Frage: Der hohe Ausländeranteil in der Kriminalitätsstatistik legt nahe, dass Ausländer krimineller sind als Inländer. Ist das wahr?

Antwort: Der Anteil der nichtösterreichischen Staatsbürger in der Kriminalitätsstatistik liegt tatsächlich weit über dem, was ihren Anteil an der Bevölkerung ausmacht. Ausländer stellten im Jahr 2016 rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung, bei den gerichtlich Verurteilten betrug ihr Anteil laut Statistik Austria 41 Prozent. Auch bei den Anzeigen stechen die Nichtösterreicher hervor. In Wien kommen auf 1.000 Österreicher 30 Tatverdächtige. Auf 1.000 Einwohner nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft kommen hingegen 77 Tatverdächtige (siehe Grafik).

Frage: Werden Zuwanderer also öfter straffällig als Inländer?

Antwort: Nein, das kann man daraus nicht schließen. Setzt man die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen in Relation zur Zahl der hier lebenden Ausländer, unterliegt man nämlich in gewisser Weise einem Denkfehler: Man tut so, als würden alle tatverdächtigen Ausländer auch hier leben. Das ist aber nicht der Fall. Viele Tatverdächtige sind Grenzpendler, Urlauber, Personen, die hier Verwandte oder Freunde besuchen, oder aber Menschen, die hier irregulär aufhältig oder beschäftigt sind. Rechnet man all diese nicht hier ansässigen Angezeigten in die Kriminalitätsquote der niedergelassenen Ausländer hinein, erhält man ein verzerrtes Bild. Anders bei den Inländern: Inländische Tatverdächtige sind in der Regel hier wohnhaft. Der Migrationshintergrund der Tatverdächtigen wird nicht erhoben.

Frage: Wie viele ausländische Tatverdächtige wohnen nicht hier?

Antwort: Im Falle Wiens sind es gar nicht so wenige (siehe Grafik). Von den erwähnten 77 ausländischen Tatverdächtigen pro 1.000 Ausländer in Wien sind es 32, die nicht zur Wohnbevölkerung zählen, wie eine neue Berechnung der Kriminalsoziologen Arno Pilgram und Walter Fuchs vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) ergibt. Setzt man nur die tatsächlich hier lebenden ausländischen Tatverdächtigen in Relation zur ausländischen Bevölkerung, dann sind Ausländer plötzlich nicht mehr 2,6-mal so oft straffällig wie Inländer, sondern nur noch 1,5-mal – sie sind also um die Hälfte stärker mit Anzeigen belastet als österreichische Staatsbürger.

Frage: Also ergeben selbst diese bereinigten Zahlen, dass Ausländer krimineller sind, oder?

Antwort: Nein, auch hier müsse man differenzieren, sagt Pilgram im STANDARD-Gespräch. Denn auch diese Überrepräsentation der Nichtösterreicher in der Statistik trügt. Dazu muss man zwei Grundgesetze der Kriminalitätssoziologie kennen. Erstens: Der typische Kriminelle ist ein Mann – über vier Fünftel der verurteilten Personen sind Männer. Zweitens: Der typische Kriminelle ist unter 45. Nun ist der Anteil der Männer unter 45 bei der ausländischen Bevölkerung in Wien aber höher als bei den Inländern – und zwar genau um den Faktor 1,5, wie Pilgram ausgerechnet hat. Bereinigt man die Statistik um den Faktor Jung und Männlich, dann, so Pilgram, "kann man mit Fug und Recht sagen: Diese Überrepräsentation der Ausländer bei den Anzeigen ist ein hochgradiges statistisches Artefakt." Würde man also Äpfel mit Äpfeln vergleichen, dann käme heraus: Es gibt fast keinen Unterschied.

Frage: Warum nur "fast"?

Antwort: Weil es, wie auch aus der Grafik hervorgeht, eine Gruppe gibt, die hervorsticht: die "Sonstigen". Das sind Ausländer, die weder aus der EU noch aus der Türkei oder aus Ex-Jugoslawien stammen. Besonders auffällig ist beispielsweise der Suchtmittelbereich. Hier gibt es laut Pilgram "einen kleinen Kreis von Drittstaatsangehörigen, die extrem oft auffällig werden". In Wien fallen etwa 40 Prozent der Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz auf Drittstaatsbürger. Insgesamt wird die bundesweite Anzeigenstatistik aber von Europäern dominiert: Laut Bundeskriminalamt waren die Top-drei-Herkunftsnationen bei den fremden Tatverdächtigen im Jahr 2017 Rumänien, Deutschland und Serbien, Afghanistan folgte an vierter Stelle.

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Foto: apa/jäger

Ein Problem ergibt sich vor allem im Suchtmittelbereich auch aus der Art, wie die Anzeigenstatistik geführt wird: Mehrfachtäter, die binnen eines Jahres öfter auffällig werden, werden auch mehrfach gezählt und belasten sozusagen die ganze betreffende Gruppe.

Ein Beispiel: Angenommen, es gibt fünf Burgenländer und fünf Vorarlberger in Wien. Von diesen zehn Bundeslandmigranten wurden zwei mit illegalen Drogen erwischt, und zwar ein Dornbirner und ein Oberwarter. Der Dornbirner wurde binnen eines Jahres gleich vier Mal aufgegriffen, der Oberwarter nur einmal. Die Statistik sagt dann: Auf fünf Vorarlberger kommen vier Suchtmitteldelikte, auf fünf Burgenländer nur eines – die Vorarlberger sind also viermal so kriminell wie die Burgenländer.

Frage: Sind straffällige Ausländer schlecht integriert?

Antwort: Nein. "Kriminalität ist etwas, was man von jeder Gruppe erwarten muss", sagt Pilgram. Menschen neigen jedoch dazu, für jene Regelverstöße, die in ihrem eigenen Umfeld üblicher sind, mehr Verständnis aufzubringen als für jene, die von Menschen aus einer anderen Lebensrealität begangen werden – etwa von Asylwerbern. So gibt es für Steuerhinterziehung im kleinen Stil oft eine Art Rationalisierungsmuster: "Der ist halt raffiniert", "die Steuerlast ist einfach zu groß" – während es selbst für geringfügige fremdenrechtliche Verstöße oft wenig Toleranz gibt. Pilgram appelliert: Man müsse Zugewanderten "die Chance geben, dass man ihre Kriminalität nicht als schlimmer bewertet als die der Österreicher". Das Ziel sollte sein, "dass man die Opfer nicht alleinlässt und die Täter das Gefühl haben, auch wieder dazugehören zu dürfen, wenn sie konkrete Bedingungen erfüllen". (Maria Sterkl, 19.4.2018)