Mit jedem Blatt Papier, das aus den Ermittlungsakten gegen den Verfassungsschutz (BVT) nach außen dringt, wird die Causa absurder. Diese Woche tauchten die Aussagen jener vier bislang geheimen Zeugen auf, die laut Staatsanwaltschaft für die Hausdurchsuchung Ende Februar gesorgt haben. Wer die knapp einhundert Seiten der Protokolle durchliest, die nach außen drangen, weiß noch immer nicht genau, warum. Da wird vor der Staatsanwaltschaft Schmutzwäsche gewaschen und ein Best-of der Gerüchte über BVT-Kollegen geliefert. Konkrete Vorwürfe, die eine derart spektakuläre Razzia rechtfertigen würden, fehlen aber.

Nun ist schon klar, dass der Verfassungsschutz mehr Kottan als FBI ist. Teilweise verblüffen die Wortmeldungen der ehemaligen Mitarbeiter aber selbst langjährige Beobachter des Nachrichtendienstes. Da gibt eine Mitarbeiterin etwa zu Protokoll, sie habe ihrem Chef, der mit nordkoreanischen Passrohlingen prahlte, gebeten, sie "mit seinen Geschichten in Ruhe zu lassen". Ein ehemaliger Abteilungsleiter behauptet, er sei vom Kabinett des Innenministeriums gezwungen worden, einen Mitarbeiter zu behalten, weil dieser "zu viel weiß". Ein dritter Zeuge will heimlich beobachtet haben, wie sich zwei Kollegen im Büro über korrupte Nebentätigkeiten unterhalten haben.

Das alles wirft kein gutes Licht auf den Verfassungsschutz. Auch nicht auf dessen bisherige Führungsebene, die Objekt der Ermittlungen ist. Denn entweder die wiedergegebenen Inhalte sind wahr: Dann herrschen im BVT Unvereinbarkeiten und Chaos, was das Vertrauen in die oberste Sicherheitsbehörde durchaus erschüttert. Oder die Geschichten sind das Produkt überbordender Fantasie oder glatte Lügen – dann muss man sich aber fragen, warum diese Belastungszeugen jahrelang im Verfassungsschutz arbeiten können oder konnten.

Nach den Zeugenaussagen und den Umständen, die zu ihnen führten, muss man Innenministerium und Staatsanwaltschaft einmal mehr fragen, was sie sich bei der spektakulären Razzia eigentlich gedacht haben. Das soll nicht heißen, dass der Verfassungsschutz sakrosankt wäre. Im Gegenteil: Eine enge ministerielle und parlamentarische Kontrolle ist nötig. Aber wenn die erste Belastungszeugin, die von einem Kabinettsmitarbeiter des frisch vereidigten FPÖ-Innenministers "vermittelt" wurde, der Staatsanwaltschaft sagt, sie wisse selbst nicht genau, warum sie heute hier bei der Befragung sei, dann sollten für erfahrene Staatsanwälte doch alle Alarmglocken schrillen.

Der zweite Belastungszeuge behauptet steif und fest, das ominöse Konvolut voller übertriebener oder falscher Vorwürfe nicht selbst verfasst, ja nicht einmal gelesen zu haben – seine Aussage deckt sich stellenweise aber fast wortgleich mit dem Dossier. Auch das ist der Staatsanwältin offenbar nicht aufgefallen. Wenn man dann hört, dass hinter den Kulissen immer noch eine dubiose Partnerschaft zwischen Staatsanwaltschaft und Kabinett besteht und beide offenbar koordiniert nach neuen Zeugen suchen, dann wird der Eindruck einer politisch motivierten Ermittlung nicht schwächer.

Das ist gefährlich, weil die Ermittlungen die Funktionsfähigkeit der Behörde einschränken. Und es ist schade, weil eine sinnvolle Neuorganisation des BVT auf Jahre unter einem schlechten Stern steht. Der Sicherheit Österreichs hat Innenminister Herbert Kickl damit keinen Gefallen getan. (Fabian Schmid, 11.5.2018)