Eriwan – Vor der Wahl eines neuen Ministerpräsidenten in der Ex-Sowjetrepublik Armenien wächst der Rückhalt für Oppositionsführer Nikol Paschinian. Die Partei Blühendes Armenien gab am Wochenende bekannt, Paschinian bei der Parlamentsabstimmung am Dienstag zu unterstützen.

Die Republikanische Partei des nach Massenprotesten zurückgetretenen Regierungschefs Sersch Sarkissian (63) will keinen eigenen Kandidaten aufstellen. In der armenischen Hauptstadt Eriwan gab es am Sonntag Kundgebungen zur Unterstützung von Paschinian (42). Dieser sagte bei dieser Gelegenheit: "Wir müssen zeigen, dass unsere Bewegung fest auf den Beinen steht."

Rücktritt

Der von Russland unterstützte Sarkissian war am Montag vergangener Woche – eine Woche nach seinem Wechsel vom Präsidentenamt in das per Verfassungsänderung aufgewertete Amt des Ministerpräsidenten – unter dem Druck tagelanger Massendemonstrationen zurückgetreten. Gemäß der Verfassung der Ex-Sowjetrepublik muss das Parlament innerhalb von sieben Tagen neue Kandidaten für den Posten des Regierungschefs nominieren.

Für die Wahl zum Ministerpräsidenten sind die Stimmen von 53 Abgeordneten nötig. Paschinians kleine Partei Elk (Ausweg) hat lediglich neun Sitze. Die Partei Blühendes Armenien, die über 31 Mandate verfügt, stellte sich am Samstagabend hinter den 42-Jährigen. Parteichef Gagik Zarukian sagte dem Fernsehsender Kentron, seine Partei werde keinen eigenen Kandidaten aufstellen, sondern den "Kandidaten des Volkes" Paschinian unterstützen. Auch die kleine Partei Armenische Revolutionäre Föderation, die die Regierungskoalition jüngst verlassen hatte, steht hinter dem Oppositionsführer. Damit würden Paschinian noch sechs Stimmen fehlen.

Kein Regierungskandidat

Die Haltung der bisher regierenden Republikanischen Partei, die eine Parlamentsmehrheit von 58 der insgesamt 105 Abgeordneten hat, war zunächst unklar. Parteisprecher Eduard Scharmasanow sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Partei werde keinen eigenen Kandidaten aufstellen und nach Ablauf der Bewerbungsfrist für das Amt des Regierungschefs ihre Entscheidung treffen. Scharmasanow hatte zuvor gesagt, er persönlich zweifle Paschinians Eignung für das Amt an. Nach Einschätzung von Beobachtern könnte die Republikanische Partei die Parlamentsabstimmung wegen ihrer Stimmenmehrheit auch scheitern lassen. Paschinian sagte hingegen, er habe bereits die Zusicherung von Fraktionschef Wahram Baghdasarian, dass die Republikanische Partei seine Kandidatur nicht blockieren werde.

Am Freitag hatte der kommissarische Regierungschef Karen Karapetian ein Gesprächsangebot des Oppositionsführers zurückgewiesen. Paschinian gehe es nur darum, seine eigene Agenda durchzusetzen, und damit verschlechtere er die Lage im Land weiter, begründete Karapetian seine ablehnende Haltung. Aus der Regierungspartei bzw. der Regierung kamen aber auch überraschend einsichtige Worte. "Die Ursache der Krise liegt in der Monopolisierung politischer Prozesse durch eine einzige Partei", sagte der kommissarische Justizminister David Arutiunian. Die Gefahr, die davon ausgeht, habe seine Partei lange nicht verstanden. Die Opposition müsse nun gestärkt werden.

Entmachtung

Paschinian und seine Anhänger fordern eine Entmachtung der Republikanischen Partei sowie schnellstmöglich vorgezogene Parlamentswahlen. Der Oppositionsführer besuchte am Wochenende zahlreiche Orte in dem armen 2,9-Millionen-Einwohner-Land im Kaukasus und warb um Unterstützung.

Am Sonntag versammelten sich zahlreiche Anhänger von Paschinian in der Hauptstadt Eriwan, blockierten Straßenkreuzungen, sangen Lieder und kritisierten die Regierungspartei in Sprechchören. Das Land befinde sich in einem "entscheidenden Moment", sagte der 17-jährige Schüler Arut Tschaschatrian. Der 51-jährige Demonstrant Wigen Arabian sagte, wenn Armenien keinen Wandel einleite, steuere es auf seine "vollständige Zerstörung" zu. "Die Macht der (regierenden) Republikanischen Partei geht zu Ende", sagte Studentenführer David Petrossian der Agentur Tass.

Verhandlungen gefordert

Die USA mahnten Gespräche für einen Ausweg aus dem Konflikt ein. Alle Parteien müssten sich an Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung beteiligen, erklärte das US-Außenministerium am Samstag in Washington. Die USA riefen zudem Demonstranten und Sicherheitskräfte zum Gewaltverzicht auf.

Armenien liegt mit seinen Nachbarn Aserbaidschan und der Türkei seit Jahrzehnten im Konflikt, die Grenzen zu den beiden Nachbarn sind geschlossen. Das Land ist auf Russland als militärische Schutzmacht und wirtschaftlichen Partner angewiesen. Für Moskau wiederum ist Eriwan der wichtigste strategische Partner im Südkaukasus. Der prorussische Politiker Sarkissian hatte Armenien durch den Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion wirtschaftlich noch enger an Russland gebunden. Aber auch für die EU ist Armenien als Mitglied der Östlichen Partnerschaft wichtig.

"Samtene Revolution"

Die Opposition feierte die "samtene Revolution" wie ein großes Fest. Die Demonstranten warfen Sarkissian und seinen Vertrauten Korruption und Günstlingswirtschaft vor. Der Abgeordnete Paschinian, der lange als regierungskritischer Journalist arbeitete, drohte: Sollte er am Dienstag nicht gewählt werden, wolle er wieder Zehntausende Menschen mobilisieren. Die Regierung werde sich künftig nicht mehr am Volk bereichern. "Es wird eine Staatsmacht, die das Volk bereichert", sagte er. Die Bürger seien die höchste Instanz der Macht.

Experten sind skeptisch, ob Paschinian die Ex-Sowjetrepublik führen kann. "Protestaktionen organisieren und die Wirtschaft lenken, das ist nicht dasselbe", kommentierte der Moskauer Experte Sergej Markedonow vom Carnegie-Zentrum. Nun sei für Armenien wichtig, nicht dem Populismus zu verfallen. (APA, 29.4.2018)