Raffaele Sorrentino: "In den 1980er-Jahren haben wir Wünsche gehört, die uns in Verlegenheit brachten. Diese Blöße gibt sich heute keiner mehr."

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STANDARD: Früher Hotelgäste, heute die Bewohner hochpreisiger Wohnprojekte: Können Sie immer alle Wünsche erfüllen?

Sorrentino: Wir sind nicht dazu da, Nein zu sagen. Ich habe meinen Mitarbeitern immer gesagt: Egal wie banal eine Anfrage erscheint – es ist der Wunsch des Gastes. Und dieser Wunsch ist zu erfüllen. Ich vergleiche einen Concierge mit einem Weitsprungathleten. Er nimmt Anlauf und versucht, so weit zu springen, dass er Gold gewinnt. Wenn ein Gast um 17 Uhr kommt und um 19 Uhr Anna Netrebko in der Oper sehen will, dann fängt es in meinem Kopf zu rotieren an: Wen muss ich anrufen, welche Kette muss jetzt anlaufen, um das Ziel zu erreichen? Ich setze mein gesamtes Netzwerk in Bewegung, bis einer sagt: "Das geht. Machen wir."

STANDARD: Wie groß ist denn Ihr Netzwerk?

Sorrentino: Ich habe in meinem Handy 9.000 Kontakte gespeichert. Man muss in einem Restaurant in New York, in dem man dringend einen Tisch braucht, niemanden kennen. Aber man braucht den Kontakt, der den Kontakt vom Kontakt hat und den Tisch besorgen kann. Im Grunde genommen trifft man einen kleinen Kreis an Menschen immer wieder.

STANDARD: Haben Sie schon einmal aus moralischen Gründen Nein gesagt?

Sorrentino: In die Verlegenheit, Nein zu sagen, kommen wir nicht mehr. Wenn ich mich an den Anfang der 1980er-Jahre zurückerinnere, als ich in Paris arbeitete – da haben wir Wünsche gehört, die uns in Verlegenheit brachten. Aber heute, durch das Internet, gibt sich keiner mehr die Blöße, den Concierge etwas Anstößiges zu fragen, weil er den jeden Tag beim Rein- und Rausgehen sieht.

STANDARD: Was wurden Sie denn da so gefragt?

Sorrentino: Das müssen Sie sich selbst denken.

STANDARD: Und was war der ungewöhnlichste Wunsch?

Sorrentino: Am meisten ins Schwitzen kam ich in meiner Zeit im Hotel Adlon in Berlin, im Oktober oder November 1998. Ein Araber, der sich bei Mercedes sein neues Auto abgeholt hatte, parkte bei uns in der Garage. Er ging auf sein Zimmer, und dessen Sekretär kam zu mir und sagte: Wir haben gerade neben einem anderen Mercedes geparkt, der viel schöner war als der unsere. Mein Scheich will, dass sein Auto genau so aussieht. Der Mercedes war ein bisschen tiefergelegt, hatte breitere Reifen.

Erschwerend kam hinzu: Das Auto musste innerhalb von 36 Stunden in Bremerhaven sein und nach Jeddah verschifft werden. Wir hatten also nur ganz kurze Zeit, um das Auto tunen zu lassen – und haben es geschafft! Wir haben es nach München geschickt, und es wurde dort innerhalb von 24 Stunden für 60.000 Mark getunt.

STANDARD: Sie haben viele Schöne und Reiche gesehen?

Sorrentino: Ich habe Mitglieder aller Königshäuser Europas gesehen und auch die Clintons. Zu Yassir Arafat sagte ich, als er das Hotel verließ, "Gott sei mit dir" auf Arabisch. Er hat seine Securities stehen lassen und mich umarmt. Mit George W. Bush habe ich Spiegeleier gebraten, Penelope Cruz wollte von mir auf ihrem Hotelzimmer alles über das Brandenburger Tor wissen. Es gab Momente, da hatte ich so eine Gänsehaut. Aber Diskretion ist unser oberstes Credo. Du darfst sehen und hören, aber du darfst nicht darüber reden. Wenn mich während meiner Zeit im Adlon meine Frau abends fragte, wen ich gesehen habe, habe ich es ihr nicht erzählt. Man darf kein Risiko eingehen.

STANDARD: Was muss ein Concierge noch alles für den Beruf mitbringen?

Sorrentino: Ein Concierge wird man nicht, als Concierge wird man geboren. Man muss die Empathie mitbringen, am Tag 120-mal den Stadtplan aufzuschlagen und zu sagen: Wir sind da. Ein guter Concierge eröffnet dann einen Dialog mit dem Gast und erzählt ihm nicht nur, wie er hinkommt, sondern empfiehlt auch gleich noch ein Restaurant zum Mittagessen. Ich sage immer: Jeder Concierge macht seine eigene Stelle interessant. Der eigentliche Job ist in der Sekunde getan, in der ich den Stadtplan aufmache. Wir haben Mitarbeiter aus den verschiedensten Bereichen. Ich habe auch schon Tennislehrer angestellt. Wir stellen Typen ein, die zu bestimmten Immobilien passen.

STANDARD: Das müssen Sie mir erklären.

Sorrentino: In jedem Haus gibt es eine Grundstimmung, die es aufzufangen gilt. Es gibt Häuser, wo alles familiär stattfindet. Wo die ältere Bewohnerin jeden Tag zum Concierge geht und ihn fragt: "Wie geht es dir heute?" Aber es gibt auch Häuser, in denen nur Milliardäre wohnen, da ist es vielleicht weniger persönlich. Daher gilt es, die richtigen Leute einzusetzen. Wir bekommen von den Bewohnern einen enormen Vertrauensvorschuss. Sie vertrauen uns ihre Wohnungsschlüssel an.

STANDARD: Was macht man als Concierge den ganzen Tag?

Sorrentino: Wir nehmen den Menschen alltägliche Unannehmlichkeiten ab, auf die sie keine Lust haben. Wir schenken den Menschen Zeit. Wir nehmen die Kleidung für die Reinigung entgegen, gießen die Blumen, wenn die Bewohner nicht da sind. Füllen den Bewohnern, bevor sie aus dem Urlaub zurückkommen, den Kühlschrank an. Uns werden Kinder anvertraut, wenn sie allein nach Hause kommen. Dann ruft uns die Mutter an und sagt: "Kannst du bitte schauen, ob er die Hausübungen macht? Ich komme ein bisschen später." Wir stellen den Bewohnern daher immer unsere Mitarbeiter vor, bildlich und mit Lebenslauf.

STANDARD: In Filmen sind Concierges immer männlich. Wie schaut's denn im echten Leben aus?

Sorrentino: Ich finde, Frauen sind die besseren Concierges. Ich glaube, dass sie den besseren siebenten Sinn besitzen. Sie haben das gewisse Etwas, das Männer nicht haben. Aber man muss schauen, wo man sie einsetzt: Häuser, in denen mehrheitlich Käufer aus dem Mittleren Osten wohnen, kann man weiblichen Concierges nicht antun.

STANDARD: Muss man alle Bewohner bei ihrem Namen kennen?

Sorrentino: Man kann nicht allen gleich begegnen. Man muss erkennen, was jemand will. Der eine will, dass man aufsteht und ihm die Tür aufhält, der andere möchte, dass man sitzen bleibt. Der eine will "Guten Morgen" sagen, der andere will, dass man ihn gar nicht sieht. Man befindet sich in der Privatsphäre der Menschen. Und jeder hat das Recht, sich so bedienen zu lassen, wie er sich das wünscht.

Der Bewohner muss sich nicht verstellen, wir müssen das. Es braucht genau die richtige Mischung aus "nicht kumpelhaft" und "höflich". Nach einiger Zeit sagt der Bewohner vielleicht zu mir: "Raffaele, sag doch Michael zu mir." Das ist der Moment, in dem man die Professionalität haben muss, um zu sagen: "Sie dürfen mich gern Raffaele nennen. Aber bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich Sie weiterhin Herr Meier nenne." Man muss sich diese Ebene bewahren.

STANDARD: Wird der analoge Concierge irgendwann durch einen digitalen ersetzt?

Sorrentino: Nein. Ich sehe die Technologie als ein Add-on. Als wir noch kein Internet hatten, benutzten wir ein Buch, in dem alle Flugverbindungen weltweit aufgelistet waren. Das haben wir aufgemacht und einem Gast gesagt, wie er aus New York nach New Orleans kommt. Dann kam das Internet, aber der Concierge wurde nicht abgeschafft. Was ich schon glaube: In gewissen Immobilien wird es nie einen physischen Concierge geben, für bestimmte Serviceleistungen könnte es aber eine digitale Lösung geben.

STANDARD: Den physischen Concierge wird es im Luxussegment geben, die Concierge-App für die Normalsterblichen?

Sorrentino: Es ist nicht gesagt, dass das Luxussegment preisunempfindlich ist. Die Menschen kaufen sich um fünf Millionen Euro ein Apartment, machen sich aber trotzdem Gedanken über die Nebenkosten. Wer wirklich Geld hat, macht sich ständig Gedanken darüber, wie er es vermehren kann. (Franziska Zoidl, RONDO Open Haus, 22.5.2018)

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