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Auf Lebensnotwendiges muss in Österreich de facto niemand verzichten, Hunderttausende können unerwartete Ausgaben von über 1.160 Euro aber nicht ohne Weiteres begleichen.

Foto: APA/AFP/Getty Images/Spencer Platt

Wien – 18,1 Prozent der österreichischen Wohnbevölkerung oder 1.563.000 Menschen waren im Vorjahr armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Die von der Statistik Austria für die EU-Silc-Erhebung (Community Statistics on Income and Living Conditions) gesammelten Zahlen weisen eine "statistisch nicht bedeutsame Veränderung" von 0,1 Prozentpunkten gegenüber den 18 Prozent (oder 1.542.000 Menschen) des Jahres 2016 aus. Seit 2008 sank die Zahl der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten um 136.000 Personen oder 2,5 Prozentpunkte.

Berücksichtigt werden alle Personen, die in eine oder mehrere der drei Silc-"Sozialzielgruppen" fallen:

"Armutsgefährdung": Diese Kategorie erfasst Menschen in Haushalten, die über weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verfügen. Die EU-definierte Schwelle unterschreitet in Österreich, wer in einem Einzelhaushalt ein Jahr mit weniger als 14.851 Euro netto bestreiten muss. 7.416 Euro werden für jeden weiteren Erwachsenen im Haushalt addiert und 4.452 Euro für jedes Kind unter 14 Jahren. 14,4 Prozent der Einwohner lebten 2017 in solchen Haushalten.

"Erhebliche materielle Deprivation": Hier gibt es keine Grenzwerte, Betroffene werden darin kategorisiert, wenn sie vier oder mehr von neun Aussagen zur Leistbarkeit von Alltäglichem verneinen müssen: etwa die Wohnung angemessen zu heizen, einmal im Jahr eine Woche zu reisen, einen Pkw zu unterhalten oder unerwartete Ausgaben bis zu 1.160 Euro zu begleichen. Das trifft laut Stichprobenbefragung von 6.000 Haushalten auf 3,7 Prozent der hiesigen Bevölkerung zu. 2008 waren es noch 5,9 Prozent.

"Personen in Haushalten mit keiner oder sehr niedriger Erwerbsintensität": Ein solcher Haushalt schöpft weniger als 20 Prozent seines Erwerbspotenzials aus, berechnet auf Grundlage aller 18- bis 59-jährigen Personen im Haushalt mit Ausnahme von Studierenden. Bestehende Vermögen werden nicht berücksichtigt. 8,3 Prozent der in Österreich wohnhaften Menschen zählten 2017 zu dieser Gruppe – die im langjährigen Vergleich als einzige wächst: 2008 waren es 7,4 Prozent.

Fünf Prozent der Bevölkerung sind von mindestens zwei Ausgrenzungsmerkmalen betroffen, ein Prozent von allen drei.

Die Höchstrisikogruppen sind Arbeitslose, die länger als ein Jahr ohne Job sind (80 Prozent von ihnen sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet), dahinter folgen Angehörige eines Staates außerhalb von EU oder Efta (50 Prozent) und Ein-Eltern-Haushalte (47 Prozent). Auch Mehrpersonenhaushalte mit drei oder mehr Kindern (30 Prozent), Personen in Ausbildung (28 Prozent) und Hilfsarbeitskräfte (19 Prozent) liegen noch über dem Österreich-Schnitt von 18,1 Prozent.

Weniger gefährdet als der Bundesschnitt sind etwa Erwerbstätige und Facharbeiter (10 Prozent), Personen mit Hochschulabschluss (13 Prozent), österreichische Staatsbürger (14 Prozent) oder Mehrpersonenhaushalte mit einem oder zwei Kindern (12 beziehungsweise 16 Prozent).

Unter den Menschen, die eine Pension beziehen und alleine leben, herrscht eine Geschlechterkluft dies- und jenseits des Österreich-Mittels: Frauen in dieser Kategorie sind zu 27 Prozent gefährdet, Männer nur zu 16 Prozent.

Österreich 5,6 Prozentpunkte unter EU-Schnitt

Erhoben werden die Zahlen zur Messung der Meilensteine der "Europa 2020"-Strategie. Alle EU-Mitgliedsstaaten haben sich dazu im Jahr 2010 auf Vorgaben geeinigt, und Österreich erfüllt sie vergleichsweise gut: Während der EU-Schnitt 2016 – unionsweite Daten für 2017 wird es erst im Herbst geben – bei 23,6 Prozent und damit mehr als fünf Prozentpunkte über dem österreichischen Wert lag, hatten nur vier Staaten niedrigere Anteile armuts- oder ausgrenzungsgefährdeter Menschen: Tschechien (13,3 Prozent), Finnland (16,6 Prozent), Dänemark und die Niederlande (je 16,7 Prozent). Am höchsten waren die Werte in Bulgarien (40,4 Prozent), Rumänien (38,8 Prozent) und Griechenland (35,6 Prozent).

Statistik-Austria-Generaldirektor Konrad Pesendorfer und Silc-Projektleiterin Nadja Lamei wiesen darauf hin, dass ein Vergleich zwischen EU-Staaten nicht eins zu eins gezogen werden kann, da Personen, die in ärmeren Mitgliedsstaaten über der Armutsgrenze leben, einer stärker eingeschränkten Lebenssituation ausgesetzt sein können als Personen unter der Armutsgrenze in einem reicheren Mitgliedsstaat.

Auch auf ein weiteres Spezifikum der EU-Kriterien wiesen Pesendorfer und Lamei hin: Die Erhebung berücksichtigt nur Personen mit festem Wohnsitz, nicht aber Wohnungslose, Personen "in Anstaltshaushalten" und Migranten ohne Aufenthaltsstatus.

Kritik von Armutskonferenz und Opposition

Die Armutskonferenz merkte am Donnerstag in einer Aussendung angesichts der Präsentation der neuen Zahlen an, dass die soziale Schere weiter aufgehe, die Armut aber nur deshalb nicht weiter steige, weil der Sozialstaat die Lücke ausgleicht. "Wenn nun Hilfen wie die Aktion 20.000 für ältere Arbeitnehmer, die Existenzsicherung in der Mindestsicherung für Kinder wie Familien und die Notstandshilfe gestrichen wird, wenn das Ganztagsschulangebot in Volksschulen gestoppt und die Kinderbetreuungsgelder eingefroren werden, dann wird das die Armut erhöhen", heißt es in der Aussendung.

Während Kritik an den jüngsten Entwicklungen auch von der Liste Pilz kam (Obwohl "fast ein Viertel aller Kinder bis 15 Jahre in Österreich armuts- oder ausgrenzungsgefährdet sind,[…] lehnt die Regierung es ab, nun einen konkreten Maßnahmenplan vorzulegen"), betonte Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) in einer Aussendung, dass "präventive Maßnahmen des Sozialstaats bereits dafür gesorgt hätten, dass Österreich mit rund 18 Prozent unter dem EU-Schnitt liege." Sie wolle die Zahl der Armutsgefährdeten weiter senken. (Michael Matzenberger, 26.4.2018)