ein neuer Effekt, bekannt als der Tunnel-Magnetowiderstand (TMR), von der IBM-Arbeitsgruppe von S.P. Parkin nachgewiesen. Der TMR hat dann auch bald den GMR in der Speichermedientechnologie ersetzt, zum Beispiel in den MRAMs (magnetic random acces memory). 

Die tanzenden Elektronen.
Bild: Dmytro Kysylychyn, Qmag

Heutzutage forschen Physiker und Materialwissenschafter an verschiedenen spannenden Richtungen der Spintronik, wie zum Beispiel die Antiferromagnet-Spintronik. In diesem neuen Feld, werden Antiferromagnete als die wesentlichen Elemente (als Tanzflächen), und deren Eigenschaft, dass sie sich nicht durch ein Magnetfeld manipulieren lassen, verwendet. Das macht diese Materiale interessant für Anwendungen wie magnetische Karten, wo immer die Gefahr besteht, dass sie in der Nähe von magnetischen Feldern gelöscht werden. Unsere Arbeitsgruppe (Qmag) forscht aktiv an neuen Materialen für Spintronik-Anwendungen und auch Antiferromagnet-Spintronik. Zur Zeit läuft ein Projekt, dass sich mit eingebeteten antiferromagnetischen Nanostrukturen in Nitrid-basierten Halbleitern für Spintronik-Anwendungen beschäftigt.

Die Arbeitsgruppe des Nobelpreisträgers Albert Fert beschäftigt sich nach wie vor mit der Erforschung neuer Wege für Speichertechnologien, die gegen eine Manipulation von Daten sicher sein sollen. Er glaubt, dass Skyrmionen-basierte Speichermedien im kommenden Jahrzehnt zur Realität werden. Aber was Skyrmionen sind, ist eine andere Geschichte. (Andrea Navarro-Quezada, Rajdeep Adhikari, 22.5.2018)