Unter dem Schlagwort Learning Analytics wird die Leistung von Studierenden analysiert.

Illustration: Fatih Aydogdu

Anzahl der absolvierten Prüfungen pro Semester, Notendurchschnitt, Diskussionsbeiträge auf Lernplattformen – wer studiert, produziert laufend Unmengen an Daten. Die Hochschulen erfassen diese etwa, um Voraussetzungsketten von Lehrveranstaltungen oder Studienabschlüsse administrieren zu können.

Die Daten werden nicht gesammelt, um ein Bild individueller Studierender zu erhalten und so den Einzelnen beraten zu können. Noch nicht. Aber rechtliche Maßnahmen, die das Wissenschaftsministerium auf den Weg gebracht hat, stellen die Weichen für eine solche maschinelle Verarbeitung studierendenbezogener Daten. Dadurch könnten sich Studienverläufe und die Betreuung an den Hochschulen grundlegend ändern. Die Frage ist, ob diese Veränderungen Studierende ermächtigen oder sie der kompletten digitalen Kontrolle unterwerfen werden.

Viele Daten gesammelt

Wie Elmar Pichl, Hochschulsektionschef im Wissenschaftsministerium, vergangene Woche in einem Hintergrundgespräch vor Journalisten erläuterte, werden schon heute eine Vielzahl an Daten in der Hochschulverwaltung gesammelt. Bisher habe aber der rechtliche Rahmen gefehlt, um diese nutzen zu können. Durch die Datenschutz-Grundverordnung, die am 25. Mai in Kraft tritt, werden die Gesetze für Datenschutz in der Europäischen Union harmonisiert.

Sogenannte Öffnungsklauseln erlauben es den Mitgliedsstaaten allerdings, nationale Richtlinien zu schaffen – so können bestimmte Datensätze anonymisiert für Forschungszwecke verwendet werden, was etwa für die medizinische Forschung von zentraler Bedeutung ist. Die Öffnungsklausel kommt in Österreich auch für Daten aus der Hochschulverwaltung zum Einsatz – daher können diese künftig für die Forschung herangezogen werden, wofür bisher der rechtliche Rahmen gefehlt hat.

Lernfortschritte messen

Dabei geht es um Daten wie die Gesamtevidenz der Studierenden, Personaldaten von Hochschulmitarbeitern, aber auch Informationen, die von der Studienbeihilfenbehörde eingehoben werden oder an den Hochschulen anfallen. Ein Mehrwert kann vor allem dann gewonnen werden, wenn die Informationen aus verschiedenen Kanälen personalisiert zusammengeführt werden – eine einheitliche Matrikelnummer, die Studierende künftig ihr gesamtes Bildungsleben begleiten wird, auch wenn sie etwa von einer Universität an eine Fachhochschule wechseln, macht's möglich.

Die Anwendungsfelder der Nutzung dieser Daten sind vielfältig. Ein Bereich, der den studentischen Alltag besonders betreffen könnte – und auch schon in einigen Ländern maßgeblich dominiert -, ist Learning Analytics. Im Gegensatz zum angloamerikanischen Raum ist das Modell im deutschen Sprachraum noch viel weniger bekannt, so wird bislang auch im Deutschen zumeist der englische Begriff verwendet.

Leistungsmesser

Grob gesprochen handelt es sich bei Learning Analytics um das Sammeln und Auswerten verschiedener studierendenbezogener Daten, mit denen nicht nur Lernfortschritte gemessen werden können, sondern auch künftige Leistungen berechnet und mögliche Problemfälle oder Studienabbrüche prognostiziert werden sollen. Lernprozesse sollen so besser erfasst, personalisierte Studienverläufe erstellt, Curricula verbessert und die Drop-out-Risiken von Studierenden identifiziert werden. Das Konzept von Learning Analytics sieht vor, nicht bei der Analyse der Daten stehenzubleiben, sondern mit den gewonnen Informationen in direkte Kommunikation mit den Studierenden zu treten. Konkret könnten dadurch Hinweise auf Beihilfen oder Stipendien zielgerichtet erteilt werden oder der Besuch bestimmter Lehrveranstaltungen an- oder abgeraten werden.

In Österreich ist die TU Graz Vorreiterin in diesem Forschungsbereich. Am Know-Center und am Institute for Interactive Systems and Data Science der TU Graz werden beispielsweise das Tracking eigener Lernfortschritte und Empfehlungen für persönliche Lernressourcen erforscht.

Studium à la Amazon

Pichl vergleicht das Potenzial von Learning Analytics mit dem Online-Anbieter Amazon: Wie Algorithmen, die dem Käufer eines Buches personalisierte Vorschläge liefern, welche weiteren Bücher ihn interessieren könnten, soll ein Uni-Algorithmus Ratschläge liefern, welche und wie viele Lehrveranstaltungen auf dem Stundenplan des nächsten Semesters stehen sollten – unter Berücksichtigung der Leistung, die der Student bisher erbracht hat.

Für Marita Gasteiger (Gras) vom Vorsitzteam der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) ist Learning Analytics dann begrüßenswert, wenn es um soziale Absicherung geht. "Mentoringprogramme durch individuelles Tracking sind sinnvoll, wenn Hochschulen damit stärker in die Pflicht genommen werden, bei der sozialen Absicherung Studierender aktiv zu werden." Bei Lernprognosen ist sie skeptisch und pocht auf die Einhaltung des Datenschutzes.

In Ländern, in denen Learning Analytics bereits in der universitären Lehre verankert ist, etwa Australien und Großbritannien, werden teils emotionale Diskussionen über die Nutzung von Big Data an den Unis geführt: Auf der einen Seite steht das Versprechen, Studierende auch in Massenstudien individuell zu adressieren, soziale Notlagen im Blick zu behalten und unter einer Minimierung der Kosten rasch viele Absolventen hervorzubringen. Auf der anderen Seite steht die Befürchtung eines gläsernen Studierenden, der, jeder Verantwortung für sein Vorankommen entmündigt, in allen Bereichen seines Studierendendaseins durchleuchtet wird. Ganz zu schweigen von datenschutzrechtlichen Fragen – was, wenn Daten in die falschen Hände geraten oder in die künftiger Arbeitgeber?

Bessere Lernprozesse

Wie sich die Emotionen und Ressentiments gegenüber Learning Analytics mitunter verselbstständigen können, zeigt der Fall eines äußerst aussichtsreichen Pioniers, der letztlich zusperren musste: Die Non-Profit-Organisation Inbloom begann – ausgestattet mit 100 Millionen Dollar Förderung der Gates- und der Carnegie-Stiftung -, Studierendendaten mehrerer US-Schulen, die sich dafür zusammengeschlossen hatten, zu sammeln. Das hehre Ziel war, Lehre und Lernprozesse an den Hochschulen zu verbessern. Nach nicht einmal zwei Jahren musste Inbloom 2014 den Betrieb einstellen – die Ängste der Eltern, die um die Daten ihrer Kinder fürchteten, waren einfach zu groß geworden.

Inbloom kann als Rolemodel dafür gelten, dass die Potenziale der computergestützten Studierendenbetreuung schnell am Widerstand der Betroffenen scheitern können, wenn diese nicht von Anfang an in einen Diskussionsprozess über die Chancen und Gefahren der datengestützten Lehre einbezogen werden.

Auf Learning Analytics trifft zu, was für jede Technologie gilt: Es ist weder per se gut noch böse. Die Potenziale und Risiken hängen entscheidend von der konkreten Umsetzung ab. Diese wird wohl in den kommenden Jahren noch zu einigen Diskussionen führen, wird dabei doch letztlich auch die Frage verhandelt, was es bedeutet, im digitalen Zeitalter Studierender zu sein. (Tanja Traxler, 1.5.2018)