Familientherapeut, Autor und STANDARD-Kolumnist Jesper Juul.

Foto: family lab

Diese Serie entsteht in Kooperation mit Family Lab Österreich.

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Frage:

Ich hoffe, Sie können mir einen Ausweg aus einem großen Dilemma aufzeigen. Ich bin 43 Jahre alt, Vater von zwei Kindern, sechs und acht Jahre alt. Vor drei Monaten wurde bei mir Parkinson diagnostiziert. Allein die Tatsache, dass ich an dieser Krankheit leide, ist eine gewaltige Herausforderung und Erfahrung für mich. Das allergrößte Thema ist allerdings, wie ich es meinen Kindern sage. Verschiedenste Fachleute wie auch meine Frau meinen, dass die Kinder zu klein für diese Wahrheit sind.

Ich spüre, wie ich immer frustrierter und auch irritierter werde, und ich denke, dass das natürlich auch meine Kinder wahrnehmen. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie ich ihnen von meiner Krankheit erzählen soll, ohne meine Schmerzen und Ängste auf sie zu übertragen. Auch ich muss mich erst so richtig mit den Auswirkungen sowohl für mich persönlich als auch für meine Familie auseinandersetzen. Dennoch ist es mir schon jetzt wichtig, auf ein Gespräch mit meinen Kindern vorbereitet zu sein. Was denken Sie?

Antwort:

Dass Ihre Kinder zu klein sein sollten, um die Wahrheit über die Situation ihres Vaters zu erfahren, kann ich nicht teilen. Was würden die anderen dazu sagen, wenn Sie an aggressivem Krebs litten und Ihre Kinder zwei und vier Jahre alt wären?

Aus Sicht der Kinder können sie entweder einen irritierten und frustrierten Vater erleben, mit dem sie kämpfen müssen, oder sich falsch und schuldig fühlen. Oder sie können sich auf all ihre kindliche Empathie und Liebe zu ihrem kranken, unglücklichen Vater beziehen. Die Reaktionen Ihrer Kinder und Ihrer Gemeinschaft können ihnen helfen, sich darauf vorzubereiten, einen (sichtbar) kranken Vater zu haben. Sie werden dabei lernen, mit der Tatsache umzugehen, dass ihr Leben niemals jenes sein wird, von dem Sie geträumt haben.

Es kann viele Jahre mit Symptomen geben, die sich progressiv verschlechtern, oder einige wenige Jahre, wenn sich die Krankheit aggressiv entwickelt.

Das wird auch das Leben Ihrer Kinder entscheidend verändern. Aus Erfahrung wissen wir, dass sich ihr Leben dadurch verschlechtert. Sie werden schneller reifen und erwachsen werden, mit einigen Erfahrungen, die ihr eigenes Leben und wiederum das ihrer Kinder bereichern werden. Den Schmerz, den Verlust und die Trauer hat die ganze Familie gemeinsam. Nichts kann Sie vor diesen Gefühlen schützen, aber die Gemeinschaft und Offenheit kann verhindern, dass sie Schaden anrichten.

Zeit nehmen und die Wahrheit sagen

Ich denke, Sie sollten Ihren Kindern die Wahrheit sagen: Sie sind ernsthaft krank, und Sie werden wahrscheinlich früher sterben, als irgendjemand es möchte. Dass Sie traurig sind, sich Sorgen machen und noch immer nicht wissen, was genau zu tun ist.

Nehmen Sie sich mehrere Tage Zeit zusammen und behalten Sie die Reaktionen Ihrer Kinder über die nächsten Wochen und Monate im Auge. Wahrscheinlich wird das älteste versuchen "vernünftig" zu sein und deshalb einige irrationale Reaktionen entwickeln, auf die sowohl die Familie als auch die Schule achten sollte.

Das jüngere wird vermutlich direkter und offener reagieren. Wenn Sie und die Kinder zusammensitzen und über die Ungerechtigkeit der Welt klagen, werden Sie der Versöhnung mit der Krankheit näherkommen. Herr Parkinson ist jetzt ein Mitglied Ihrer Familie geworden. Nicht als geladener oder willkommener Gast, sondern als dominante Persönlichkeit, mit der jeder Einzelne seinen eigenen Umgang finden muss.

Sie benötigen ein Netzwerk und vielleicht auch professionelle Unterstützung. Es gibt Grenzen für das, was sowohl Ihre Frau als auch Ihre Kinder aufnehmen können, aber es sollte keine Grenzen für Ihre Fähigkeit geben, mit jemandem über Ihre Gedanken, Gefühle und Reaktionen zu sprechen. Wenn Ihre Frau, nachdem sie diese Zeilen gelesen hat, immer noch gegen das Aussprechen der Wahrheit gegenüber den Kindern ist, so schlage ich vor, dass Sie Hilfe und Unterstützung von einem Familientherapeuten bekommen, in der Hoffnung, dass so eine gemeinsame Sichtweise entsteht. (Jesper Juul, 15.4.2018)