Die Aktenstapel der öffentlichen Verwaltung sind in Österreich ein gut gehütetes Geheimnis.

Foto: Getty Images/iStockphoto

In Langenzersdorf wählten 2581 Bürger bei der Gemeinderatswahl 2010 die ÖVP. Wie viele davon dem Bürgermeister des niederösterreichischen Ortes eine Vorzugsstimme gegeben haben, behielt das Amt lieber für sich, als ein interessierter Bürger im Jahr 2011 danach fragte. Die Gemeinde hatte das Recht auf ihrer Seite, in Niederösterreich mussten Vorzugsstimmenergebnisse nicht veröffentlicht werden: Das Amtsgeheimnis hat zugeschlagen. All das hätte sich seitdem ändern sollen.

DER STANDARD fragte beim Langenzersdorfer Bürgermeister um die Vorzugsstimmenergebnisse der Gemeinderatswahl von 2015 an – ohne Antwort. Das Amt hat auch im Jahr 2018 noch das Recht zu schweigen.

Optimistisch betrachtet hatte der STANDARD noch Glück, dass Langenzersdorf keine Rechnung schickte: Die NGO Forum Informationsfreiheit und die Plattform Addendum machten die Erfahrung, dass das Amtsgeheimnis auch Zähne zeigen kann. Beide stellten Anfragen an hunderte Gemeinden – statt Antworten erhielten sie von vielen Gebühren für das Einlangen der Schreiben aufgebrummt.

Amtliche Informationen sind geheim, außer sie sind es nicht. So könnte man die gesetzliche Lage vereinfacht erklären: Das Recht sieht sowohl Amtsverschwiegenheit als auch Auskunftspflicht vor. Was im Einzelfall gilt, ist nicht eindeutig geregelt. Das führt dazu, dass öffentliche Stellen Informationen wie Studienergebnisse, Vertragsinhalte, Fördersummen oder eben Wahlergebnisse für sich behalten können, wenn sie das wollen. Österreich gehört weltweit zu den Schlusslichtern, was Informationsfreiheit betrifft – das Nachbarland Slowenien zu den Musterschülern.

Das fand einer schon 2013 untragbar: Sebastian Kurz, damals Staatssekretär, heute Bundeskanzler (ÖVP). "Gläserner Staat statt gläserner Bürger", forderte er und trat dafür ein, "dass alles, was aus Steuergeld finanziert wird, offengelegt werden muss". Kurz verhandelte damals mit der SPÖ – und forderte sie vor fünf Jahren auf, "schnell in die Gänge zu kommen". Bis zur Nationalratswahl 2017 wollte Kurz damals ein Gesetz zustande bringen.

Das ist nicht passiert – doch was Rot-Schwarz bis 2017 nicht schaffte, versucht Türkis-Blau nun gar nicht mehr.

Unter dem roten Kanzler Werner Faymann verhandelten SPÖ und ÖVP jahrelang untereinander und mit Oppositionsparteien, weil eine Verfassungsmehrheit für eine Reform des Amtsgeheimnisses notwendig ist. Ergebnislos, obwohl die Schaffung von Informationsfreiheit im Regierungsprogramm festgeschrieben war. Im Regierungsprogramm zwischen ÖVP und FPÖ, verhandelt von Kurz selbst, findet sich kein Wort zur Abschaffung des Amtsgeheimnisses.

Josef Barth wundert das alles nicht mehr. "Man hat uns alles versprochen und alles gebrochen", sagt der Gründer des Forums Informationsfreiheit, das seit Jahren für das Ende des Amtsgeheimnisses lobbyiert. Noch 2013 prophezeite er im STANDARD, es müsse bei der Informationsfreiheit mittelfristig zum "Dammbruch kommen. Der Druck wird immer größer werden." Bisher ist das nicht passiert, aber "wenn wir uns weiterhin als liberale Demokratie sehen wollen, dann muss diese Mauer endlich fallen".

Der Abgeordnete Peter Wittmann verhandelte damals für die SPÖ, will gegen Ende der Legislaturperiode "einen abnehmenden Enthusiasmus der ÖVP" gespürt haben, es sei "dann nur mehr darum gegangen, die Regierung platzen zu lassen".

Dabei seien die Verhandlungen damals schon "sehr weit gediehen", sagt Neos-Verfassungssprecher Nikolaus Scherak, "man muss nur den Ball wieder aufnehmen. Man könnte da sehr zügig zu einem Ergebnis kommen, wenn man will." Scherak glaubt nur nicht, dass die Regierung das will.

So wollen die Abgeordneten der Regierungsparteien das nicht stehenlassen. Wolfgang Gerstl (ÖVP) sagt, bei der geplanten "Demokratiereform wird sicher auch das Amtsgeheimnis dabei sein". Philipp Schrangl (FPÖ) gesteht, die Informationsfreiheit sei "nicht die Toppriorität", aber er habe das Thema weiterhin auf der Agenda. Dass es noch in dieser Legislaturperiode – also bis 2022 – ein neues Gesetz gibt, darauf will er sich nicht festlegen.

Und der Kanzler, ist er weiterhin für Informationsfreiheit? Warum steht die Abschaffung des Amtsgeheimnisses nicht im Koalitionspakt? Das bleibt ein Geheimnis im Bundeskanzleramt: Eine Anfrage des STANDARD bleibt unbeantwortet.

ÖVP-Verhandler Gerstl hat jedenfalls eines gelernt aus den gescheiterten Versuchen, den Staat transparenter zu machen: "Man muss das in Ruhe besprechen – mit weniger Öffentlichkeit." (Sebastian Fellner, 22.5.2018)