Langzeitarbeitslose sind Menschen, die seit mehr als einem Jahr keine Beschäftigung haben.

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Die Beine zusammengestellt, die Hände im Schoß gefaltet. So hat Maria Reichmann an der Ecke der weißen Couch in ihrem Wohnzimmer Platz genommen. Ihr gegenüber: ein Regal, prall gefüllt mit Büchern. Reiseführer für Paris, London, Uganda und Bhutan stehen dort fein geordnet nebeneinander. Reichmann ist viel gereist – jetzt kommt sie aus ihrer Wohnung in Wien nur noch selten heraus.

"Als Arbeitslose zieht man sich zurück. Man schämt sich, darüber zu reden", sagt Reichmann mit langsamer und leiser Stimme. Seit mittlerweile fünf Jahren ist Maria Reichmann arbeitslos. Damals verlor sie ihren Job als Projektmanagerin bei dem internationalen Pharmaunternehmen Baxter nach einem Restrukturierungsprogramm. Bis auf ein paar freiwilligen und Teilzeitjobs ist seither nichts mehr gekommen.

Reichmann gehört damit zur Gruppe sogenannter Langzeitarbeitsloser – Menschen, die seit mehr als einem Jahr keine Beschäftigung haben. Mehr als 50.000 Personen waren so 2017 laut Arbeitsmarktservice (AMS) längere Zeit aus dem Erwerbsleben "herausgefallen". Betroffen sind laut AMS insbesondere ältere Arbeitskräfte, Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen und Geringqualifizierte.

Nicht alle profitieren

Während viele der als kürzer arbeitslos gemeldeten Menschen in Zeiten guter Konjunktur vergleichsweise schnell wieder einen Job fänden, profitierten Langzeitarbeitslose von dieser Entwicklung meist nicht, sagt AMS-Sprecherin Beate Sprenger. Je länger die Personen arbeitslos sind, desto schwieriger sei eine Reintegration in den Arbeitsmarkt.

Gleichzeitig hat sich die Art der Erwerbstätigkeit in vielen Bereichen rasant weiterentwickelt, neue Technologien erweitern oder ersetzen verschiedenste Arbeitsbereiche. Welche Zukunft haben Langzeitarbeitslose in dieser Entwicklung?

Zunächst lassen sich nicht alle Langzeitarbeitslose auf die Entwicklung durch die Digitalisierung zurückführen. Eine wichtige Rolle spielen laut Denkfabrik Agenda Austria die höheren Arbeitskosten: Ältere Arbeitnehmer sind im Vergleich zu jüngeren sehr teuer. Im Schnitt verdienen Arbeitnehmer unter 30 Jahren in Österreich knapp 43 Prozent weniger als über 60-Jährige. Innerhalb der EU zeichnet sich in Österreich einer der größten Einkommensunterschiede ab. "Besser wäre es, wenn die Löhne stärker an die Produktivität anstatt an das Alter angepasst würden", meint Agenda-Austria-Experte Dénes Kucsera.

Auch bedeutet eine höhere Zahl Langzeitarbeitsloser nicht, dass alle Personen auch bei Arbeitskräftebedarf sofort eine Arbeit annehmen würden. Der Schlüssel liegt in den Anreizen für die Arbeitnehmer, eine Tätigkeit zu finden. So bekommen Arbeitslose in Österreich zu Beginn knapp 55 Prozent ihres letzten Nettogehalts ausbezahlt, das ist im internationalen Kontext vergleichsweise wenig.

Während in anderen Ländern dieser Wert allerdings in den darauffolgenden Jahren kontinuierlich sinkt, bleibt er in Österreich beinahe unverändert. Die unübersichtliche Kombination aus Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, welche sehr lange bezogen werden kann, verringert laut Kucsera den Anreiz, einen neuen Job anzunehmen.

Ein Argument, das Maria Reichmann nur schwer nachvollziehen kann. "Ich schreibe jede Woche mehrere Bewerbungen und habe mich schon überall beworben. Bisher kamen nur Absagen." Für einige Monate arbeitete sie in Teilzeit als Deutschlehrerin beim AMS, zweimal die Woche gibt sie als Ehrenamtliche Leseunterricht für Schüler. "Das Schwierigste ist, immer mit der gleichen Frage konfrontiert zu werden: Was machen Sie? Zu sagen, ich bin arbeitslos, dazu fehlt mir oft der Mut."

Bewerbungen querdurch

Reichmann habe sich, wie sie sagt, "quer durch das Gemüsebeet" beworben – von Buchhandlungen über Supermärkte bis hin zu Personalbüros. Trotzdem gibt es auch für sie Grenzen: "Putzen möchte ich nicht, das schaffe ich nicht. Außerdem ist die Arbeit sehr schlecht bezahlt." Für viele Tätigkeiten fühle sie sich mit ihrem zweifachen Studienabschluss sogar überqualifiziert.

Damit ist Reichmann allerdings eine Ausnahme. Denn Langzeitarbeitslose sind relativ häufig eher gering ausgebildete Personen. Knapp die Hälfte der Langzeitarbeitslosen hat laut Agenda Austria höchstens einen Pflichtschulabschluss, mehr als ein Drittel höchstens einen Lehrabschluss. Auch unter den Schulungsteilnehmern hat mehr als die Hälfte maximal einem Pflichtschulabschluss.

Neue Qualifikationen nötig

Fest steht: Die Digitalisierung verändert die Arbeit, einige Berufe verschwinden, während andere hinzukommen. Für die neuen Tätigkeiten braucht es neue Qualifikationen. "Im Zuge der Digitalisierung haben sich die Anforderungen an die Aus- und Fortbildung noch schneller verändert", sagt Fabian Stephany, Experte für Digitalisierung bei der Agenda Austria. Stärker nachgefragt werden vor allem analytische und interaktive Tätigkeiten. Und es werde noch wichtiger, sich lebenslang fortzubilden.

In Zeiten verbesserter Gesundheit und höherer Lebenserwartung scheint eine Umorientierung und Fortbildung auch in späteren Lebensphasen noch möglich. Firmen müssten bereits früh mit der Weiterbildung ihrer Mitarbeiter beginnen, sagt Stephany. Leider fehle es gerade bei kleineren und mittleren Unternehmen oft an den dafür nötigen Ressourcen.

"In den Betrieben mangelt es häufig an dem Bewusstsein, auch ältere Personen einzustellen", meint Gerlinde Titelbach, Arbeitsmarktexpertin beim Institut für Höhere Studien (IHS). Besonders für Langzeitarbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen müsse es Jobs geben, die diesen Menschen gerecht werden.

Auf dieses Umdenken hofft auch Reichmann. "Ich kann sicher noch sieben bis acht Jahre arbeiten. Ich hab ja noch gesunde Hände", sagt sie und hebt die Hände demonstrativ nach oben. Mit einer neuen Arbeit hätte sie vielleicht wieder Geld für einen Urlaub übrig. Das Ziel kennt sie bereits: "An die Nordsee und endlich wieder die salzige Luft einatmen." (Jakob Pallinger, 28.4.2018)