Perugia – Nur 42 Prozent der Österreicher vertrauen den Medien, und 38 Prozent der US-Amerikaner, sagt der Digital News Report des Reuters Institute. Im Onlinejournalismus haben Clickbaiting, Paid Content und invasives Tracking der User ihren Teil geleistet, das Vertrauen in die Medien erodieren zu lassen. Die Medienbranche sucht nach Möglichkeiten, es wieder herzustellen. Medienwissenschafter, Publizist und Branchengröße Jay Rosen, er lehrt an der New York University, sieht die (oder zumindest eine) Zukunft in Mitgliedermodellen. Wie die funktionieren können, erläutert er beim Journalismusfestival in Perugia.

Vertrauen und Breitbart

Jay Rosen hat eine Vision. "Was, wenn Medien ihre Ressourcen nicht auf Zugriffe und Profit konzentrieren würden, sondern darauf, das Vertrauen ihrer Leser zu maximieren?" Wäre Journalismus dann qualitätsvoller? Auch die Unterstützer von "Breitbart.com" vertrauen "ihrem" Medium, ungeachtet des Wahrheitsgehalts. "Vertrauen ist eine schlechte Maßeinheit für Qualität", zitiert Rosen seine Kollegin Emily Bell, sie leitet das Tow Center for Digital Journalism at Columbia University's Graduate School of Journalism. Und er formuliert neu: Vertrauensoptimierung in Kombination mit einem guten Verfizierungsprozess. "Nicht nur, um im Geschäft zu bleiben. Sondern vor allem, um weiterhin guten Journalismus zu machen."

Was können Journalisten tun?

Was können Journalisten tun? Das ist für Rosen eine Beziehungsfrage. "Echter Journalismus ist wie eine Ehe", so Rosen. "Je stärker die Beziehung, desto eher bleibt man loyal." Daraus leitet er eine lange Liste von Ratschlägen ab, um Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer wiederzugewinnen und zu stärken. Der Appell an Medien und Journalisten: Informiert über persönliche Motivationen, eure Vision und eure Arbeitsweise.

Der Leser soll nicht nur "durch Journalismus lernen, sondern auch darüber, wie er gemacht wird." Vertrauen sei etwa zu gewinnen, indem er oder sie erfährt, welche Daten von ihm bei der Nutzung der Newsseite gespeichert und wie genutzt werden. Wenn eine Story nicht nur den Namen des oder der Journalisten ausweist, und der Name nicht nur zu dessen oder deren Biografie und Story-Archiv führt, sondern auch zu Informationen über die Motivation des Autors oder der Autorin. Wenn im Menüpunkt "Über uns" nicht allein ein Mission Statement des Mediums oder Medienhauses steht und Informationen über dessen Eigentümer, sondern auch, welche Prioritäten die Redaktion für ihre Arbeit definiert und welche Ressourcen warum wofür eingesetzt werden.

Vertrauen sei zu stärken, indem die Redaktion und das ganze Unternehmen "mehr auf das Internet hören". Wenn sie auf die Userinnen und User hören, ihr Wissen mit deren Wissen kombinieren, um ein besseres Produkt zu schaffen. Wenn das Medium nicht nach Aufmerksamkeit des Publikums heischt, sondern das Publikum ihm Aufmerksamkeit schenkt, wie Rosen formuliert. Wenn die Redaktion nicht allein das Ergebnis ihrer Arbeit präsentiert, sondern auch zeigt, wie sie darauf gekommen ist, die Journalisten ihre Informationen teilen. Wenn sie auf Kritik reagieren – und dabei zu differenzieren vermögen zwischen der sachlich berechtigten Kritiken und der unsachlichen. Und wenn Medien nicht nur Geld für ihre Arbeit verlangen oder auch über Mitglieder- und Spendenmodelle erbitten – sondern auch erklären, wie sie das Geld verwenden.

Diese Redaktionskultur fasst Rosen so zusammen: "Radikale Transparenz" und Vielfalt führten zu etwas Besserem als Objektivität.

Beim Aufdecken helfen

"Es muss leichter sein, eine Beziehung zur Nachrichtenorganisation aufzubauen", insistiert Rosen. Mit dem Membership Puzzle Projekt forscht er an Mitgliedermodellen für Nachrichtenunternehmen. DeCorrespondent ist Projektpartner – und Vorzeigemodell. Die dänische Nachrichtenseite hat einen Weg um Paywall und Werbung gefunden. Sie finanziert sich durch Beiträge ihrer 56.000 Mitglieder. Diese bekommen nicht nur einen Newsletter. Sie wirken direkt mit – indem sie Quellen vermitteln, Expertise und Ideen einbringen. DeCorrespondent konnte durch seine Mitglieder große investigative Geschichten umsetzen.

Eine frustrierte Gruppe

"Die Bereitschaft für qualitätsvolle Inhalte zu zahlen ist nicht größer geworden", sagt Jay Rosen. Warum investieren Mitglieder trotzdem Zeit und Geld in mitgliederbasierten Journalismus? Eine kleine, nicht repräsentative Gruppe entscheidet sich für diesen Weg – weil sie an die Vision des Nachrichtenunternehmens glaubt. Und auch, wie das Membership Puzzle Projekt erforschte "weil sie frustriert sind." Von paid content, von clickbaiting, von einem Journalismus, der Probleme behandelt, aber keine Lösungen aufzeigt. Für junge Medienunternehmen funktioniere mitgliederbasierter Journalismus. Aber: "Es gibt nicht nur ein Modell für die Zukunft. Es wird viele, individuelle Lösungen geben."

Das Video von Rosens Vortrag über "Optimizing Journalism for Trust"

International Journalism Festival

(Laura Anninger, 14.4.2018)