In Europa bedeutet lebenslange Haft nicht gleich lebenslange Haft. Die Staaten handhaben die Verwahrung schwerer Straftäter unterschiedlich.

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Wien – Das Urteil war erwartet worden – und löste doch eine heftige Debatte in Onlineforen aus. Denn obwohl U-Boot-Bauer Peter Madsen für den Mord an Kim Wall die Höchststrafe erhielt, könnte er theoretisch in zwölf Jahren freikommen. 15 Jahre dauert im Schnitt eine lebenslange Haftstrafe in Dänemark. Angesichts der Grausamkeit der Tat ein potenzieller Justizskandal, sagen viele.

Bedeutet lebenslang also lebenslang? Eigentlich nicht, denn gibt es keine Aussicht auf Entlassung, verstößt das gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Dort ist in Artikel 3 eine unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung verboten. In der Vergangenheit verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) immer wieder Staaten, die eine vorzeitige Entlassung unmöglich machten oder die Kriterien dafür nicht klar definierten.

Sicherungsverwahrung statt Haftstrafe

Fest steht aber, dass in schweren Fällen eine Haft bis ans Lebensende möglich ist. Denn selbst wenn es in Dänemark nach zwölf Jahren die erste Chance auf Bewährung gibt, bedeutet das nicht, dass der Richter dem Gesuch dann bereits nachgibt. In Österreich und Deutschland hat man nach 15 Jahren hinter Gittern zum ersten Mal die Möglichkeit, auf Bewährung entlassen zu werden. Nach Schätzungen liegt in Deutschland die durchschnittliche Haftdauer bei lebenslang Verurteilten bei etwa zwanzig Jahren, sagt András Csúri, Strafrechtswissenschafter der Universität Utrecht.

Wird jemand in Dänemark eines besonders gefährlichen Verbrechens für schuldig befunden, das auf eine außergewöhnlich schwerwiegende Art verübt wurde, und steht die Vorgeschichte des Verurteilten im Zusammenhang mit dem Verbrechen, dann kann eine Sicherungsverwahrung statt einer Haftstrafe verhängt werden. Diese Maßnahme muss bereits im Urteil festgeschrieben sein und wird auf unbestimmte Zeit angewandt, sagt Anette Storgaard, Professorin an der dänischen Aarhus-Universität. Die durchschnittliche Zeit in Verwahrung beträgt laut Storgaard 15 Jahre. Sie wird allerdings bereits früher als lebenslange Haft evaluiert. Eine Person bleibt aber so lange in Sicherungsverwahrung, wie das Risiko eines Rückfalls besteht.

"Testfall für Rechtsstaat"

Der Fall Peter Madsen war ähnlich dem Prozess gegen den Massenmörder Anders Breivik in Norwegen ein "Testfall für den Rechtsstaat", sagt Tapio Lappi-Seppälä, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität in Helsinki. Denn die Rechtssysteme der nordischen Länder Europas folgen verstärkt dem Prinzip, dass Gefängnisstrafen begrenzt sein sollen. Der Ansatz zielt darauf ab, dass Straftäter nach Verbüßung der Strafe wieder ein Teil der Gesellschaft sein können.

Sicherungsverwahrung wird deshalb in sehr seltenen Fällen verhängt, wie Lappi-Seppälä festhält, und nur dann, wenn das Risiko eines Rückfalls hoch ist. Neben der Sicherheitsverwahrung gibt es auch die Möglichkeit einer Zwangseinweisung von geistig abnormen Rechtsbrechern in psychiatrische Einrichtungen. Allein in Finnland befinden sich laut dem Professor 300 bis 400 Personen in solchen Anstalten, ein Zehntel aller Gefangenen des skandinavischen Landes.

Maßnahmenvollzug in Österreich

Auch in Österreich gibt es das System der Sicherungsverwahrung: den Maßnahmenvollzug. Er kann entweder verhängt werden, wenn der Straftäter zurechnungsunfähig ist. In diesem Fall wird der Maßnahmenvollzug statt einer Freiheitsstrafe gewählt. Oder er wird über Straftäter verhängt, die zwar nicht zurechnungsunfähig sind, aber die Tat unter dem "Einfluss einer geistigen oder seelischen Abartigkeit" begangen haben, wie es beim Justizministerium heißt. Dann wird der Verurteilte nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe in den Vollzug überstellt. So geschehen ist das im Fall der Doppelmörderin Estibaliz C., der Eissalonbesitzerin, die Leichen in einem Kellerabteil eingemauert hat.

Kritik an Österreichs Maßnahmenvollzug kam im Jahr 2015 in Form eines Urteils des EGMR. Die Richter in Straßburg bemängelten, dass die Situation der Personen im Maßnahmenvollzug nicht regelmäßig genug evaluiert wird. So habe es in einem Fall 16 Monate gedauert, bis eine mögliche Entlassung vor Gericht thematisiert wurde. Für den EGMR ein Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention. "Eine sinnvoll und menschlich gestaltete lebenslange Freiheitsstrafe darf nicht ganz die Perspektive auf Freilassung nehmen", sagt Csúri und verweist in dem Zusammenhang auf weitere EGMR-Urteile: etwa gegen Zypern und Ungarn, die gerügt wurden, weil sie zwar die Möglichkeit einer frühzeitigen Entlassung durch präsidiale Begnadigung vorsahen, doch dies in der Praxis gar nicht oder kaum praktiziert wurde.

Verurteilte Briten

Auch Großbritannien wurde 2013 von den Richtern in Straßburg verurteilt, weil im britischen Gesetzbuch nicht klar geregelt war, ob der Justizminister Häftlinge begnadigen kann, die eine lebenslange Haftstrafe verbüßen. London reagierte, und britische Richter stellten klar, dass der Justizminister laut Gesetz verpflichtet sei, zu lebenslanger Haft verurteilte Personen "unter außergewöhnlichen Umständen" zu begnadigen – etwa wenn der verurteilte Straftäter nur noch wenige Wochen zu leben hat.

Prinzipiell herrschen in Europa drei Ansätze zu langjährigen Freiheitsstrafen. So existieren etwa weder in Norwegen noch in Kroatien lebenslange Strafen. "Die höchstmögliche Dauer einer Freiheitsstrafe im kroatischen Strafgesetz beträgt jedoch 40 Jahre, in Ausnahmefällen sogar 50. Das kann de facto einer wahrlich lebenslangen Haft gleichkommen", sagt Csúri. In den meisten europäischen Rechtssystemen ist die lebenslange Haft mit der Möglichkeit einer bedingten Entlassung festgeschrieben. Der Zeitpunkt variiert allerdings, ab wann eine Bewährung ausgesprochen werden kann. So kann ein Straftäter in Albanien ab 25 Jahren, in Österreich und Deutschland ab 15 Jahren oder in Irland ab sieben Jahren Haft bedingt entlassen werden.

Zusammenhang mit Verbrechensraten

Manche europäische Staaten sehen eine tatsächlich lebenslange Freiheitsstrafe vor, etwa England, die Niederland oder Bulgarien, wo aber zur Tatzeit oder zur Urteilsverkündung schwangere Frauen von einer tatsächlich lebenslänglichen Haftstrafe ausgenommen sind. Seit der Verfassungsänderung 2004 ist auch in der Schweiz eine lebenslange Haft ohne Aussicht auf bedingte Entlassung möglich. Sie wurde allerdings noch nie verhängt.

Ob härtere Höchststrafen die Verbrechensrate sinken lassen, lässt sich nur schwer beantworten, sagt Lappi-Seppälä. Zu viele Variablen könnten für Schwankungen verantwortlich sein. Ein Vergleich der vier nordischen Länder Europas zeige allerdings, dass sich in den vergangenen 50 Jahren die Verbrechensraten ähnlich entwickelt haben, wobei in Finnland die Anzahl der Häftlinge um ein Drittel gesunken ist. "Das bedeutet, dass eine Reduzierung der Anzahl der Insassen keine Änderung der Verbrechensstatistik zur Folge hatte", sagt der finnische Rechtsprofessor: "Grund für Änderungen sind eher sozialer und kultureller Natur." (Bianca Blei, 25.4.2018)