Der überraschende Sieg der EU-Gegner bei dem britischen Referendum im Juni 2016 über den Austritt aus der Union ("Brexit") war – weit über die Grenzen des Vereinigten Königreichs – eine folgenschwere Niederlage für die Anhänger eines offenen Europas. Wer hätte aber gedacht, dass zwei Jahre nach der Volksabstimmung und ein Jahr nach der von Premierministerin Theresa May leichtsinnig angesetzten Unterhauswahl nicht nur das Land, sondern auch die konservative Regierung mehr denn je gespalten bleibt. Die stockenden Verhandlungen mit Brüssel wirken deshalb für die Kenner der Szene trügerisch, weil die Regierung unter der bloß nominellen Führung von Theresa May in erster Linie mit sich selber verhandeln muss.

In den vergangenen Wochen und Monaten erlitt "die wohl schwächste Regierungschefin seit dem Zweiten Weltkrieg" (so ein führender Londoner Politologe) eine Reihe von Rückschlägen. Sie hatte drei Kabinettsmitglieder verloren, zuletzt Innenministerin Amber Rudd, im Oberhaus erlitt sie zehn Abstimmungsniederlagen und war auf neuen Widerstand einer Kerngruppe radikaler konservativer Abgeordneter gegen ihren widerspruchsvollen Brexit-Kurs gestoßen. Am Vorabend der mit Spannung erwarteten Kommunalwahlen sprach sich noch dazu die Mehrheit eines elfköpfigen Unterausschusses des Kabinetts gegen ihren komplizierten Vorschlag einer "Zollpartnerschaft" mit der EU nach dem Brexit aus.

Die Brexit-Frage zerreißt auch Labour-Anhänger

Angesichts einer öffentlich gespaltenen Regierung und eines gespaltenen Parlaments hatte die auch von den überwiegend EU-feindlichen Printmedien angeheizte Spannung am Tag der landesweiten Kommunalwahl einen neuen Höhepunk erreicht. Mehrere Gesprächspartner hatten im Falle des allgemein erwarteten Triumphes der oppositionellen Labour Partei mit dem Rücktritt der von harten Brexit-Fans bedrängten May gerechnet. Der extrem linke Parteichef Jeremy Corbyn, der bei der Unterhauswahl im Vorjahr den Labour-Anteil von 25 Prozent auf 40 Prozent gesteigert hatte, war von seinen radikalen Anhängern fast schon als ein "roter Wundermann" gefeiert worden, der bei dieser Kommunalwahl bereits die Weichen für seinen künftigen Einzug in Downing Street 10 stellen würde.

Die Wahlresultate waren allerdings eine herbe Enttäuschung für die Labour-Führung. Angesichts der nicht gerade strahlenden Leistungsbilanz nach acht Jahren konservativer Regierung konnte der von Corbyn verkörperte linke Flügel keinen Durchbruch erzielen. Selbst die bescheidenen Mandatsgewinne wurden in der öffentlichen Diskussion durch die parteiinterne Antisemitismusdebatte überschattet. Corbyn war unfähig (oder nicht willens), vor der Wahl den antisemitischen Tendenzen eine klare Absage zu erteilen. In traditionellen Labour-freundlichen Londoner Wahlbezirken profitierten sowohl Konservative als auch oppositionelle Liberal-Demokraten von der Abwendung zahlreicher jüdischer und liberaler Wähler. Außerdem zerreißt die Brexit-Frage auch Labour-Anhänger.

May hat nur eine Atempause gewonnen. Alles, einschließlich der brandgefährlichen Frage der Grenzziehung in Irland, bleibt in Schwebe. (Paul Lendvai, 7.5.2018)