Wifo-Chef Christoph Badelt plädiert für eine österreichweit einheitlich geregelte Mindestsicherung.

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Wien – Bei der Diskussion über die Reform der Sozialversicherungen plädiert Wifo-Chef Christoph Badelt zuerst für die Lösung von Effizienzproblemen. "Überlegungen zur Trägerstruktur sollten erst am Ende einer Reform des Systems stehen", sagte Badelt am Montag im Klub der Wirtschaftspublizisten in Wien. Dass es sinnvoll wäre, die Zahl der Träger zu reduzieren, sei "weitgehend unbestritten".

Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, Christoph Badelt, rechnet damit, dass Österreich nach dem Brexit höhere Beiträge in den EU-Topf einzahlen muss.
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Funktionäre Nebenschauplatz

Mit einer Reduktion der Träger könne man Einsparungen etwa bei der Zahl der Funktionäre erzielen, die "wirklichen Effizienzprobleme" seien aber nicht beseitigt, so Badelt. Für den Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts sollte die Regierung zuerst die Leistungen verschiedener Krankenversicherungsträger vereinheitlichen und das Investitionsverhalten verschiedener Träger aufeinander abstimmen.

Außerdem müsse der ambulante und stationäre Bereich der Gesundheitsversorgung besser miteinander vernetzt werden. Österreich habe pro 1.000 Einwohner 60 Prozent mehr Spitalsbetten als der Durchschnitt der OECD-Länder. Badelt empfiehlt der türkis-blauen Regierung auch, die unklare Kompetenzlage zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungen im Gesundheitswesen zu bereinigen.

"Die Themen sind lang am Tisch und werden zugedeckt durch die politische Diskussion", so der Wifo-Chef. Die Debatte konzentriere sich derzeit auf wenige Schlagwörter, statt der Breite der Problematik gerecht zu werden.

Selbstverwaltung ausgeklammert

Man wisse noch nicht, wie die Regierung vorgehen wolle. "Es müsste sich in den nächsten Wochen und Monaten klären", erwartet Badelt. In der Studie der London School of Economics zum heimischen Sozialversicherungssystem aus dem Jahr 2017 könne man viele Beispiele für Ineffizienzen finden. Leider habe die vom damaligen Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) in Auftrag gegebene Studie die Frage der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger explizit ausgeklammert. "Sachfragen ohne Selbstverwaltung sind vielleicht schneller lösbar", sagt der Wifo-Chef.

Einheitliche Mindestsicherung ohne Deckelung

Die Höhe der Mindestsicherung sollte für Badelt österreichweit einheitlich geregelt sein. Bei den Wohnkosten müsse aber eine Differenzierung nach Regionen stattfinden. Eine finanzielle Deckelung der Mindestsicherung für Großfamilien ist für den Wifo-Chef nicht sinnvoll, weil es sich um das "unterste soziale Netz" des Sozialsystems handle.

Um die Nähe der Mindestsicherung und Notstandshilfe zu den Arbeitseinkommen zu reduzieren, sollten vielmehr die Sozialversicherungsbeiträge von Niedriglohnbeziehern teilweise oder komplett steuerfinanziert werden. "Das ist eine ziemlich starke Belastung", so Badelt. Diese Maßnahme habe das Wifo bereits in mehreren Studien vorgeschlagen.

Arbeitslosigkeit zu hoch

Trotz einer aktuell sinkenden Arbeitslosenrate sei die Arbeitslosigkeit auf einem "viel zu hohen Niveau", sagt Badelt. Heuer rechnen die Wirtschaftsforscher mit einem Rückgang auf 7,7 Prozent und 2019 auf 7,3 Prozent. "Wir glauben nicht, dass es viel weiter nach unten geht." Eine derart hohe Arbeitslosenrate könne weder wirtschaftlich noch sozial als akzeptabel angesehen werden. Vor allem durch angebotsseitige Effekte – Pensionsreform, Migration und Flüchtlinge – sei die Arbeitslosigkeit zwischen 2012 und 2016 gestiegen. Seit 2017 sinke sie wieder.

Die Arbeitsmarktpolitik müsse sich speziell um die Problemgruppen kümmern und auf Qualifizierung setzen, empfiehlt Badelt. Bei anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten sei es "ökonomisch wahnsinnig wichtig", sie zu integrieren und zu qualifizieren. Das fange bei Deutschkursen an und höre bei Berufsausbildungen auf. 2019 sei das "kritische Jahr", wenn der AMS-Verwaltungsrat ein neues Budget beschließen werde.

Die von der Regierung angekündigte Kürzung bei den Überbetrieblichen Lehrwerkstätten des AMS passe zu dem Ziel, offene Lehrstellen bei Betrieben zu besetzen. Es sei besser, wenn Lehrlinge direkt in der Wirtschaft unterkommen, so Badelt. Außerdem müsse man beachten, wie das AMS die freien Mittel woanders einsetzt.

"Aktion 20.000" im Hinterkopf

Die von der türkis-blauen Regierung vorerst gestoppte "Aktion 20.000" für Langzeitarbeitslose über 50 Jahren hätte Badelt erst bei 10.000 bis 12.000 Personen abgebrochen. Über die Aktion haben 4.400 Personen einen Job erhalten. Zentral sei, dass diese Jobs nicht reguläre Stellen in Gemeinden und NGOs ersetzen und eine sinnvolle Tätigkeit bieten.

Wenn die Arbeitslosigkeit von über 50-Jährigen wieder steige, sei eine Fortsetzung der "Aktion 20.000" überlegenswert, sagt der Wifo-Chef. Das Beschäftigungsprogramm würde nicht viel mehr kosten als die Arbeitslosenzahlungen und nur aus einem anderen Topf finanziert werden. Er habe auch nichts gegen die Einbeziehung der privaten Wirtschaft bei der "Aktion 20.000".

Budget zusätzlich belastet

Der Wegfall des Pflegeregresses und möglicherweise höhere EU-Nettozahlungen Österreichs nach 2020 könnten den Budgetkurs der Regierung gefährden, sagt Badelt. Ob das Nulldefizit halten werde, wisse er derzeit nicht. Wichtig sei der Versuch der Regierung, das Budget zu konsolidieren, um Spielraum für schlechtere Zeiten zu haben.

Ceta hilft KMUs

Die ÖVP-FPÖ-Regierung will das EU-Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) offenbar bald im Ministerrat beschließen. "Ich war immer ein Anhänger von Ceta und halte das Abkommen für eine gute Sache", sagt Badelt. "Die Diskussion wird maßlos übertrieben." Das Abkommen sei gut für kleinere und mittlere Unternehmen in Österreich. Beim strittigen Thema Schiedsgerichte habe man sich bei Ceta auf ein Investitionsgericht mit Berufsrichtern verständigt. (APA, red, 14.5.2018)