SPÖ-Chef Christian Kern am 1. Mai: Die Genossen kamen in Massen, nun sollen sie auch ernsthaft mitreden dürfen.

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Kritisiert Steuergeld für "antisemitische Hetze": Oppositionsführer Kern.

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Wien – Christian Kerns Wortwahl birgt, unmittelbar vor den Feiern zum Tag der Befreiung vom NS-Regime, eine Provokation. Eine Demokratisierung habe sich die SPÖ verordnet, sagt der Parteichef: "Als Gegenmodell zu den Führerparteien, die wir in der Regierung haben."

Unter Führerpartei versteht Kern, "dass einer allein das Sagen hat" – ein Verdacht, unter dem seine eigene Partei auch schon gestanden ist. Doch damit soll nun Schluss sein. Die SPÖ müsse wieder eine politische Kraft zur Veränderung der Gesellschaft sein und keine Systemerhalterin mit einer "abgehobenen Funktionärskaste", proklamiert der Obmann: "Nicht, dass wir das sind. Aber tendenziell sind sich manche schon selbst genug."

Kreiskys Experten als Benchmark

Der Wandel sei längst im Gang, sagt Kern und meint damit die Debatte über das neue Parteiprogramm. 1.800 SP-Mitglieder, davon zehn Prozent hineinschnuppernde Gastmitglieder, hätten allein online 1.500 Kommentare zu dem im Februar vorgelegten Erstentwurf abgegeben, in unzähligen Veranstaltungen hätten insgesamt 16.000 Genossen diskutiert. Auch an Beteiligung von außen habe es nicht gemangelt, sagt die stellvertretende Bundesgeschäftsführerin Andrea Brunner. Die 1.400 Experten, die einst Bruno Kreisky Input geliefert haben sollen, habe die SPÖ de facto übertroffen.

Die Stellungnahmen sollen nun eingebaut werden, ehe der Parteivorstand am 28. Mai über den überarbeiteten Entwurf entscheidet. Erteilt das Führungsgremium seinen Sanktus, sind die Mitglieder am Zug: Die Abstimmung über das neue Programm soll in den letzten beiden Juniwochen stattfinden, wer mitmachen will, muss bis Mitte Mai der SPÖ beitreten.

Inhaltlich nennt Kern drei zentrale Fragen: erstens die Neugestaltung der Arbeitswelt angesichts der Digitalisierung – weil ein Teil der Jobs wegfalle, sei eine massive Entlastung des Faktors Arbeit bei der Finanzierung des Sozialstaats eine logische Konsequenz; zweitens die Demokratisierung, die Politik für den Einzelnen wieder "erlebbar" machen soll; und drittens jene Problematik, die auch viele Sozialdemokraten so elektrisiert wie kein anderes Thema: Zuwanderung und Integration.

"Tabubruch" mit "antisemitischer Hetze"

Abseits der Programmdebatte will Kern noch eine Botschaft loswerden. Dass das von der FPÖ regierte Innenministerium in der Zeitschrift "Alles Roger", die in einem verschwörungstheoretischem Artikel über George Soros "antisemitische Hetze" betreibe, mit Steuergeld Inserate schalte, sei ein "Tabubruch". Wenn es in der ÖVP "noch einen Rest christlichen Anstandes" gebe, dürften Kanzler Sebastian Kurz und Co das nicht einfach mit einem Achselzucken zur Kenntnis nehmen.

Liste Pilz will es genauer wissen

Die Liste Pilz nimmt eben jenes Inserat zum Anlass für eine parlamentarische Anfrage an Innenminister Herbert Kickl – mit dem Betreff "Antisemitismus auf Staatskosten". Unter anderem will die Abgeordnete Alma Zadic wissen, wie viel die Werbeschaltung in der Mai-Ausgabe gekostet hat und ob Kickl in die entsprechende Entscheidung involviert war.(Gerald John, 4.5.2018)