Premiere für Herbert Diess: Er sprach auf der Hauptversammlung von Volkswagen zum ersten Mal als Konzernchef und versprach, den Kulturwandel jetzt wirklich sehr viel stärker voranzutreiben.

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Das Klatschen in einer der hinteren Reihen ist nicht zu überhören, zumal der Applaudierende auch noch ein "Bravo, genau so!" nachschiebt. Bruno, Rentner aus Halle an der Saale, gefällt, was VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch zu Beginn der Hauptversammlung in der Berliner Messe zu sagen hat.

Pötsch dankt dem kürzlich geschassten Vorstandschef Werner Müller und erklärt, dieser habe "hervorragende Arbeit" geleistet. "Richtig so, Müller war ein guter Mann. Ich verstehe nicht, warum er gehen musste. Er hat doch souverän durch die Krise geführt", meint der Kleinaktionär. Sein Verdacht: "Der hat was gewusst. Kann mir doch keiner erklären, dass da nur ein paar Ingenieure herumgedreht haben." Er ist mit diesen Überlegungen nicht alleine.

Auch Winfried Mathes von der Fondsgesellschaft Deka Investment meint später als offizieller Redner: "Das war ein Paukenschlag, die Vorstände wurden ausgewechselt wie die Trainer bei der Werkself." Aber bei der Werkself sei der Wechsel "einleuchtend" gewesen. Warum sei Müller abgesetzt worden, will er wissen. "Gibt es da Gründe, die uns noch im Verborgenen sind?"

Exzellente Zahlen

Zweieinhalb Jahre sind nun seit dem Auffliegen des Dieselskandals bei VW vergangen. Aber das Thema ist längst noch nicht vom Tisch – auch wenn die Kasse stimmt. "Sie haben uns exzellente Zahlen vorgelegt. Herzlichen Glückwunsch!", lobt Hansgeorg Martius von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK).

2017 hat VW das operative Ergebnis von 7,1 auf 13,8 Milliarden Euro verdoppelt und den besten Wert der Unternehmensgeschichte erzielt. Nach Steuern blieben unterm Strich 11,6 Milliarden Euro Nettogewinn, 2016 waren es 5,4 Milliarden gewesen. Eine Erhöhung der Dividende gibt es auch. Sie steigt von zwei Euro auf 3,90 Euro je Stammaktie und von 2,06 auf 3,96 Euro je Vorzugsaktie.

"Schön", sagt Rentner Bruno, "aber es sind ja auch gute Autos." Eines jedoch nervt ihn gewaltig an dem Konzern, dessen Aktien er seit mehr als 20 Jahren besitzt: "Immer ist irgendwas, und man hat immer das Gefühl, es wird von oben vertuscht. Man kommt gegen die Großaktionäre und die Familien ohnehin nicht an."

Herbert Diess, der vor nicht einmal vier Wochen Matthias Müller als Chef nachfolgte, würde das natürlich nicht so sehen. Es ist seine erste Rede als Vorstandsvorsitzender bei einer Hauptversammlung, und er möchte vor allem eines vermitteln: Volkswagen drückt bei der Transformation jetzt wirklich aufs Tempo.

Der Kulturwandel, hin zu mehr Transparenz und Ehrlichkeit, weg von der Arroganz, wurde zwar seit Aufkommen der Dieselaffäre schon oft beschworen. Aber, sagt Diess: "Der größte Teil der Wegstrecke liegt noch vor uns. Die entscheidenden Jahre unserer Transformation kommen erst noch."

Interne Whistleblower

Dauerhafter wirtschaftlicher Erfolg sei nur mit einer "gesunden Unternehmenskultur" möglich. "Volkswagen muss in diesem Sinne noch ehrlicher, offener, wahrhaftiger, in einem Wort: anständiger werden", betont er – was Larry Thomson gerne hören wird. Der von den US-Behörden nach dem Abgasskandal eingesetzte Aufpasser hat in einem Bericht an das US-Justizministerium den Willen zur Aufklärung bei VW kritisiert.

Nun will Diess internen Whistleblowern die Möglichkeit geben, leichter auf Missstände hinzuweisen, ohne dass sie Folgen für die Karriere fürchten müssen. Doch es gibt bei dieser Hauptversammlung vom Chef nicht nur warme Worte über Demut, sondern auch Ausblicke: 2018 will Volkswagen mehr als 70 neue Fahrzeuge auf den Markt bringen.

Pötsch setzt auf Diess

Aktionärin Gerda, die in Brandenburg eine Spedition hat, ist trotz der guten Zahlen nur mäßig zufrieden mit der Hauptversammlung: "Es wurde nichts zur Zukunft des Diesels gesagt. Aber ohne den geht es ja auch nicht. Oder soll ich meine Lkws künftig mit Elektromotor fahren lassen?"

Die Frage bleibt unbeantwortet, dafür aber erfährt sie – wie die anderen Aktionäre – dann doch noch von Pötsch, warum der 59-jährige Diess es besser schaffen soll als sein Vorgänger Müller: "Anders als Herr Müller, der 64 Jahre alt ist, wird er die Strategie (zur Erneuerung, Anm.) völlig umsetzen können." Vielleicht war Müller ja nur zu alt. (Birgit Baumann aus Berlin, 3.5.2018)