Die Wiener Festwochen holen Regisseur Ersan Mondtag erstmals nach Österreich. Sein Ziel: Jelinek am Burgtheater zu inszenieren.

Foto: Thomas Schröder

Ihm sitzen 22 Projekte im Nacken, aber entspannt ist er trotzdem. Ersan Mondtag, der Berliner Theaterregisseur, kam anlässlich seines Orestie-Gastspiels bei den Festwochen nach Wien, plauderte auf dem Podium aus dem Stegreif über den ausgehöhlten Zustand unserer Demokratie und ist jetzt einmal auf Kur. Zuvor hat er noch die Zitate für dieses Porträt freigegeben. Das dauerte kaum fünf Minuten.

In der nächsten Spielzeit wird er am Berliner Ensemble Baal mit Stefanie Reinsperger inszenieren, sagt er im Standard-Gespräch. Er bereitet auch eine Verfilmung seines Stücks Tyrannis vor, mit dem der heute 31-Jährige vor zwei Jahren zum ersten Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde (heuer bereits wieder) – seither gilt er als Shootingstar des deutschsprachigen Theaters.

In seiner Orestie vom Thalia Theater Hamburg, mit der er seinen Österreich-Einstand gibt, tragen die Schauspieler Rattenkostüme. Mondtags Theaterkunst ist für ihre starke Bildsprache bekannt: Er entwirft – meist als sein eigener Bühnenbildner – dicke, materialschwere Fantasiegebilde mit Unheimlichkeitswert (Sound, Stofflichkeit des Materials, Licht, Bewegung). Auch die Akteure stecken dabei meist in künstlichen "Menschenanzügen": Fatsuits in allen Größen und aus traurig beschatteter, schmutziger Haut.

David Lynch, Arnold Böcklin

So kauern sie in Kaspar Hauser und Söhne (Theater Basel) in ihren Zimmern, so schreiten sie bedächtig durch das Haus von Tyrannis (Theater Kassel) oder bewegen sich durch den finsteren Paradiesgarten in Die Vernichtung (Basel). Die Einflüsse liegen auf der Hand: Comics, David Lynch, Tim Burton, Fritz Lang, auch die gespenstischen Bilder von Gregory Crewdson oder Arnold Böcklin. Das kommt davon, wenn man als Kind schon viele Horrorfilme geschaut hat!

Ersan Mondtag, der eigentlich Ersan Aygün heißt, geboren 1987 in Berlin, wuchs als Gastarbeiterkind in Kreuzberg auf. Eine Identitätskrise veranlasste ihn dazu, seinen Namen ins Deutsche übersetzt zu tragen. Damals war er als Austauschschüler in den USA, wo ihm erstmals versichert wurde, dass er aus Deutschland und nicht aus der Türkei komme.

Postmigrantische Welle

Schon zu dieser Zeit wollte Mondtag zum Theater. Ein Künstlername schien nicht verkehrt. Es war die Phase der postmigrantischen Welle. "Alle Türken sollten sich plötzlich mit Migration beschäftigen, aber das wollte ich überhaupt nicht", so Mondtag. "Das Migrantische interessiert mich null. Dann dachte ich, komm, jetzt pass dich mal dem Land an". Die Eindeutschung war also auch "ein Statement."

Ersan Mondtag ist der Prototyp einer neuen Generation der 30-Jährigen: einer, der die MeToo-Debatte als längst überfällig einstuft, der als deutscher Bürger mit türkischen Wurzeln für eine globalisierte Welt steht und der die Verheißungen eines demokratischen Systems realistisch einschätzt. Zudem einer, der das Theater abseits von Moden eigenständig aus seiner antiken Tradition heraus neu denkt: als ein Spiel mit großen Masken und Gesten, als eine Erzählung von und über Massen.

Wenig Mimik jenseits der sechsten Reihe

Und genau hier setzt auch die Kritik an, die ihm vorwirft, Schauspieler unsichtbar zu machen, Persönlichkeiten einzudampfen – und das in einer Theaterkultur, die ihre Schauspielstars über die Maßen verehrt. Gesichter aber, so Mondtag, interessieren ihn nur auf einer filmischen Ebene. Außerdem sehe man die Mimik jenseits der sechsten Reihe ja eh kaum noch. Da hat er natürlich recht. Immerhin haben sich schon Stars wie Constanze Becker, Judith Engel (Die letzte Station, BE) oder Benny Claessens (Ödipus und Antigone, Gorki-Theater) auf Mondtag eingelassen.

Wie eigenständig Ersan Mondtag seinen Weg geht, zeigt schon sein Anfang: Die Otto-Falckenberg-Schule in München hat er nach zwei Jahren verlassen, zu eng alles. Dafür tauchte er später unter einer Burka an einem Schießstand beim Münchner Oktoberfest auf. Eine Intervention. Am meisten gelernt hat er an der Volksbühne als Assistent von Frank Castorf und René Pollesch, aber auch bei Claus Peymann.

Skrupel sind ihm eher fremd, sein Selbstbewusstsein ist beeindruckend. "Ich hatte einfach nie etwas zu verlieren", sagte er einmal. Und so mir nichts, dir nichts brachte er sich jüngst in einem APA-Interview als neuer Volksbühnen-Chef ins Spiel. Das hat er inzwischen relativiert und meint nun: "Eigentlich brauchen wir eine Frau."

Burgtheater und Jelinek

Mondtag könne sich zwar vorstellen, mit einer Intendantin als Hausregisseur an der Volksbühne zu arbeiten. Am allerwichtigsten sei es aber, dass nun eine neue Generation ans Ruder komme und man der "Ver-Khuon-isierung des deutschen Stadttheaters" Einhalt gebieten müsse. Gemeint ist damit Intendant Ulrich Khuon, der in sämtlichen Gremien sitzt und seit vielen Jahren zu viel Entscheidungsmacht hätte.

Mit der Volksbühne entscheide sich auch die Zukunft des Theaters, meint Mondtag etwas pathetisch. Man müsse unbedingt an die Ostgeschichte des Hauses andocken. "Und der Osten von uns aus gesehen ist groß, das geht bis Russland und auch bis China! Wir brauchen jetzt kein ,safe', wir brauchen Risiko."

Apropos Selbstbewusstsein: "Wenn ich nach Wien komme, dann: Burgtheater und Jelinek". Drunter macht er's nicht. Fracksausen kriegt Ersan Mondtag nur in der Geisterbahn, und Wien hätte eine der besten überhaupt, weiß er. Man ist vier Minuten drin und wird am Ende mit dem "Blut" eines durch das Knastgitter gedrückten Kopfes bespritzt. Die Szene würde gut in sein Internat (Dortmund) passen: ein Schattenreich voll jäher Geräusche. (Margarete Affenzeller, 3.5.2018)