Viele Muslime empfinden das Vorgehen Österreichs in der Kopftuchfrage nicht als gegen den Extremismus gerichtet, sondern als gegen die Religion selbst.

Foto: BRENDAN MCDERMID

Ihr Artikel hat für mich sehr viele Fragen aufgeworfen. Die erste Frage stellt sich mir gleich am Anfang. Weshalb ist Ihre Bereitschaft für die Rechte der Musliminnen in Österreich einzustehen daran geknüpft, was offizielle Vertreterinnen und Vertreter zu sagen haben? Weil die offiziellen Vertreter Ihnen zu konservativ sind, sollte es in Ordnung sein, wenn die gemeine Muslimin ihre religiösen Rechte (oder Pflichten) nicht leben kann?

Nachdem Sie schreiben, dass es Nichtmuslimen nichts angehen würde, was im Koran vorgeschrieben ist, gehen Sie dazu über, auch dem Chef der Islamischen Glaubensgemeinschaft das Recht abzusprechen, dazu eine (öffentliche) Meinung zu haben. Ganz so, als ginge es niemanden etwas an. Sie können mir glauben, dass ich selbst das Kopftuch – oder besser: gewisse Interpretationen von dessen Bedeutung – sehr kritisch sehe. Trotzdem ist mir nicht klar, weshalb ein offizieller Vertreter nicht sagen dürfen sollte, es sei geboten. Was sonst ist seine Aufgabe? (Klar, eine Beschäftigung mit anderen Themen würde ich auch vorziehen. Oder dass ein Mann in einer Machtposition sensibler über Themen spricht, die Frauen ganz persönlich tangieren. Wenn Sie es so meinen, gebe ich Ihnen natürlich recht.)

Über Wahlfreiheit

Nur würde ich dann noch einmal nachhaken, wenn Sie schreiben, die Wahlfreiheit sei dann auf institutioneller Ebene eine reine Behauptung. Ich habe in den vergangenen Jahren zahlreiche offizielle Vertreter des Islam in Österreich unzählige Male sagen hören, dass es keinen Zwang in der Religion gebe und es jeder Muslimin freistehe zu wählen. Dass es unabhängig davon im Islam Gebote gibt, ist wohl klar. Und nein, Sittenwächter haben deshalb noch lange nicht das Gesetz hinter sich.

Das Gesetz besagt nämlich auch, dass kein Mensch einen anderen schlechtzumachen hat und dass bloß kein Mensch zu glauben hat, er sei besser als ein anderer. Ich weiß, dass gegenseitige Geringschätzung unter Muslimen trotzdem mitunter ein Problem ist. Daran müssen wir viel stärker arbeiten. Gleichzeitig gibt es die Geringschätzung der Muslime vonseiten der nichtmuslimischen Gesellschaft in Österreich, die kopftuchtragende Frauen besonders, aber auch alle muslimischen Frauen ohne Kopftuch trifft. Und das ganz ohne Gesetz.

Ich entnehme Ihrem Text, dass Sie sich eine weniger konservative Gesellschaft wünschen. Dass eine Schulklasse im Jahr 2018 nicht konservativer aussehen soll als eine in Damaskus im Jahr 1975. Nur zwei Gedanken dazu: Erstens wäre ich mir nicht so sicher, dass die konservative Kleidung generell konservative Gesinnung widerspiegelt. Zweitens lese ich hier den Vorwurf heraus, dass sich Muslime im negativen Sinne zurückbewegen würden – vielleicht ins von den Medien vielbeschworene Mittelalter?

Gegen die Religion

Aber wie Sie selbst schreiben, war die Vergangenheit des Islam eine offenere, pluralistischere als die Gegenwart. Und Sie wie auch die Muslime wissen, dass die vielen Kopftücher unter anderem auch das Ergebnis der Kolonialzeit sind, nicht die kopftuchlosen Mädchen im 1970er-Damaskus. Aber auch wenn die zahlreichen Kopftücher gesellschaftlich neu sind, so sind sie keine neue Erfindung. Das Bedecken der Aura wird von allen Rechtsschulen als Pflicht betrachtet – und wurde es auch schon von deren Gründern. Insofern ist es recht egal, was die IGGÖ dazu sagt. Muslime kennen ihre Quellen. Und viele empfinden das Vorgehen Österreichs in dieser Sache daher nicht als gegen den Extremismus gerichtet, sondern gegen die Religion selbst.

Dass Sie sich am Kolonialismus-Vorwurf stoßen, kann ich verstehen. Er ist aber nicht an Sie persönlich gerichtet – Ihnen mag es mit den Frauen im Iran tatsächlich ernst sein. Frau Kücükgöl spricht im Interview lediglich das Phänomen Rassismus an und die Tatsache, dass erstaunlich viele Europäer sich plötzlich mit Frauen solidarisieren, die sie nie interessiert haben, deren Religion sie verabscheuen und die sie munter weiterdiskriminieren würden, würden sie in unserem Land leben. Frau Kücükgöl bezieht sich auch auf die Tatsache, dass Befreiungsbewegungen in entfernten Ländern gern als Vorwand genommen werden, Frauen hier zu drangsalieren. "Wie kannst du so dumm sein, hier ein Kopftuch zu tragen? In anderen Ländern kämpft man dafür, es nicht tragen zu müssen." Und Frauen wie Dudu Kücükgöl müssen ein ums andere Mal erklären, dass sie diesen Kampf unterstützen und sich deshalb noch lange nicht fürs eigene Kopftuch rechtfertigen müssen. Das ist die Lebensrealität kopftuchtragender Frauen in Österreich. Da scheint es doch verständlich, dass man die Begeisterung hierzulande für Protestbewegungen im Iran zwiespältig betrachtet.

Blutige Militärdiktatur

Ich bin zwar nicht die IGGÖ, aber Ihr Text ist ja auch an alle Muslime gerichtet. Daher erlaube ich mir, auf eine Ihrer Fragen zu antworten. Sie wollen zum Beispiel wissen, wie Muslimen in Österreich dazu stehen, dass Ägypten Atheismus kriminalisiert. Lassen Sie sich die Frage doch mal auf der Zunge zergehen! Für dieses Gesetz hat es eine Militärdiktatur gebraucht, die sich blutig an der Macht hält und dabei auch von Österreich unterstützt wird. Insofern möchte ich die Frage gern zurückgeben beziehungsweise an den Staat Österreich richten. Ist das die religiöse Neutralität, die wir exportieren wollen?

Keine Doppelmoral?

Aber ganz im Ernst: Welche religiöse Neutralität? Nein, das österreichische Modell würde ich sicher nicht exportiert sehen wollen. Ich erlebe Österreich als besonders rassistisch, in religiösen Belangen besonders ungebildet und hilflos. Wer seine Religion ernst nimmt, ist in Österreich nicht gut aufgehoben. Warum zum Beispiel kritisieren Sie nun, dass muslimische Studenten einen Gebetsraum haben sollen? Sie sollen lernen, nicht beten? Das verstehe ich nicht unter Neutralität. Es sei gegen Diversität, weil man unter sich bleibt? Welche Diversität? Sie definieren die Universität ja als religionsfreien Raum – den Platz für Diversität haben Sie damit selbst verengt. Ist das keine Doppelmoral? Das müssten Sie mir dann erklären. (Victoria Kober, 18.4.2018)