STANDARD: Auf Facebook schreiben Sie, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Heißt das, dass ab jetzt alles schlechter wird?
Mailath-Pokorny: Vielleicht bleibt es auch schön, aber ich habe gerade wichtige Projekte – das Wien-Museum oder die Central European University – auf Schiene gebracht. Jetzt habe ich das Gefühl, ich kann das Ressort geordnet übergeben. Ich habe schon länger an Rückzug gedacht.
STANDARD: Sie waren 17 Jahre lang Kulturstadtrat. In Kommentaren zum Rückzug fiel häufig das Wort Verwalter. Hat Sie das geärgert?
Mailath-Pokorny: Unter Verwaltung verstehe ich, etwas zu übernehmen und es dann mehr oder weniger unverändert zu übergeben. In meiner Amtszeit ist viel Neues geschehen. Das neue Theater an der Wien, freier Eintritt für Jugendliche in Museen, Kommunalisierung wichtiger Kinos, Gedenkkultur, alle politischen Entscheidungen, auch wenn Sie an politische Kämpfe um die Etablierung des Rabenhofs denken.
STANDARD: Wie hat sich die Kulturpolitik in den 17 Jahren verändert?
Mailath-Pokorny: Das mediale Umfeld ist ein anderes. Damit meine ich nicht nur die neuen Medien. Die gesamte Kulturberichterstattung hat im Vergleich zu den 1990er-Jahren an Bedeutung verloren. Es wird in der Öffentlichkeit nicht mehr so intensiv über Besetzungen diskutiert, Kunstskandale sind kaum mehr denkbar.
STANDARD: Das machen manche auch an Ihnen fest. Haben Sie im Unterschied zu Vorgängerin Ursula Pasterk zu wenig riskiert?
Mailath-Pokorny: Dem Vergleich mit Pasterk stelle ich mich gern. Aber das ist 30 Jahre her. Ich habe beispielsweise dazu beigetragen, dass Erinnerungskultur nicht als schöne Floskel, sondern als wesentliches Element der Kulturpolitik wahrgenommen wird.
STANDARD: Gerade ist in Berlin Chris Dercon von seinem Chefposten an der Volksbühne zurückgetreten. Hätte Ihnen so eine Personalie passieren können?
Mailath-Pokorny: Ich habe bei Personalien nie vor Risiken zurückgeschreckt. Wenn ich nur an die heftigen Debatten um Tomas Zierhofer-Kin bei den Wiener Festwochen denke. Die Festwochen haben auf sehr hohem Niveau stagniert. Ich wollte ein neues Publikum und neue Formen etablieren.
STANDARD: Ist in die Hose gegangen.
Mailath-Pokorny: Das sehe ich nicht so, aber es gab sicherlich ein Kommunikationsproblem. Man kann nicht davon ausgehen, dass das bisherige Festwochen-Publikum von heute auf morgen den Weg in die Gösserhallen findet.
STANDARD: Was ist Ihnen nicht gelungen? Was liegt Ihnen im Magen?
Mailath-Pokorny: Bei der Besetzung der Josefstadt (mit Hans Gratzer, Anm.) bin ich am Anfang fast auf die Schnauze gefallen.
STANDARD: Und die Theaterreform?
Mailath-Pokorny: Dass es für einige Mittelbühnen Zwei- bis Vierjahresfinanzierungen gibt, ist in Europa etwas Einzigartiges. Es ist aber nicht diese Form von Flexibilität eingetreten, die ich mir gewünscht hätte. Es ging nie darum, meinen Geschmack durchzusetzen. Ich wollte dafür Sorge tragen, dass die Kultur in dieser Stadt möglichst breit aufgestellt ist.
STANDARD: Von Jean Sibelius gibt es den Satz: "Über Musik kann man am besten mit Bankdirektoren reden. Künstler reden ja nur übers Geld." Hat er recht?
Mailath-Pokorny: Ich würde das ausweiten und sagen: Auch Bankdirektoren sprechen hauptsächlich übers Geld, dann erst kommt die Kunst. Kulturpolitik ist zum großen Teil eine Frage der Verteilung von öffentlichen Geldern.
STANDARD: Wie sehr hat sie das finanzielle Korsett eingeengt?
Mailath-Pokorny: In den 1980er- und 1990er-Jahren war es leichter, große kulturpolitische Projekte zu realisieren. Es gehörte zur sozialdemokratischen Kulturpolitik, jedes Jahr immer etwas draufzulegen. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Ich will aber festhalten: Das Kulturbudget Wiens ist, selbst wenn man die Inflation abzieht, immer noch um ein Drittel höher als 2001, als ich die Kulturagenden übernommen habe.
STANDARD: 2015 haben Sie auf die Frage, warum Sie eine dritte Amtszeit anhängen wollen, gesagt, dass Sie "das Angebot an Kulturpolitikern derzeit nicht sehen". Ist die Situation jetzt eine andere?
Mailath-Pokorny: (lacht) Ich habe wahrscheinlich eine Begründung gebraucht, um weiterzumachen. Es ist sicherlich niemand unersetzbar, aber: Wahrscheinlich ist diese Form der Kulturpolitik, wo man sich einerseits als Teil des Kunstbetriebes versteht und andererseits versucht, das auch politisch durchzusetzen, vorbei. Vielleicht kommt jetzt eine andere Form des Politikertypus.
STANDARD: Wie sieht der aus?
Mailath-Pokorny: Es wird für Politiker schwieriger, die Anliegen der Kunst zu vertreten. Die Bedeutung der Kultur, etwa bei Regierungsverhandlungen, sinkt.
STANDARD: Es gab immer ein gewisses Naheverhältnis von Künstlern und Sozialdemokratie. Warum gibt es hier Auflösungserscheinungen?
Mailath-Pokorny: Die Rahmenbedingungen haben sich verschoben. Dass es diese längerfristigen Bindungen an Parteien nicht mehr gibt, ist vielleicht sogar ein positiver Wesenszug unserer Zeit. Im Wien-Wahlkampf 2015 hatte ich aber sehr wohl den Eindruck, dass es eine breite Unterstützung der Kulturszene für die SPÖ gab. Unterstützung für Parteien wird sich in Zukunft generell eher an bestimmten Themen festmachen.
STANDARD: Was würden Sie Ihrem Nachfolger raten?
Mailath-Pokorny: Ungefragt gibt man keine Ratschläge, aber das Wichtigste ist, dass man zuhört, kommuniziert. Man muss die Künstler ernst nehmen.
STANDARD: Wo wird es Sie selbst hinziehen?
Mailath-Pokorny: Ich werde das machen, wonach ich mich seit drei Jahrzehnten sehne: Musik hören, lesen, lernen. (Interview: Stephan Hilpold, Stefan Weiss, 14.4.2018)