Wien – Die schwerfälligen, grauen Eingangstore des Ditteshofes in Wien-Döbling stehen weit offen. Nach ein paar Schritten steht man im ersten von zwei Innenhöfen des in die Jahre gekommenen Wiener Gemeindebaus. Eine Babyschaukel steht neben einer Wippe in der Mitte.

Daneben ist ein Gitterkäfig, in dem normalerweise Abfallcontainer stehen. Der Käfig ist nicht versperrt wie sonst immer, sondern offen zugänglich. Davor stehen Teelichter, Grabkerzen, und Teddybären liegen auf dem Boden. In einem dieser Container wurde vergangenen Samstagmorgen die Leiche eines siebenjährigen Mädchens gefunden, verpackt in einen Plastiksack.

Der Ditteshof ist ein Gemeindebau in Wien-Döbling. Er wurde in den 1920er Jahren errichtet.
Foto: Ayham Yossef

Spuren werden ausgewertet

Entdeckt wurde die Leiche von Mitarbeitern der MA 48, die die Müllentsorgung durchführten. Das Mädchen wohnte mit seiner Familie in genau diesem Gemeindebau, bloß einen Hof weiter. Über die Hintergründe und den Hergang des Gewaltverbrechens gibt es erst wenige Informationen – die Polizei bestätigte lediglich, dass bisher keine Hinweise auf ein Sexualverbrechen vorliegen. Bekannt wurde außerdem, dass das Mädchen wohl durch einen Stich in den Hals getötet wurde.

Weitere Informationen behält die Polizei aus "ermittlungstechnischen Gründen" für sich. Auch ob ein rassistischer Hintergrund vorliegt, ist noch nicht klar – die Familie hat tschetschenische Wurzeln. Zwei Polizisten in Zivil stehen beim Eingang des Hofes, zwei weitere an der Ecke des Gebäudes. Spuren würden ausgewertet, hieß es.

Bewohner und Anteilnehmende haben zum Andenken an die Siebenjährige Kerzen aufgestellt.
Foto: Ayham Yossef

Onlinepostings beschäftigen die Familie

Der Bruder des kleinen Mädchens, ein Jugendlicher, steht vor der Gittertür, blickt abwechselnd die Container und die Kerzen an. Seit über seine kleine Schwester medial berichtet wird, beschäftigen ihn die Postings unter den Artikeln. Immer wieder müsse er Spekulationen von Usern lesen, sagt er dem STANDARD.

Etwa, dass es komisch sei, dass die Vermisstenmeldung erst so spät – um Mitternacht – aufgegeben wurde. Ihm ist wichtig, klarzustellen, dass er selbst bei der Polizei angerufen hat – um 22 Uhr, nachdem die Suche erfolglos blieb. Polizeisprecherin Irina Steirer bestätigt den Anruf des Bruders. Ihm sei mitgeteilt worden, dass er die offizielle Anzeige bei einer Polizeiinspektion machen müsse. Dem sei er dann auch nachgekommen.

Der Bruder der Getöteten erklärt im Video, wie er die Vermisstenanzeige aufgegeben hat
DER STANDARD

Tschetschenische Community ist präsent

Seit drei Tagen geht Said-Emi Madaer im Ditteshof auf und ab. Er unterstützt die Familie und berät die Angehörigen. Sieht man ihm zu, könnte man meinen, er übernimmt auch so etwas wie eine Koordinationsfunktion für die vielen Journalisten, die im Hof unterwegs sind.

Der Mann ist vom Rat der Tschetschenen und Inguschen und bezeichnet sich selbst gegenüber dem STANDARD als "Seelsorger". Er berichtet, dass die tschetschenische Community Geld sammle, um die Familie finanziell zu unterstützen.

Immer wieder kommt es im Ditteshof zu Problemen, weil sich ältere Bewohner in ihrer Ruhe gestört fühlen.
Foto: Ayham Yossef

Stimmung ist angespannt

Die Spekulationen, die medial und in sozialen Netzwerken verbreitet werden, hallen auch im Ditteshof wider. Alle seien misstrauisch gegeneinander, sagt der Bruder.

Die Stimmung war auch schon vor der Tragödie angespannt. "Immer wieder schreien Leute 'Scheiß Ausländer' aus dem Fenster, wenn Kinder zu laut spielen", erzählt eine Bewohnerin. Die junge Frau sitzt auf einer Bank am Rande des Spielplatzes. Seit zehn Jahren wohnt sie hier. "Alle warten darauf, dass der Täter gefasst wird", sagt sie. "Jeder hier hat Angst. Noch nie war es im Hof so leise."

Angst vor Spaltung

Eine ältere Frau – sie wohnt seit acht Jahren hier – berichtet, selbst schon einmal die Polizei gerufen zu haben: "Aber nicht wegen der Kinder, sondern weil es lauten Streit gegeben hat." Die Bewohnerin wünscht sich dringend einen Hausmeister, der ein Auge auf Konflikte im Hof hat, die geglättet werden sollen, bevor es aus dem Ruder läuft.

Zu einem Streit ist es am Samstagabend gekommen, als sich Trauernde und Freunde im Hof versammelten. Bewohner berichten dem STANDARD, dass jemand die Polizei gerufen hat, weil er sich gestört gefühlt hätte. Es ist zu einer gefährlichen Drohung seitens der Trauernden gekommen, bestätigt Polizeisprecherin Steirer. Die Situation sei schnell wieder unter Kontrolle gewesen.

"Der Hass gegen uns wird immer schlimmer", sagt ein Freund des Bruders. Sollte ein rassistischer Hintergrund vorliegen, würde das "die Gesellschaft und Wien spalten", sagt er. (Vanessa Gaigg, 14.5.2018)