Lebensgefühl, rechtsdrehend. Philipp Burger, Sänger der Band Frei.Wild.

Foto: P. Schneiderwind

Südtirol wurde nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugesprochen. Das war dort nie allen recht, schon die Nomenklatur "Südtirol" verdeutlicht das. Doch zur evolutionären Stärke des Homo sapiens zählt, dass er sich Umständen anpassen und das Beste daraus machen kann. Warum 60 Jahre später geborene Menschen deshalb Phantomschmerzen verspüren wollen, bleibt ein Rätsel, dem mit der Medizin nicht beizukommen ist. Denn es geht um Patriotismus – den Stolz auf den zufälligen Geburtsort. Etwas, das die den Patriotismus übertreibenden Nationalisten mit einer selbst erbrachten Leistung verwechseln. Egal, in welches Drecksloch man hineingeboren wurde, irgendeiner findet sich immer, der sich deshalb über andere erhöht.

Die Band Frei.Wild leidet schrecklich. "Südtirol, deinen Brüdern entrissen, schreit es hinaus, lasst es alle wissen. Südtirol, du bist noch nicht verloren. In der Hölle sollen deine Feinde schmoren."

Das brüllen die Spätgeborenen aus Brixen im geistvoll Südtirol benannten Song der Welt entgegen. Der Welt ist das weitgehend wurscht, nur dem rechten bis bräunlichen Publikumssegment schwillt da die Empörung in der Brust. Das Lied stammt aus der Feder der Band Kaiserjäger. Bei der spielte Frei.Wild-Sänger Philipp Burger bis zu ihrer Auflösung im Anschluss einer Schlägerei von verfeindeten Neonazis. 2001 war das, im selben Jahr wurde Frei.Wild gegründet.

Applaus von rechts

Frei.Wild ist eine der aktuell erfolgreichsten Formationen des Deutschrock. Über 130.000 Menschen wollen sie auf ihrer laufenden Deutschlandtournee live sehen, am 1. April gastierte sie im ausverkauften Wiener Gasometer. Veranstaltet von Josef "Muff" Sopper, dem die Wiener SPÖ 2008 die Verantwortung über die Szene Wien und die Gasometerhalle übertragen hat. Die FPÖ-nahe rechtsextreme Seite Unzensiert.at frohlockte angesichts des kulturellen Angebots Soppers für ihre Neigungsgruppe und bemühte gar die von den Rechten bekanntlich so geschätzte Freiheit der Kunst.

Deutschrock – dieser fast geschmeidige Terminus stammt aus den 1970ern, als in Deutschland hausgemachte Rockmusik mehrheitsfähig wurde. Seit den Nullerjahren ist der Begriff aber immer öfter im Zusammenhang mit rechten Bands in Gebrauch.

Wehleidig und angriffig

Für die vier von Frei.Wild eine Gelegenheit, sich reinzuwaschen, sind sie doch eigentlich Italiener – Südtiroler aus ihrer Sicht. Von der Diktion her unterscheiden sie sich aber kaum vom rechten Deutschrock. Frei.Wild bedienen sich bei der Nomenklatur des Das-wird-man-wohl-noch-sagen-dürfen-Milieus, sind entweder wehleidig oder angriffig – oder beides.

Die Band verfolgt scheinbar eine Strategie, die von politischen Populisten her bekannt ist: Immer ein wenig die Grenzen ausreizen, dann zurückrudern. Alles wurde falsch verstanden, wir sind gar nicht so. Dann sprechen sie sich brav gegen jedweden Extremismus aus, bedienen sich aber einer Sprache, die den Zuspruch von rechts sicherstellt. Das bringt Stoff für die "Mediennutten" und ihre Berichterstattung.

Ihren stumpfen Punk umschreiben sie mit Kreationen wie Identitätsrock oder Politcore. Ihr Erfolg transportiert – freiwillig oder unfreiwillig – die Strategie rechter Gruppen wie der Identitären, die ihre Gesinnung über Mode als hip verkaufen.

Der Rechtsruck der Politik in vielen Ländern drückt gleichzeitig die Schamgrenze nach unten, sich über Nationalismus zu definieren. Wenn demokratisch gewählte Staatsoberhäupter sich diktatorisch gerieren, ermutigt das den rechten Rand. Und für den haben Frei.Wild mehr als nur ein Lied auf Lager.

Mainstream versus Mainstream

Gleichzeitig drängen sie damit in den Mainstream, womit immerhin die rechte Argumentationskrücke vom Medienmainstream wegbricht. Rechts ist vielerorts Mainstream, deshalb ist die Wehleidigkeit gegenüber demselben verlogen. Gleichzeitig tut sich der etablierte Mainstream schwer mit den neuen Schmuddelkindern. Das beweist das Gewese rund um den deutschen Musikpreis Echo: 2013 wurde die Band wegen ihrer Breitseite von der Nominierungsliste des Branchenpreises wieder gestrichen, 2016 wurde sie damit ausgezeichnet. Die Wirbelsäule des Kapitalismus ist geschmeidig.

Genauso beständig wie es die Vorwürfe wegen der Schlagseite ihrer Texte hagelt, gibt es auf Bandseite Beteuerungen, nichts mit Nazitum zu tun zu haben. "Wir hassen Faschisten und Nationalsozialisten", singen sie im Lied Wahre Werte.

Gleichzeitig befeuern ihre aggressiven Bekenntnisse zu Volk, Heimat und dem damit einhergehenden Pathos und Chauvinismus das Lebensgefühl des rechten Randes: Der sieht sich zusehends legitimiert. Doch das Rock'n'Roll-Versprechen von "Frei" und "Wild" stößt dort an seine Grenzen, wo andere damit diskriminiert werden. Und genau das passiert: Mit dem Erfolg von Liedern wie Wir bringen alle um, Geartete Künste hatten wir schon oder Fick dich und verpiss dich bereiten Frei.Wild einem Milieu den Weg, das in der Verbrecherkartei der Geschichte zu Hause ist. Ob sie es wollen oder nicht. (Karl Fluch, Album, 14.4.2018)