Konfliktforscherin Sabine Mannitz setzt auf den "Dialog mit den Familien".

Foto: HSFK

Frankfurt am Main – Was die Regierung für Österreich will, wird längst auch in Deutschland diskutiert: das Kopftuchverbot für Mädchen. Das Integrationsministerium von Nordrhein-Westfalen prüft gerade, eine derartige Regelung einzuführen.

Sabine Mannitz, deutsche Konfliktforscherin, verfolgt seit mehr als 20 Jahren den (gesellschafts-) politischen und rechtlichen Streit über das Stück Stoff. Von einem Verbot hält sie wenig: "Mädchen sollten nicht Symbol und Spielball der Auseinandersetzung über religiöse und gesellschaftliche Moralvorstellungen sein, sondern in ihren Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten bestmöglich unterstützt werden", sagt die Wissenschafterin von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) im Gespräch mit dem STANDARD.

"Bestehende Vorbehalte"

Man stärke Schulkinder nicht, "indem sich die staatliche Schule als Gegner der Eltern in Stellung bringt und bestehende Vorbehalte noch vertieft", sagt sie. Mannitz setzt stattdessen auf den "Dialog mit diesen Familien". Das sei notwendig, weil für die deutsche Wissenschafterin außer Streit steht, dass das Kopftuch den Alltag von Mädchen erschwert. Ein Kopftuch schränke sie in ihrer körperlichen Selbsterfahrung ein. "Ich halte es für keine gute Entscheidung, wenn Eltern schon ihre sehr jungen Töchter verhüllen", stellt Mannitz klar. Dem Argument, das Kopftuch bedeute eine Sexualisierung von ganz jungen Mädchen, kann sie aber nichts abgewinnen. Weitergedacht müsse es dann "einigen Regelungsbedarf auch bei der sexualisierenden Mainstream-Mode" geben.

Skeptisch ist Mannitz auch, ob bei einer derartigen Regelung Privatschulen miterfasst werden können. Schließlich sei deren Existenz dem Gedanken geschuldet, dass das elterliche Interesse an einer bestimmten Ausrichtung schulischer Bildung – sei diese weltanschaulich, religiös oder etwa reformpädagogisch – seine Berechtigung habe.

Nur eine "kleine Gruppe"

Genaue Zahlen, wie viele Mädchen ein Kopftuch tragen, gibt es auch in Deutschland nicht, die Konfliktforscherin geht von einer "kleinen Gruppe" aus. Ein Verbot würde längst nicht nur diese Familien betreffen, ist sie überzeugt: "Wenn Kopftücher als religiöse Symbole verboten werden sollen, geraten auch die Kippa, der Turban und Symbole des Christentums ins Visier, und der Stellenwert von Religion im öffentlichen Raum würde insgesamt ein anderer." Diesbezüglich hat schon Brigitte Bierlein, Präsidentin des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, ein einseitiges Verbot als "problematisch" bezeichnet.

Und was ist mit Lehrerinnen? Erst vergangene Woche ist eine Frau, die an einer Grundschule in Berlin mit Kopftuch unterrichten wollte, damit vor dem Arbeitsgericht abgeblitzt. Mannitz ist auch hier gegen Verbote. "Frauen, die aus freien Stücken ein Kopftuch tragen, weil es ihren Glaubensverständnissen entspricht, sind Teil unserer Gesellschaft", sagt sie. Wollen sie als Lehrerin arbeiten, sei entscheidend, "dass sie die Entscheidung für das Tuch als ihre persönliche Wahl vertreten und nicht andere Lesarten des Islam als weniger richtige diskreditieren". Mit einem Berufsverbot verschenke man Potenzial, findet Mannitz, da so jungen Musliminnen "vor Augen geführt werden kann, dass ihre Religion nicht bedeuten muss, sich auf Familien- und Hausarbeit zu beschränken".

Gegen Zuspitzungen

Zurück zu den Mädchen: Mit einem "selektiven Verbot" trage man "zum weiteren Ausschluss von Kindern bei, die ohnehin schon Diskriminierung erfahren". Für die deutsche Konfliktforscherin lautet der bessere Weg, sich mit der vorhandenen Diversität in den Schulen auseinanderzusetzen. Grundsätzlich tritt Mannitz für einen pragmatischeren Umgang ein, der "für konkrete soziale Situationen eine Lösung sucht", anstelle derartig zuzuspitzen: "Wenn wir es schaffen, dass junge Frauen sich tatsächlich selbst und bewusst ebenso für wie gegen ein Kopftuch entscheiden können, ist mehr gewonnen, als wenn wir Schulmädchen symbolisch vom Zwang ihrer Eltern befreien." (Peter Mayr, 14.5.2018)