Die Ferne ruft, das Brot im Holzofen ebenso: Helmut Rachinger macht jetzt eine Wirtsstube. Bald mit Hammam und Ryokan.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Fischsuppe wird aus den Abschnitten vom Restaurant gezogen, mit Safran, Chili, Ingwer und anderem gewürzt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Wo heute Fernruf 7 ist, war bisher Schweinestall. Vergangenen Sommer hat René Redzepi, Noma-Koch und mutmaßlich tollster Koch von überhaupt, hier im Rahmen eines Fress-Festivals sein Quartier aufgeschlagen und eine Art Sushitheke installiert – für einen Nachmittag. Jetzt ist es das neue Reich von Helmut Rachinger, der den vis-à-vis gelegenen Mühltalhof zu einer wahrhaft aufsehenerregenden Adresse hochgekocht hat. Sohn Philip, ein Wunderknabe der jüngeren österreichischen Küche, schob die vergangenen Jahre über ebenso kraftvoll mit an, nachdem es ihn aus London und Paris heim an die Mühl gespült hatte.

Der Vater hat ihm den Platz am Herd nun mit diebischem Vergnügen ("ich entferne mich") geräumt und macht, "solang der Bua ned schreit", fortan sein eigenes Ding. Er wollte "diesem Ruf der Ferne nachgeben", sagt er, dem Sehnen nach Vertiefung langgehegter Träume – und sperrte auf der anderen Straßenseite eine Back- und Wirtsstube auf.

Minimalistisch ausgestattet

Die ist mit absolutem Auge für Details so minimal wie nur möglich ausgestattet, wird aber bald einmal um ein japanisches Ryokan-Gästehaus und einen Hammam ("in Marokko klassisch in der Kombination mit Backstuben") erweitert. Dass die von immer weiter her anreisenden Gäste des Mühltalhofs damit auch einmal woanders als bei Philip speisen können, dürfte Teil der Überlegung gewesen sein.

Also Fernruf 7, also Brot aus einem eigens konstruierten Holzofen, also Kräuter und Wildgemüse sammeln, mit Konservierungstechniken spielen, die Möglichkeiten des auf dem Dachboden aufgebauten, neuen Räucherofens ausloten. Und, ganz wichtig, den eigenen Müßiggang wie auch jenen der Gäste in inspirierende Bahnen lenken.

So wird, Stichwort Fernweh, vorm Haus eine Pétanque-Bahn aufgeschüttet, um der französischen Spielart von Boccia in aller gebotenen Ernsthaftigkeit zu frönen. Fliegen binden (nicht die für den Firmanzug, sondern jene für die wahre Form des Forellenfischens) ist eine Kunst, die Rachinger einerseits vertiefen, anderseits den Gästen näherbringen will – seine legendenumwobenen Angelplätze an der Mühl sind die Fitzelei allemal wert.

Kochkurse gibt es auch, von Brotbacken über Kräutersammeln, Frischkäse- und Topfenmachen bis zum gemeinsamen Braten großer Fleischtrümmer im ausgehenden Holzbackofen. Für außerordentlich gute und rare Musik ist in jedem Fall gesorgt, die braucht Rachinger wie die Luft zum Atmen. Geselligkeit, Muße, gepflegten Schmäh darf man sich erwarten, eine Mordstrumm Speisekarte aber nicht. Der Mann kocht und serviert in Personalunion, nur gelegentlich geht ihm ein Lehrling zur Hand.

Geh her da!

Die wohl unmittelbarste Freude macht sich und Rachinger, wer einfach vorbeischaut, sich an einen der schmalen Holztische setzt, kühles Bier, ein Glas oder besser eine Flasche von den ausgesucht guten und günstigen Weinen aus Frankreich ordert (oder einen der Sake von Rachingers eben vergangenem Japan-Trip) und den Mann machen lässt.

Dann kommt erst einmal Brot zu Tisch, duftige, manchmal noch warme Laibe aus dem Holzofen. Dazu Rillettes von der Biosau und Kimchi vom Blaukraut, dass man verdammt aufpassen muss, sich den Appetit nicht gleich wegzuessen. Oder eine selbstfabrizierte Salami von Hirsch und hauseigenem Lamm, von einer zart zupackenden Kraft, wie man sie von den sonst wo im Lande gefüllten Därmen gar nicht kennt.

Fischsuppe (siehe Bild) wird aus den Abschnitten vom Restaurant gezogen, mit Safran, Chili, Ingwer und anderem gewürzt: ganz klar, unendlich fein, sehr japanisch in ihrem Trachten nach Gleichgewicht aus Kraft und Leichtigkeit, Hitze und Klarheit, spielerischer Hingabe und ernster Eleganz. Wer das nicht haben will, versäumt die wohl beste Fischsuppe des Landes.

Geselchte Erdäpfel mit ziemlich handfester Jungzwiebelmayo gibt es auch, und sonntags darf man sich ab 15 Uhr auf "Sunday Roast" aus dem langsam ausgehenden Holzofen freuen. Das kann Kalbshaxe aus dem Heu sein, Lammschulter oder Rindsripperln, mit Süßlupinen-Shoyu und Rhabarber-Sirup glasiert und mit nix als Süßkartoffeln und einem Schüppel Brunnenkresse zu Tisch gebracht – wahnsinnig gut in dem Sinn, dass man fast deppert wird vor Glück. (Severin Corti, RONDO, 4.5.2018)

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