Neun Länder und der Bund macht Österreich.

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In einer liberalen Demokratie sind jedem Regierungshandeln Grenzen gesetzt. Die türkis-blaue Bundesregierung stößt vor allem bei ihren sozialpolitischen Vorhaben an mehrere solcher Grenzen: Der Verfassungsgerichtshof hat etwa Deckelung und Wartefrist bei der Mindestsicherung als unzulässig abgelehnt. Massive europarechtliche Bedenken gibt es bei der geplanten Indexierung der Familienbeihilfe. Und bei der Reform der Sozialversicherungen muss die Regierung – wie bei vielen anderen Vorhaben – mit Widerstand vonseiten der Bundesländer rechnen.

Gerade die Länder haben in jüngerer Vergangenheit oft den Nimbus der Reformverweigerer umgehängt bekommen. Zugegebenermaßen gibt es auch einige Politikbereiche – siehe etwa Förderungen und Transparenzdatenbank –, wo dieses Urteil zutreffend sein mag. Allerdings ist es keineswegs so, dass es zunehmend unmöglich wird, Einigungen zwischen Bund und Ländern in sachpolitischen Fragen zu erzielen.

Im Gegenteil, die Grafik unten zeigt, dass die Zahl der sogenannten 15a-Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern (benannt nach dem 1974 beschlossenen Artikel 15a des Bundes-Verfassungsgesetzes) über die Zeit deutlich zugenommen hat. 15a-Vereinbarungen sind Instrumente der freiwilligen Koordination von politischen Maßnahmen zwischen Bundes- und Landesebene (beispielsweise die gemeinsame Finanzierung von Kinderbetreuungsplätzen).

Während bis in die 1990er jährlich im Schnitt ein bis zwei solcher 15a-Vereinbarungen verabschiedet wurden, waren es in den letzten zwei Gesetzgebungsperioden im Mittel vier (2008 bis 2013) beziehungsweise fünf (2013 bis 2017) pro Jahr. Von den 80 seit 1996 beschlossenen Vereinbarungen betrafen gut zwei Fünftel den Bereich Gesundheit und Pflege und rund 14 Prozent bildungspolitische Fragen. Danach folgen Umwelt (zum Beispiel die Einrichtung von Nationalparks), Kinderbetreuung und Finanzpolitik in der Rangordnung der Themen.

Natürlich bedeuten diese Zahlen nicht, dass die Bundesländer plötzlich zu den großen Reformmotoren der Republik werden. Dafür gibt es aber auch Gründe, die wenig mit vermeintlichem Besitzstandswahrertum zu tun haben. Immerhin sind die Länder als politische Akteure ideologisch viel heterogener als die Bundesregierung: Das rot-grün regierte Wien und das schwarz-blau regierte Oberösterreich unter einen Hut zu bringen – wie das etwa das Einstimmigkeitsprinzip in der Landeshauptleutekonferenz verlangt – ist kein leichtes Unterfangen.

Und wer weiß: Vielleicht entwickelt manch Kritiker der Länder, dem der politische Kurs von Türkis-Blau missfällt, ja plötzlich doch Sympathien für ihre Rolle als mächtiges Gegengewicht zur Bundesregierung. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 27.4.2018)