STANDARD: Für viele kam der Rücktritt von Matthias Strolz sehr überraschend. Wann hat er Sie eigentlich über seinen Schritt informiert?

Meinl-Reisinger: Er hat mich vergangene Woche informiert, ich konnte mich ein wenig darauf vorbereiten und mit meiner Familie sprechen. Ich habe aber gespürt, dass er diesen Schritt tun wird. Dass er sich als Gründer zurücknimmt und der Bewegung ermöglicht, sich zu emanzipieren, halte ich für eine enorme Leistung.

STANDARD: Strolz hatte bei seiner letzten Wahl als Parteivorsitzender im Jänner 2017 98,98 Prozent der Mitglieder hinter sich. Das ist eine steile Vorgabe. Wird Ihnen da ein bisschen mulmig vor der Mitgliederversammlung im Juni?

Meinl-Reisinger: Über Prozentzahlen habe ich mir noch nicht den Kopf zerbrochen, ich habe ja erst jetzt bekanntgegeben, mich zu bewerben. Ich freue mich über die Unterstützung von Matthias, aber auch über interne und externe Bestätigung. Wir sind nicht Nordkorea, mich würde es wundern, wenn niemand anderer darüber nachdenkt zu kandidieren. Ich bin sehr entspannt.

Foto: Der Standard/Christian Fischer

STANDARD: Sie waren jetzt knapp drei Jahre im Wiener Gemeinderat. Was werden Sie als Klubchefin anders machen als Strolz? Müssen wir uns auf weniger Metaphern einstellen?

Meinl-Reisinger: Ich habe noch keinen konkreten Plan, dazu war die Zeit zu kurz. Ich habe klar gesagt, ich bin nicht Matthias Strolz. Ich habe in Wien etwas erfolgreich aufgebaut und geführt und führe es noch weiter. Bei einer unser ersten gemeinsamen Pressekonferenzen bin ich davon ausgegangen, dass er über die Positionen von Neos sprechen wird und ich ergänzend dazu Informationen bringe. Er hat aber sehr bildreich von "Landebahnen der Zukunft" gesprochen – das war neu für mich. Das ist eine Stärke von ihm, ich ticke aber anders. Vielleicht hat es aber auch abgefärbt.

STANDARD: Zuletzt hat er mit einem Posting über einen drohenden Bürgerkrieg auch intern für viel Diskussion gesorgt. Wie stehen Sie dazu?

Meinl-Reisinger: Es geht mir um die Diktion. Gerade bei heiklen gesellschaftlichen Fragen sollten Politiker sensibel mit Sprache umgehen. Gleichzeitig verstehe ich genau, worum es ihm geht, und teile diese Ansicht. Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist extrem brüchig. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft. Das ist nicht nur ein Faktum, sondern auch ein Wert.

STANDARD: Worauf führen Sie die Bedrohung zurück?

Meinl-Reisinger: Auf verschiedene Dinge. Es gibt eine Identitätskrise in Europa, wir haben es verabsäumt, eine gemeinsame Erzählung zu finden. Die Grundwerte, die uns alle vereinen, sind sehr unter Druck – durch totalitäre Politiker, aber auch durch religiöse oder kulturelle antiliberale Tendenzen. Sie wollen grundsätzlich keine offene Gesellschaft. Deswegen müssen wir immer im Dialog bleiben.

STANDARD: Ist es dann klug, von einem drohenden Bürgerkrieg zu sprechen?

Meinl-Reisinger: Meine Diktion ist es nicht, aber wir können nicht sehenden Auges in eine Gesellschaft gehen, in der wir von "wir" und "die" sprechen. Einer säkularen, aufgeklärten Gesellschaft tut es nicht gut, einer dominanten Religion eine andere Religion entgegenzuhalten. Religion ist Privatsache, Religion und Politik gehören getrennt – wenn es nach mir geht, in Österreich und in der Türkei.

Foto: Der Standard/Christian Fischer

STANDARD: Strolz' Herzensthema ist die Bildung, was ist Ihres?

Meinl-Reisinger: Da sind wir uns einig, Bildung ist unser Hauptanliegen. Es geht um die Entfaltung der Menschen. Ich teile die Leidenschaft und auch die Ungeduld, dass wir endlich zu Lösungen kommen. Es werden zaghafte Schritte Richtung Schulautonomie gesetzt, wenn es aber um Integration oder Migration geht, werden Probleme groß gemacht, ohne Lösungen zu präsentieren. Das ist katastrophal für die nächste Generation.

STANDARD: Was sind Ihre Lösungen?

Meinl-Reisinger: Es gibt Klassen in Wien, in denen 80 Prozent der Schüler der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Alle Kinder sollen Deutsch können, damit sie die gleichen Chancen haben. Da sind große Versäumnisse passiert.

STANDARD: Können Sie mit den von der Regierung geplanten separaten Deutschklassen etwas anfangen?

Meinl-Reisinger: Wenn ein, zwei Schüler in einer Klasse nicht Deutsch können, funktioniert Integration bestens. Wenn aber der Großteil kein Deutsch spricht oder nur auf einem geringen Niveau, ist der integrative Unterricht schwierig. Die Schulen sollen das daher selbst entscheiden können. In einigen Schulen spricht vieles für Extraklassen. Die entscheidende Frage ist aber nicht, ob, sondern wie das organisiert wird.

STANDARD: Die Neos haben im Parlament die notwendigen Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit. Besteht für die Partei die Gefahr, als Mehrheitsbeschafferin missbraucht zu werden, gerade wenn es um pinke Kernthemen wie Sozialversicherungsreform, ORF oder Pflichtmitgliedschaft bei Kammern geht?

Meinl-Reisinger: Wir sind die Hüterin der Verfassung – ohne uns gibt es keine Änderung, das ist gut so. Gleichzeitig mahnen wir Reformen ein und sind für Gespräche offen. Auf billige Kuhhandel lassen wir uns nicht ein. (Marie-Theres Egyed, 9.5.2018)