Der Verschlag aus Holz, Plastikplanen und Wellblech ist gerade groß genug, dass Olivia Namaganda aufrecht stehen kann. Sie lebt hier mit ihren sechs Kindern. Was sie zum Leben brauchen, ringen sie dem Stück Land ab, das sie im ugandischen Bezirk Mityana bebauen. Namagandas Mann hat sie und die Kinder verlassen. Ein typisches Familienschicksal in dem ostafrikanischen Staat mit einer durchschnittlichen Geburtenrate von sechs Kindern pro Frau.

Alleinerzieherin und Selbstversorgerin Olivia Namaganda mit fünf ihrer sechs Kinder vor ihrem behelfsmäßigen Haus. Die Zeugnisse werden trotz widriger Umstände gehütet wie ein Schatz.
Foto: Steffen Arora

Angesichts des täglichen Überlebenskampfes ist die offiziell geltende Schulpflicht Makulatur. Doch Namaganda ist die Ausbildung ihrer Kinder wichtig. Hier kommt die Tiroler Hilfsorganisation Kindern eine Chance (KEC) ins Spiel. Sie ermöglicht vier von Namagandas sechs Kindern den Schulbesuch. "Wir unterstützen ihr Engagement, aber wir übernehmen nicht ihre Verantwortung", erklärt Sozialarbeiterin Rose Namala, die gemeinsam mit ihren Kolleginnen im Auftrag der Organisation rund 500 Familien betreut. Dazu legt sie jährlich mehr als 25.000 Kilometer auf dem Motorrad zurück. Nur so sind die übers ganze Land versprengten Siedlungen erreichbar. Es ist nicht selbstverständlich, dass sich Eltern um ihre Kinder kümmern. Dagegen kämpft KEC seit zehn Jahren an.

Ehrenamtliche Österreicher

Die Organisation unterscheidet sich grundlegend von anderen NGOs, weil sie rein ehrenamtlich arbeitet. Während in Uganda rund 200 Angestellte zu ortsüblichen Löhnen für KEC tätig sind, erledigt ein gutes Dutzend Helfer in Österreich Fundraising- und Organisationsarbeit unentgeltlich. "Jeder gespendete Euro fließt zu hundert Prozent nach Uganda", erklärt Stefan Pleger, der KEC zusammen mit seiner Lebensgefährtin Gabi Ziller gegründet hat.

Die 28-jährige Sozialarbeiterin Rose Namala legt pro Jahr mehr als 25.000 Kilometer auf dem Motorrad zurück. Sie betreut Familien in abgelegenen Gebieten, um den Kindern Zugang zu Bildung zu ermöglichen oder zumindest ihre Lebensumstände zu verbessern. Die NGO besitzt im Übrigen kein Auto. Motorräder sind in dem unwegsamen Hinterland das gängige Fortbewegungsmittel.
Foto: Steffen Arora

Pleger ist kein naiver Weltverbesserer, sondern Kenner der Problemlage in Ostafrika. Er war 1994 während des Genozids als Berichterstatter in Ruanda, arbeitete für Ärzte ohne Grenzen in Somalia, dem Südsudan und anderen Ländern. KEC entstand 2008, um Aids-Waisen im ländlichen Uganda zu unterstützen. Heute ist es mit einem Spendenvolumen von 1,2 Millionen Euro jährlich die vermutlich größte ehrenamtliche NGO Österreichs. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht.

Die Organisation wuchs an ihrer Aufgabe, die mittlerweile weit über die Betreuung von Aids-Waisen hinausgeht, wie Sozialarbeiterin Namala erklärt: "Das große Problem ist das Bevölkerungswachstum. Früher hatte jeder sein Stück Land, mit dem er seine Familie ernähren konnte. Nun werden die Ressourcen knapp." Um der dadurch bedingten Landflucht, der oft die Emigration nach Europa folgt, Einhalt zu gebieten, versucht KEC, den Menschen vor Ort eine Zukunftsperspektive zu geben. Die Kinder erhalten neben der Schulausbildung auch Grundkenntnisse in effizienter Landwirtschaft und Handwerken.

Stefan Pleger erklärt den Bau der Schule in Nateete, einem Dorf im Bezirk Mubende.

Mit dem Verweis auf effizientere "Hilfe vor Ort" kündigte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) jüngst weitere Einsparungen im Budget für Entwicklungszusammenarbeit an, das erst im Vorjahr um ein Viertel gesunken ist. Das trifft besonders Uganda, das seit 1993 Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit ist. KEC erhält keine Bundesmittel.

Pleger und einer der Absolventen der Secondary School, der im Anschluss an seine Schulausbildung die Grundlagen effizienter Landwirtschaft, wie hier den Anbau lukrativer Passionsfrüchte, lernt.
Foto: Steffen Arora

Trotzdem übernimmt die NGO staatliche Aufgaben. Denn neben zehn eigenen Schulen mit rund 3.600 Kindern versorgt KEC 59 staatliche Schulen täglich mit warmem Essen. Pleger bot den ugandischen Behörden dieses Porridge-Programm an, um einen Anreiz zu schaffen, Kinder zur Schule zu schicken – unter der Bedingung, dass Lehrer anwesend sind und unterrichten. Mehrere korrupte Direktoren und Lehrer verloren in der Folge ihren Job. Die Unterrichtsqualität stieg.

Die Idee von Leistung für Gegenleistung ist die Philosophie hinter KEC. Pleger hält nichts von der Gebermentalität vieler NGOs: "Das verstärkt nur die Lethargie, die hier vielerorts herrscht." Der 48-Jährige tritt in Uganda nicht wie der nette Onkel aus Europa auf. Im Gegenteil, der Umgangston wird mitunter auch harsch.

"Ich habe ihn anfangs nicht gemocht, weil er immer so streng ist", erzählt Betty Nabulimu. Die 30-Jährige war eine der Ersten, die von der Organisation unterstützt wurden. Heute leitet sie die Geschicke von KEC in Uganda. Pleger, mit dem sie nun eine Freundschaft verbindet, erwischte sie einst beim Schummeln. "Er wurde böse und sagte, ich könne meine Sachen packen." Nabulimu ist überzeugt, dass aus ihr nichts geworden wäre ohne diese Strenge. Pleger sieht seine Rolle pragmatisch: "Mit nett sein allein erreichst du hier gar nichts."

Betty Nabulimu wurde vor zehn Jahren selbst von der Plegers Organisation unterstützt. Heute leitet sie die Geschicke der NGO in Uganda und steht in dieser Funktion mehr als 200 Angestellten vor. Hier posiert sie vor Maisvorräten für das Porridge-Programm, mit dem täglich 59 Schulen versorgt werden.
Foto: Steffen Arora

In Zigoti, wo Pleger und Ziller vor zehn Jahren mit der ersten Schule starteten, gelten die beiden als Einheimische. Zusammen mit ihrem siebenjährigen Sohn Simon verbringen sie das halbe Jahr hier. Statt im Reihenhaus im Tiroler Völs lebt die Familie in einem einfachen Bungalow ohne fließend Wasser und Strom. "Wir orientieren uns am hiesigen Lebensstandard", erklärt Ziller.

Alles, was die Organisation braucht, wird vor Ort gekauft, um die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Nur einmal ließ man einen Container mit Computern und Maschinen für die Werkstätten aus Europa einschiffen. "Ein Horror", sagt Pleger mit Verweis auf die allgegenwärtige Korruption. KEC weigerte sich von Beginn an, Bestechungsgeld an Behörden zu zahlen. Damit schaffte sich Pleger einflussreiche Feinde, aber seine Hartnäckigkeit machte sich bezahlt. Heute wagt es kein Beamter im Bezirk mehr, von ihm einen Obolus einzufordern.

Eine weitere Familie, die von der Sozialarbeiterin Namala betreut wird. Sechs Personen leben in einer winzigen Hütte. Die NGO unterstützt sie nun beim Bau eines Hauses, wenn die Eltern dafür sorgen, dass die Kinder zur Schule gehen.
Foto: Steffen Arora

Sozialarbeiterin Namala ist indes bei der nächsten Familie angelangt. In einer ärmlichen Lehmhütte lebt Angelina, ein etwa 20 Jahre altes behindertes Mädchen, mit ihrer Mutter und den Geschwistern. "Behinderte gelten als Schande für ihre Familien", erklärt Namala. Als sie das Mädchen entdeckte, war es nackt hinter der Hütte angebunden. Namala erklärte der Mutter in langer Überzeugungsarbeit, dass ihre Tochter Zuwendung braucht. Heute nimmt sie ihr Kind mit in die Kirche, Angelina ist Teil der Gemeinschaft. KEC stellt im Gegenzug einen Rollstuhl dafür bereit und jede Woche besucht ein Physiotherapeut der Organisation, die auch zwei Sonderschulen unterhält, die Familie. Angelina lächelt, als Pleger ihre Hand streichelt. Das sind die Momente, die er als Erfolg bezeichnet. (Steffen Arora, 21.4.2018)