Glücksspielsucht verlagert sich immer mehr auf das Internet.

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Wien – Die Spielsuchthilfe hat 2017 trotz des Wiener Automatenverbots doppelt so viele Hilfesuchende wie im Vorjahr registriert. Die Website der unter anderem von den Casinos Austria und Novomatic finanzierten Einrichtung wurde von knapp 107.000 Personen besucht. Die Chefs sind ob des starken Anstiegs überrascht, geht aus dem noch nicht veröffentlichten Bericht zum 35-Jahr-Jubiläum hervor. Grund dafür ist das Onlinezocken.

"Seit Jahren beobachten wir die kontinuierlich wachsende Bedeutung des Internets als Glücksspielort beziehungsweise Ort des Wettens bei den bei uns Hilfe Suchenden", schreiben die Vorstände der Spielsuchthilfe, der Psychiater Peter Berger und die Psychologin und Psychotherapeutin Izabela Horodecki, im Vorwort des Berichts.

70 Prozent spielen online

2017 nannten bereits an die 70 Prozent der Klienten das Internet als Ort ihres "problematischen Glücksspiels". 2002 hatte das noch keiner der Hilfesuchenden angegeben, 2012 dann schon 25 Prozent. Berger und Horodecki vermuten, dass die Nutzer der zunehmenden Online-Gücksspiel- und -Wettangebote erst mit mehrjähriger Verspätung auf ihre Sucht reagieren. Generell suchen sich Spielsüchtige erst nach mehreren Jahren Hilfe.

Niedriges Einkommen, hohe Schulden

Wie in den Vorjahren waren mehr als 90 Prozent der von der Spielsuchthilfe betreuten Personen "krankhaft spielend", knapp 40 Prozent waren "schwer spielsüchtig". Fast 84 Prozent hatten Schulden, im Schnitt 57.840 Euro – bei Banken und Privatpersonen sowie in Form von Zahlungsrückständen. Ein Ausreißer von neun Millionen Euro wurde nicht eingerechnet.

Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen der Hilfesuchenden lag bei 1.519 Euro. Vier von 100 Personen waren zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme in Privatkonkurs, zwölf Prozent wurden gepfändet.

Das seit Anfang 2015 geltende Automatenverbot in Wien schlug sich in den Zahlen nicht nieder. Dem Bericht zufolge nahm der Anteil der Klienten mit der Diagnose pathologisches Spielen (nach dem anerkannten US-Klassifikationssystem DSM) seit 2011 zu und überschritt 2013 die 90-Prozent-Marke. Der Anteil der schwer pathologischen Spieler – Personen, die mindestens neun von zehn Diagnosekriterien erfüllen – lag zwischen 2012 und 2017 immer über 32 Prozent. Seit dem Automatenverbot gab es keinen Rückgang, sondern eine leichte Steigerung. Bei vielen Glücksspielabhängigen werden zusätzlich andere psychiatrische Erkrankungen diagnostiziert.

Suchtkoordinator: "Verfügbarkeit wesentlicher Faktor"

Während die Betroffenen bis vor kurzem am häufigsten Automaten als Problemspielart darstellten, lag 2017 erstmals das Internetglücksspiel an erster Stelle (66,6 Prozent). Automaten wurden von 54,6 Prozent als problembehaftet erlebt, gefolgt von Wetten (44,3 Prozent), Casino-Automaten (31,9 Prozent), Roulette (22,2 Prozent), Karten (17,6 Prozent), Rubbel-Brieflosen (9,4 Prozent), Lotto (7,5 Prozent), Börsenspekulationen (5,4 Prozent) und Toto (2,1 Prozent).

Michael Dressel, der Sucht- und Drogenkoordinator der Stadt Wien, lobt im Vorwort des Berichts das Automatenverbot, "weil wir aus der Suchtforschung wissen, dass die Verfügbarkeit von Suchtmitteln beziehungsweise Spielmöglichkeiten ein wesentlicher Faktor in der Entstehung von Sucht ist". Die Wiener Sucht- und Drogenkoordination fördert seit 2011 einen Teil der Beratungs- und Behandlungskosten der Spielsuchthilfe.

Automatenverband: Online fehlen Restriktionen

Ganz anderer Meinung ist Helmut Kafka vom Automatenverband: Das Automatenverbot habe beim Spieler- und Jugendschutz nichts bewirkt. Stattdessen hätten ausländische Online-Anbieter das Geschäft übernommen. Im Netz gebe es überhaupt keine Restriktionen, sogar Kinder und Jugendliche könnten dort spielen, kritisiert Kafka mit Verweis auf sogenannte Lootboxen, virtuelle Schatzkisten in Computerspielen, die man auch um Geld kaufen kann.

Suchtkoordinator Dressel indes will Glücksspielanbieter gesetzlich dazu verpflichten, "vermehrt Verantwortung für die Auswirkungen ihrer Tätigkeit zu übernehmen". Die derzeit meist freiwillig geleisteten Beiträge seien im Vergleich zu den Gewinnen, "die die Spielindustrie erwirtschaftet, verschwindend gering und machen Einrichtungen wie die Spielsuchthilfe vom Wohlwollen der Glücksspielanbieter abhängig".

Suchthilfe kritisiert "intensives Lobbying"

In der jüngeren Vergangenheit hätten es "veränderte Eigentumsverhältnisse bei den Glücksspielanbietern und eine damit einhergehende Marktkonzentration sowie intensives Lobbying ... spürbar schwieriger gemacht, den SpielerInnenschutz bundesweit zu verbessern", beklagt Dressel, ohne Namen zu nennen.

Der niederösterreichische Automatenplatzhirsch Novomatic ist seit kurzem Teileigentümer der teilstaatlichen Casinos Austria, die wiederum ein Monopol auf das Casinospielen, Lotto und das Internetglücksspiel haben. Online gibt es daneben aber einen riesigen "grauen Markt". (APA, 26.4.2018)