Jede Partei braucht ein "Narrativ". Eine Erzählung, wofür sie steht, was sie bewirken will, was der Grund für ihr Vorhandensein sein soll.

Die SPÖ, die am 1. Mai ihre Entstehung aus der Arbeiterbewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts feiert, hat Schwierigkeiten mit ihrem Narrativ. Das liegt unter anderem an den ungeheuren Erfolgen der Sozialdemokratie: ein so breit wie nie ausgebauter Sozialstaat. Sicherheit, wie sie nie zuvor für so breite Schichten bestanden hat. Das Paradoxe daran: Die alte Klientel der Sozialdemokratie wählt rechts(populistisch), weil sie fürchtet, diese Errungenschaften zu verlieren. An die "Ausländer". In einem Wiener Vorzeigegemeindebau wählen die Mieter zu fast 60 Prozent FPÖ, weil sie fürchten, dass Musliminnen im Burkini in den Swimmingpool steigen könnten. Ähnlich in der funkelnagelneuen Seestadt Aspern. Die Arbeiter sind nahezu komplett zur FPÖ übergelaufen. In der Parteispitze fragt man sich, ob man sie je wiederholen kann. Andererseits: in Wien gibt es schon fast doppelt so viele Akademiker (300.000) wie Arbeiter (170.000).

Straffe Zentralisierung

Die Reaktion der neuen Wiener Führung unter Michael Ludwig wird sein, "strenger" mit "Ausländern" zu werden. Aber darauf haben Türkis und Blau schon ein Monopol beziehungsweise ein kaum schlagbares Narrativ. Die türkise ÖVP unter Kurz verspricht, dass sie den Zuzug von Muslimen stoppen wird, was gelingen kann. Die Blauen versprechen darüber hinaus, dass sie die Muslime irgendwie hinausekeln wollen. Das kann bei etlichen Asylwerbern gelingen, aber kaum bei den hier schon in dritter Generation Ansässigen. Dennoch ist es vorläufig ein wirksames Narrativ. Die anderen Erzählungen der türkis-blauen Koalition sind vage. Das von der Krone bejubelte Arbeitsplatzpaket ist eine Sammlung von Überschriften. Der Rest ist mehr Hidden Agenda als Narrativ. Die Truppe von jungen Neokonservativen um Kurz möchte das alte Konsens-Sozialpartner-System durch eine straffe Zentralisierung ersetzen. Die FPÖ will ein autoritäres Regime nach Muster Orbán, geführt von Burschenschaftern im Schatten.

Sozialabbau

Die SPÖ hat keine geschlossene Antwort darauf. Sie polemisiert gegen Einzelaspekte der Koalition – Sozialabbau! -, hat aber kein geschlossenes Gesellschaftskonzept als Antwort. Was fehlt, ist ein Reservoir von Experten wie unter Kreisky und Vranitzky. Dennoch darf man sich keinen Illusionen hingeben – vorläufig bleibt das Ausländerthema bestimmend, vor allem in Wien.

Ludwig will das von ihm schon im Gemeindebau praktizierte Modell "Eingesessene Wiener zuerst" auf die gesamte Stadtpolitik umlegen. Aber wer ist in einer Stadt mit 40 Prozent Migrationshintergrund "eingesessen"? Mit Verdrängen wie bisher und mit FPÖ-light-Politik kommt da die SPÖ nicht weit. Sie müsste den Stier bei den Hörnern packen und Lösungsansätze präsentieren, die es ja bereits zum Teil gibt. Die große neue Erzählung der Sozialdemokratie wäre, wie man mit dieser Realität aktiv, zukunftsorientiert und mutig gestaltend umgeht, ohne in die rein repressive, defensive Politik von Türkis-Blau zu verfallen. (Hans Rauscher, 1.5.2018)