Politisch in getrennten Sphären: Das Ehepaar Helmut Lethen und Caroline Sommerfeld-Lethen.

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Was für eine süffige Geschichte – Medienaffineres ließe sich schwerlich erdenken. Hier die Basisfakten der Story: Linker deutscher Großintellektueller, Germanist und Kulturwissenschafter, heiratet erheblich jüngere, hochtalentierte Studentin der Philosophie. Das Paar lässt sich mit Kindern in Wien nieder, verbringt dort gemeinsam viele Jahre. 2015 – in diesem Jahr stellt die Flüchtlingskrise ganz Europa auf den Kopf – bringt auch für das Beziehungsleben des Paares einen Umschwung, in den heißen Sommertagen, als sich am Westbahnhof tausende und abertausende Menschen aus der Fremde drängen, werden die Weichen neu gestellt. Die Frau biegt politisch scharf nach rechts ab und wird binnen kurzem zu einer wichtigen Mit- und Vordenkerin der "identitären" Bewegung, während er den alten linken Überzeugungen treu bleibt.

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Carl Schmitt
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Von der Wucht des Weltlaufs eingeforderte Positionierungsentscheidungen dringen in die Intimität einer Paarbeziehung ein: Dass die Medien diese Story unterbelichtet gelassen hätten, kann man wahrlich nicht behaupten. Für dieses Wochenende wurde gar ein Doppelporträt von Helmut Lethen und Caroline Sommerfeld-Lethen – damit sind die dramatis personae beim Namen genannt – in der New York Times angekündigt. "Er predigt den Austausch, sie marschiert auf Fackelzügen", titelt die SZ. Und der Spiegel spricht von der Ehe der Lethens als "einer Art Sozialexperiment".

Der Einzige, der nicht spricht, ist Helmut Lethen selbst. Bei einem Treffen in einem Wiener Kaffeehaus übt er sich, die Beziehung zu seiner Frau betreffend, in "buddhistischem Schweigen". Das ist gewiss keine einfache Übung. Auch deshalb, weil die öffentliche Austragung eines ehelichen Schaukampfes zu einem Thema mit enormen gesellschaftlichen Implikationen den Aktionsradius, der einem Intellektuellen wie Lethen üblicherweise zur Disposition steht, mächtig ausweiten würde.

Geistergespräche

Lethen hat vor kurzem sein Buch Die Staatsräte. Elite im Dritten Reich veröffentlicht, eine eigenwillige und formal ehrgeizige Studie über vier, wie Thomas Bernhard vielleicht gesagt hätte, "Geistesmenschen", die sich in den 1930ern und 1940ern unter dem Nationalsozialismus, der geistfeindlichen Ideologie schlechthin, zu behaupten versuchen: der Schauspieler Gustav Gründgens, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch, der Musiker und Dirigent Wilhelm Furtwängler und der Jurist und Staatsrechtler Carl Schmitt. Es sind Geschichten von politischem Opportunismus, ideologischer Verblendung, egoistischer Anbiederung, vom Kampf um persönliche "Resonanzräume" und Versuchen, auf Ewigkeit angelegte Gedankengebäude zu errichten, die nur zu schnell den Weg allen Irdischen gehen. Erzählt werden sie von Lethen teilweise als fiktive "Geistergespräche", eine auf den römischen Schriftsteller Lukian zurückgehende literarische Form. Die Grundlagen der Staatsräte wurden bei einer wissenschaftlichen Tagung am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien gelegt, dem Lethen damals vorstand; "Auseinandersetzungen mit Caroline Sommerfeld", schreibt er in seiner Danksagung, "setzten das Buch unter Strom."

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Gustaf Gründgens
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Lethen ist das, was man einen prototypischen 1968er nennen könnte. 1939 in Mönchengladbach geboren, schließt er sich in den 1960ern der aufmüpfigen Studentenbewegung an und wird nach deren Kollaps Mitglied der maoistischen KPD-Aufbauorganisation. Durch den Zusammenbruch der 68er-Revolte, meint Lethen heute, sei ein derart massives kriminelles Potenzial freigeworden, dass der Staat den kommunistischen Kadergruppen, die diese Kräfte banden, "nachträglich einen Verdienstorden zusprechen müsste". 1977 verlässt Lethen Deutschland, um fast zwanzig Jahre lang in den Niederlanden zu lehren, nach seiner Emeritierung leitet er von 2007 bis 2016 das erwähnte IFK in Wien und hat jetzt eine Professur an der Kunstuniversität in Linz inne.

Die Staatsräte sind der dritte Band einer Trilogie über die Intellektuellen in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Verhaltenslehren der Kälte (1994) ist ein in seiner Bedeutung mit Klaus Theweleits Männerphantasien vergleichbarer Klassiker über Lebensversuche zwischen den Kriegen. Es folgen eine große Studie über das in unterschiedlichen Graden zwischen Nähe und Distanz zu den Nazis oszillierende Dichterleben von Gottfried Benn (Der Sound der Väter, 2006) und eben die Staatsräte. Jetzt möchte Lethen "diesen Sumpf" verlassen und sich an einer Geschichte des Stoizismus versuchen. Oder an einer Monografie über den österreichischen Regisseur Fritz Lang und seine Ehefrau, die Drehbuchautorin Thea von Harbou, deren Beziehung 1933 endgültig in Brüche ging. Sie arrangierte sich und machte unter den Nazis Karriere, er emigrierte und ging zuletzt nach Amerika. Vielleicht wird es aber doch eher ein Buch über den Stoizismus werden. Schließlich würde das andere ja wieder im historischen Sumpf spielen.

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Wilhelm Furtwängler
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Trügerische Volksgemeinschaft

Gibt Lethen mit den Staatsräten auch einen mehr oder minder indirekten Kommentar zum politischen Status quo ab? Zu damaligen Gefahren, die heute womöglich wiederkehren? Beabsichtigt hat er dies beim Schreiben des Buches nicht, und ob Elemente daraus auf die Gegenwart applizierbar sind, sei "eine schwierige Frage". Immerhin meint er, dass sich seine Pappenheimer damals in einem Irrtum befunden hätten, als sie meinten, in der von den Nazis imaginierten "Volksgemeinschaft" sei ihnen als Intellektuellen ein besseres Schicksal beschieden. Das Ideal Homogenität kann trügerisch sein.

Wenn Lethen mit seinen "Glorious Four im Dritten Reich" (Titel eines Buchkapitels) so etwas vorschwebt wie das Szenario eines Tarantino-Films, dann wäre Carl Schmitt wahrscheinlich sein glorreichster Bösewicht. Lethens Faszination für den immer wieder von Anflügen schwerster fleischlicher Begierden heimgesuchten Staatsrechtler, der für den Mord an SA-Führer Ernst Röhm juristische Argumente fand und sich nach dem Krieg in der Rolle des unbeteiligten Beobachters gefiel, ist greifbar. Unter den vier sonderbaren Staatsratsköpfen ist Schmitt quasi der primus inter pares. Lethen meint, dass Schmitts Texte mit ihrer glasklaren Diktion und ihrem "luziferischen Reiz" zu wenig im Original gelesen werden – dies wohl auch deshalb, weil die gegenwärtigen Kontroversen zwischen "Linken" und "Rechten" zu wenig neutralen Raum offenlassen, in dem man überhaupt über sie diskutieren kann.

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Ferdinand Sauerbruch
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An Helmut Lethens Einschätzung von Schmitts Rolle und Lehren hat sich gleichwohl ein rezenter öffentlicher Disput entsponnen: nämlich zwischen ihm selbst und Caroline Sommerfeld-Lethen. Wenn Schmitt seine berühmte Unterscheidung von Freund und Feind treffe, schreibt sie auf der rechtsintellektuellen Website sezession.de, so sei dies ein rein "heuristischer Beobachtungsbegriff" ohne "eingebaute Abwertung des Negativpols", im konkreten Fall also des Feindes. Lethen hat dies in einem FAZ-Interview anders gesehen. Schmitt habe seine Freund/Feind-Matrix gleichsam als Einladung an alle Machthaber konstruiert, jene Mitbürger in die Spalte "Feind" einzutragen, die "getötet werden dürfen". Erst viel später habe Schmitt seinen tödlichen Begriffen aus den 1930ern nachträglich den Zahn gezogen und sie "totjongliert". An Indizien, dass die Kontroversen der Post-2015er-Ära im Hause Lethen noch keineswegs ausgetragen sind, herrscht offenkundig kein Mangel. (Christoph Winder, 14.4.2018)