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Das molekularbiologische Werkzeug CRISPR/Cas9 erlaubt es, gezielte Veränderungen in der DNA durchzuführen. Diese Technik kann sowohl in der Medizin als auch in der Pflanzenzucht genutzt werden.

Illustration: picturedesk / Science Photo Library / Alfred Pasieka

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nicht in Stein gemeißelt, sondern werden ständig überprüft und gegebenenfalls korrigiert. Dass diese Selbstregulation funktioniert, zeigt das Beispiel der Genschere CRISPR/Cas9: Die Methode revolutioniert die biologische und medizinische Forschung, weil Wissenschafter damit DNA punktgenau schneiden und einzelne Erbgutbausteine nach Wunsch verändern können.

Doch im Mai 2017 dämpfte eine Studie im Fachblatt "Nature Methods" die Euphorie: Die Autoren warnten vor sogenannten Off-Target-Effekten: CRISPR schneide nicht nur an der gewünschten Stelle im Erbgut, sondern könne "Hunderte von ungeplanten Mutationen, also DNA-Veränderungen, im Genom" auslösen. Theoretisch kann der Austausch nur eines DNA-Bausteins fatale Nebenwirkungen hervorrufen, etwa ein Krebsgen anschalten.

Die Studie sorgte weltweit für Schlagzeilen, die Aktien der Unternehmen, die auf das Wunderwerkzeug setzten, verloren vorübergehend an Wert – und Gegner von Genome Editing fühlten sich in ihren Bedenken bestätigt. So brannte sich die Nachricht über die Ungenauigkeit der Genschere in das öffentliche Gedächtnis. Dass die Studienergebnisse von zahlreichen Wissenschaftern angezweifelt wurden, verhallte weitgehend ungehört.

Fehlerhafte Studie

Dabei reagierte die "Nature"-Redaktion umgehend: Schon im Juni 2017 informierte sie ihre Leser online über die vielfach geäußerte Kritik an der Studie, im Juli wurde darüber berichtet, dass die Kritiker so zahlreich waren, dass die Ergebnisse überprüft würden.

Ende März 2018 zog "Nature" die Studie nun offiziell zurück. Im Leitartikel heißt es dazu: "Der Studie fehlen wesentliche Kontrollen, sodass es nicht möglich ist, die beobachteten genetischen Veränderungen im Erbgut der Genschere zuzuschreiben." Die Studienautoren hatten bei zwei Mäusen ein Blindheit verursachendes Gen mithilfe von CRISPR/Cas9 erfolgreich repariert.

Im Anschluss daran entschlüsselten sie das komplette Erbgut der beiden Mäuse und verglichen es mit dem Erbgut einer "unbehandelten" Maus derselben Zuchtlinie: Die CRISPR-Mäuse unterschieden sich in 1500 DNA-Bausteinen, und an weiteren gut 100 Stellen im Erbgut fehlten DNA-Stücke oder es waren zusätzliche vorhanden. Die Wissenschafter schlussfolgerten, dass CRISPR für diese Veränderungen verantwortlich sei.

Bemängelt wird vor allem das Versuchsdesign der Studie: Denn die Forscher verabsäumten es, das Erbgut der Elterntiere der drei Mäuse zu entschlüsseln, um auszuschließen, dass ein Teil der beobachteten Veränderungen vererbt wurde. So handelt es sich bei den gefundenen Erbgutveränderungen wohl um normale genetische Variationen, die bei jeder Fortpflanzung auftreten.

Bahn frei für veränderte Pflanzen

Die Studienautoren haben derweil weitere Experimente durchgeführt und eine Berichtigung veröffentlicht: "Die Ergebnisse weiterer Erbgutanalysen unterstützen die Idee, dass in spezifischen Fällen mit CRISPR/Cas9 präzise Veränderungen im Genom eines Organismus möglich sind, ohne dass dies zu zahlreichen, ungewollten Off-Target-Mutationen führt."

Im Februar hielt auch das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in einem wissenschaftlichen Bericht fest, dass Genome Editing sehr selten zu Off-Target-Effekten führt.

In der Pflanzenzucht ist der Siegeszug der neuen Techniken denn auch kaum mehr aufzuhalten. So entschieden die amerikanischen Behörden im März, das gen-editierte Pflanzen nicht unter die Gentechnikbestimmungen fallen, wenn sie auch unter natürlichen Bedingungen hätten entstehen können, wenn also nur einzelne DNS-Bausteine verändert wurden, sogenannte Punktmutationen.

Für die Landwirtschaft ist das eine grundlegende Entscheidung: Farmer können solche Pflanzen in den USA damit ohne Auflagen anbauen und vermarkten. Noch dieses Jahr soll die erste geneditierte Pflanze auf den Markt kommen: Sojabohnen mit einer veränderten Fettsäurenzusammensetzung.

Paradigmenwechsel

Die Entscheidung der EU wurde bereits mehrfach verschoben und steht noch aus. Im Jänner hatte aber der Generalanwalt Michal Bobek vor dem Europäischen Gerichtshof eine wegweisende Stellungnahme abgegeben, die mit der amerikanischen Sichtweise übereinstimmt. So sollen auch in der EU nicht alle mithilfe der Genschere optimierten Pflanzen unter das strenge Gentechnikgesetz fallen.

Das wäre ein Paradigmenwechsel: Bisher wiegt in Europa – anders als in Amerika – der technische Entstehungsprozess einer Pflanze mehr als das Endergebnis. Normalerweise würden also alle Pflanzen, die mithilfe der Genschere gezüchtet wurden, automatisch zu genetisch veränderten Organismen, die ein aufwendiges Zulassungsverfahren durchlaufen müssen.

Doch bei dieser Auslegung gibt es einen Haken: Das eingebrachte Genschere-Material existiert nicht mehr im Endprodukt. Und Punktmutationen entstehen in der Natur fortwährend, sie sind der Motor der Evolution. Daher lassen sich solche minimal veränderten Pflanzen nicht von natürlichen Artgenossen unterscheiden.

Pflanzen hingegen, denen mithilfe der Genscheren artfremde DNS eingefügt wird, sollen weiterhin unter das Gentechnikgesetz fallen. Mit dem endgültigen Urteil des EuGH, das meist der Einschätzung des Generalanwalts folgt, wird im Laufe des Jahres gerechnet.

Wie schnell CRISPR und Co im Menschen zum Einsatz kommen werden, bleibt abzuwarten: Die Sicherheit der Genschere ist trotz ihrer Rehabilitation noch nicht abschließend geklärt. (Juliette Irmer, 16.5.2018)