Die Grünen sind nicht die Grünen. Jene in Salzburg oder in Innsbruck lassen sich schwer mit jenen in Wien vergleichen. Da liegen ideologisch, wenn nicht Welten, dann doch Bundesländer dazwischen. Die Wiener Grünen gelten als ziemlich links stehend, jene in Salzburg und Tirol fühlen sich auch in einem eher konservativen und werteorientierten Weltbild sehr wohl und zu Hause. Während die Grünen im Osten des Landes eindeutig der SPÖ näherstehen, können jene im Westen wohl mehr mit der ÖVP anfangen. Und oft ist es ein sehr pragmatischer Zugang zu Themen, der den Standpunkt bestimmt.

"So hart das klingen mag, aber die Frage, ob ich mir das Dach überm Kopf leisten kann, beschäftigt die Leute ganz einfach mehr als die Frage nach dem Binnen-I oder der Ehe für alle", sagte Georg Willi, Spitzenkandidat der Grünen in Innsbruck, in einem STANDARD-Interview wenige Tage vor der Wahl. Für die bisherige Vizebürgermeisterin von Innsbruck, Sonja Pitscheider, war das Grund genug, von den Grünen auszutreten. Pitscheider sah darin einen "rechten Sprachgebrauch à la FPÖ". Hier werde mit Ausgrenzung und Lächerlichmachen gearbeitet, mit grünen Grundwerten habe das "rein gar nichts zu tun". Viele Sympathisanten der Grünen sahen das ganz anders: Bei der Bürgermeisterwahl in Innsbruck wurde Willi mit 30,9 Prozent ganz klar Erster, seine Partei, die Grünen, kam mit 24 Prozent bei der Gemeinderatswahl ebenfalls auf den ersten Platz.

Nicht rechts, nicht links

Auch wenn dem Ideologen aus dem grünen Grundsatzbüro widersprechen werden: Willis Aussagen sind nicht links oder rechts einzuordnen, sie haben auch nur bedingt mit grünen Grundwerten zu tun. Sie entspringen einer pragmatischen Einstellung: Was ist den Leuten wichtig, was bewegt sie, was betrifft sie? So wichtig es ist, sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einzusetzen und dieses Thema möglichst hartnäckig in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, neigen die Grünen doch dazu, sich im theoretischen Diskurs zu verstricken und den Lebensalltag der Menschen – vor allem jener außerhalb der grünen Blase – zu übersehen und zu ignorieren. Dass die Grünen dann auch recht schnell mit Verboten und Reglementierungen zur Hand sind, trägt nicht dazu bei, sie in der Sympathiespirale hinaufzuschießen.

Gefangen in der Selbsterfahrung

Nach dem Rausflug aus dem Parlament und danach aus dem Landtag in Kärnten müssen sich die Grünen ohnedies komplett neu aufstellen und zumindest einen Teil ihrer Positionen überdenken, wenn sie weiterhin auf wahrnehmbarer Ebene in der Politik tätig sein wollen. Das Potenzial dafür ist offenbar vorhanden. Die Ergebnisse in Salzburg und Tirol sind dabei aber nur bedingt aufschlussreich. Sowohl Astrid Rössler in Salzburg als auch Georg Willi in Tirol sind geerdete Personen, die einen sachbezogenen Zugang haben, kaum auf Effekthascherei setzen und auf die Leute zugehen wollen. In Innsbruck hat das funktioniert, in Salzburg nicht. Anderswo hat man das gar nicht erst versucht, da waren die Grünen so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie aus den Selbsterfahrungszirkeln gar nicht herausgekommen sind.

Nicht dem Binnen-I abschwören

Es kommt letztlich auf das richtige Zusammenspiel von Anliegen und Kommunikation an: Es braucht das richtige Thema, das für die Menschen relevant ist, und es braucht die Person, die das authentisch transportieren und verständlich machen kann. Dem Team in Innsbruck ist das gut gelungen, dem in Salzburg nicht so sehr. Dem Binnen-I jetzt abzuschwören wäre mit Sicherheit die falsche Strategie, es gehört zum genetischen Code der Grünen. Aber es ist nicht der Schlüssel zur Rettung der Welt, auch nicht im Kleinen.

Für die Grünen ist es jetzt eine Überlebensfrage, sich den Menschen und ihren Anliegen, Ängsten und Bedürfnissen zu öffnen. Und diese Frage kann in Wien durchaus anders beantwortet werden als in Salzburg oder Innsbruck. Wenn die Grünen allerdings weiter darauf warten, vom Wähler verstanden zu werden, anstatt die Wähler verstehen zu wollen, werden sie sehr allein bleiben und in absehbarer Zeit von der politischen Landkarte verschwinden. (Michael Völker, 23.4.2018)