Wer krank ist, googelt erst mal seine Symptome und überlegt dann, ob ein Arztbesuch notwendig ist. Doch Dr. Google ist keine vertrauenserweckende Adresse. Auch die Medizin sieht sich mit der Digitalisierung konfrontiert. Die deutsche Ärztekammer hat sich vergangene Woche mehrheitlich dafür ausgesprochen, das Fernbehandlungsverbot zu lockern. Künftig sollen Ärzte Patienten auch per Videotelefonie behandeln dürfen, selbst wenn sie die Patienten noch nicht kennen.

Für die österreichische Standesvertretung ist der E-Doctor keine Option. Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer, äußert Skepsis. "Wir müssen Patienten angreifen, abhören, ihre Haut beurteilen. Das ist via Skype nur bedingt möglich." Ganz verschließen will sich die Kammer der Digitalisierung aber nicht. Zusätzlich sei eine Videokonsultation möglich, ein Arztbesuch kann aber niemals ersetzt werden. Einzelnen Projekten kann Szekeres aber durchaus etwas abgewinnen, etwa dem Diabetes-aktiv-Programm der Versicherung für Eisenbahner und Bergbau. Gerade bei der Betreuung chronisch Kranker könnte digitale Unterstützung sinnvoll sein.

Ärztekammer gegen Fernbehandlung

Eine reine Fernbehandlung sei rechtlich auch gar nicht möglich, heißt es aus der Kammer mit Verweis auf das Ärztegesetz.

Dem widerspricht Andrea Braga. Der Schweizer Allgemeinmediziner und Chirurg mit Praxis in Gießhübl bei Wien behandelt Patienten auch online. Er ist Gründer des Netzwerks Eedoctors, einer virtuellen Arztpraxis. Im Ärztegesetz sei eine unmittelbare Behandlung der Patienten festgelegt, via App sei das genauso möglich. So kann er aus Gießhübl einen Patienten aus Bern behandeln, der gerade in Italien urlaubt. Schweizer Kassen unterstützen das Modell.

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Ein Arztbesuch, ohne dem Arzt gegenüberzusitzen? In Österreich gibt es bisher kaum Möglichkeiten,
einen Arzt online zu konsultieren. Ein Fehler, wie Patientenanwalt Gerald Bachinger meint.
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Auch von Patienten werde das Angebot intensiv genutzt. Einfachere Erkrankungen machen den Großteil der Beschwerden aus: Fieber, Grippe, Schnittverletzungen, aber auch Hautveränderungen oder Geschlechtskrankheiten hat Braga schon via App diagnostiziert. Nicht immer reicht der virtuelle Kontakt aus. Würde er einen Patienten abhören oder ein EKG für eine Diagnose benötigen, schickt er sie in ein Labor oder in eine Notfallambulanz: "Auch hier gilt: Safety first, im Zweifel überweise ich lieber."

Patientenanwalt: "Win-win-Situation für Patienten und Ärzte"

Der niederösterreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger hofft auf einen Ausbau der virtuellen Beratung in Österreich: "Es ist eine Win-win-Situation für Patienten und Ärzte." Für Patienten würden Anfahrts- und Wartezeiten wegfallen und ein niederschwelliges Angebot geschaffen, Ärzte könnten sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren. Als Beispiel nennt Bachinger die Patientendichte während einer Grippewelle. Der durchschnittliche Patientenkontakt dauere dann 30 Sekunden: "Auch online gibt es da keine schlechtere Diagnose", findet der Patientenanwalt. Apps wie jene, für die auch Braga arbeitet, würden wissenschaftlich begleitet und laufend überprüft. "Bis jetzt haben wir keinen Hinweis, dass Patienten mit Onlinediagnose schneller sterben", kontert Bachinger mit Augenzwinkern der Skepsis der Ärzte. "Wir dürfen diese Entwicklung nicht blockieren, sondern müssen sie aktiv mitgestalten", lautet sein Befund. Konzerne wie Apple oder Google stünden in den Startlöchern, um auf dem europäischen Markt mitzumischen.

Diese Sorge teilt auch Braga. Er will Österreich aus dem "telemedizinischen Mittelalter" herausholen und bei seinen Kollegen Überzeugungsarbeit leisten. Im Auftrag des Gesundheitsministeriums soll er zwischen Hauptverband und Ärzten vermitteln und Abrechnungsmöglichkeiten für Onlinekonsultationen vorschlagen. Ein schwieriges Unterfangen, klagt der Schweizer: "Die Strukturen in Österreich sind träge und behäbig, seit der Diskussion über die Zusammenlegung der Sozialversicherungen steht leider wieder alles still." (Marie-Theres Egyed, 16.5.2018)